27.04.2022

HAPPY BIRTHDAY, PHONOGRAMMARCHIV – ODER: HIER IRRTE BOLTZMANN …

Zum 123. Geburtstag des Phonogrammarchivs: Berührungspunkte mit Ludwig Boltzmann

Wachsplatte und vernickelte Kupfermatrize (© Phonogrammarchiv)

Wie allgemein bekannt, schlug heute vor 123 Jahren die Geburtsstunde des Phonogrammarchivs: Auf Initiative des Physiologen Sigmund Exner wurde in der allgemeinen Sitzung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien am 27. April 1899 von je drei Mitgliedern der philosophisch-historischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse beantragt, „die Frage nach der Gründung eines ,phonographischen Archives‘ […] in Berathung zu ziehen, und zu diesem Zwecke eine Commission […] einzusetzen“, was noch in selbiger Sitzung geschah. Wie jedoch vielleicht weniger bekannt, spielte dabei auch der weltberühmte Physiker Ludwig Boltzmann (1844–1906) eine Rolle, und das in mehrfacher Hinsicht. 

Boltzmann war nicht nur bis zu seinem Tode Mitglied der Phonogrammarchivs-Kommission, sondern auch Mitglied von jenem „Subcomité“, das sich „experimentellen Vorstudien“ widmete, um das Problem der verlustfreien Vervielfältigung von Tonaufnahmen zu lösen.

Wichtige Grundvoraussetzung für die Errichtung eines „phonographischen Archives“ war nämlich, zu gewährleisten, dass sich die Tonträger „genau copieren und unversehrt aufbewahren lassen“. Für Edison-Wachszylinder war dieser Umstand zunächst jedoch nicht gegeben; überdies nahm deren Qualität durch mehrmaliges Abhören – zum Beispiel für die Erstellung von Transkriptionen – stark ab. Und tatsächlich „stellte sich bald heraus, dass keine der bisher verwendeten Arten von Vervielfältigung […] geeignet“ war.

Dementsprechend skeptisch resümierte Boltzmann in der allerersten Tonaufnahme des Phonogrammarchivs vom 30. Oktober 1899 (gegen Ende unverständlich, daher hier zitiert nach dem Protokoll zu Ph 887):
 

„Ich glaube, daß die Originalaufnahmen ganz gut ausfallen werden, ich bezweifle aber sehr, ob das Kopieren wirklich gelingen wird.“
 

AUFNAHME ABSPIELEN

Hier aber irrte Boltzmann, der offen-sichtlich nicht mit dem technischen Genie eines Fritz Hauser (ca. 1870–1910), Assistent am Phonogrammarchiv, gerechnet hatte. Dieser war seit Oktober 1899 mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Methode beschäftigt, die er Ende Juni 1900 der Phonogrammarchivs-Kommission präsentieren konnte.

Bei dem von ihm entwickelten „Wiener Archivphonographen“ traf der Schall auf eine Membran und wurde in Edison’scher Tiefenschrift in eine Wachsplatte geschnitten, von der sich auf galvano­­plastischem Wege eine vernickelte Kupfermatrize produzieren ließ. 


Diese Matrize diente in der Folge als „Negativ“ für die Herstellung beliebig vieler Wachsplatten („Positive“) einer Aufnahme – und so wurde das Fundament für die Erfolgsgeschichte des Phonogrammarchivs gelegt.

Fritz Hauser erfand darüber hinaus einen „Apparat zur Kopierung […] von Edison-Walzen auf die Platten des Archivphonographen“, mit dem er 1907 eben auch die Aufnahme von Ludwig Boltzmann kopierte.

 

Und schließlich gibt es noch einen weiteren Berührungspunkt zwischen dem Phonogrammarchiv und Ludwig Boltzmann: Seine Wirkungsstätte, das Physikalische Institut der Universität Wien, befand sich von 1875 bis 1913 in der Türkenstraße 3 (Wien IX.); dies war bis 1904 auch die Adresse des Physiologischen Instituts (mit seinem Ordinarius Sigmund Exner), in dessen Räumlichkeiten das Phonogrammarchiv zunächst untergebracht war.

 

Christian Liebl