20.09.2022 | Wohnungsmärkte

Wenn Städte unleistbar werden

Das Problem steigender Wohnkosten beschäftigt viele Städte Europas. Bei einer internationalen Summer School an der ÖAW stellten Stadtforscher:innen vergleichende Untersuchungen zwischen zentral- und südosteuropäischen Städten an. Was man für die Zukunft von Städten wie Athen lernen kann, skizziert Konferenzteilnehmer Thomas Maloutas im Interview.

Von Wirtschaftskrise bis Massentourismus - die Wohnungsmärkte der Städte Europas sind vielen gesellschaftlichen Entwicklungen oft unmittelbar ausgesetzt. Damit das Wohnen für die Einwohner:innen der Städte leistbar bleibt, ist die Politik gefragt. Doch auch die Forschung leistet einen wesentlichen Beitrag, indem sie möglichst genaue Daten erhebt, die als politische Entscheidungsgrundlage dienen können. Als besonders hilfreich erwiesen sich dabei - neben einem detaillierten Blick auf einzelne Städte - insbesondere vergleichende Beobachtungen von städtischen Entwicklungen in Europa.

Diesem vergleichenden Blick verpflichtete sich die kürzlich durchgeführte Summer School „Urban Housing in Central and Southeastern Europe“ des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW): Expert:innen aus Athen, Belgrad und Wien präsentierten und reflektierten dabei zentrale Entwicklungen der Wohnungsmärkte dieser Städte. Im Interview erklärt der Stadtforscher Thomas Maloutas von der Harokopio Universität in Athen, was man aus Vergleichen zwischen diesen grundsätzlich sehr unterschiedlichen Städten lernen kann - und wie ein Internet-Dienstleister den Wohnungsmarkt in Griechenlands Hauptstadt derzeit grundlegend verändert.

Wohnraum wird teurer

In vielen europäischen Ländern ist es für junge Menschen schwieriger geworden, Wohnraum zu finden. Gilt das auch für Griechenland?

Für junge Menschen ist der Wohnungsmarkt derzeit überall schwierig, wenn sie nicht auf die Hilfe wohlhabender Eltern zählen können. In den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren hat sich die soziale Ungleichheit in Europa mehr und mehr auf die Vermögen verlagert, weg von den Einkommen. Die Wohnungsmärkte haben dabei eine wichtige Rolle gespielt.

Mit dem Ende der Coronamaßnahmen kommen die Probleme jetzt zurück, schlimmer als vorher."

Wie ist die Lage in Athen heute?

Der Wohnungsmarkt ist ein wichtiges Thema in Athen. Ein großes Problem ist, dass die Stadt sehr unter der Finanzkrise von 2008 gelitten hat, als die griechische Wirtschaft praktisch zum Erliegen kam. Das BIP ist um 25 Prozent eingebrochen. Viele Mieter:innen haben ihre Jobs verloren und konnten sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten. Die Vermieter:innen waren ebenfalls betroffen, weil der Staat neue Einnahmen brauchte und die Steuern auf Immobilienbesitz verachtfacht hat. Dadurch brach der Wohnungsmarkt in Athen praktisch zusammen. Ab Mitte der 2010er belebte der anziehende Tourismus die Nachfrage und brachte neue Probleme, die während der Pandemie aber kurzfristig wieder verschwanden. Mit dem Ende der Coronamaßnahmen kommen die Probleme jetzt zurück, schlimmer als vorher.

Ist Athen typisch für Griechenland?

In anderen großen Städten wie Patras und Thessaloniki ist die Situation ähnlich, aber den höchsten Anstieg der Mietpreise gibt es in Athen. Seit 2015 gibt es eine stark wachsende touristische Nachfrage, die von den Hotels in Athen nicht gedeckt werden kann. Online-Plattformen wie AirBNB füllen diese Lücke und verändern den Markt und seine Regeln dabei komplett. Die Nachfrage am Wohnungsmarkt ist durch diese Kurzfristmietkonzepte enorm gestiegen. Das hat den (zahlreichen, Anm.) kleinen Vermieter:innen Hoffnung gemacht, dass sie ihre Immobilien wieder teurer vermieten können.

Tourismus als Gamechanger

Was heißt das für die Einwohner:innen?

Die Auswirkungen sind ambivalent. Durch den Boom bei Mietwohnungen, die kurzfristig an Tourist:innen vermietet werden, sind viele neue Arbeitsplätze entstanden, für Architekt:innen, Designer:innen und das Baugewerbe. Die Wohnungen müssen für die Tourist:innen ja hergerichtet werden. Der Staat hat mittlerweile auch dafür gesorgt, dass die Einnahmen aus Kurzfristmieten ordentlich versteuert werden. Aber heute werden drei Viertel der Immobilienkäufe in Athen aus dem Ausland getätigt. Der Markt wird für die Bewohner:innen immer weniger zugänglich, weil die Preise stark steigen und die Löhne stagnieren. Das trifft vor allem die Menschen, die keine Ausweichmöglichkeiten haben, wie Student:innen und junge Familien.

In Griechenland ist es alte Tradition, den Wohnungsmarkt sich selbst zu überlassen."

Wie reagiert die Politik?

Die touristische Nachfrage schafft viele Probleme. Die derzeitige Regierung hat aber keine Maßnahmen gesetzt, um hier regulierend einzugreifen. Dabei gäbe es Vorbilder: Portugal hat für Lissabon, das sich in einer ähnlichen Lage wie Athen befindet, entsprechende Regeln erlassen. In Griechenland ist es aber leider alte Tradition, den Wohnungsmarkt sich selbst zu überlassen.

Unleistbare Stadtviertel

Was bedeutet das für die Zukunft Athens?

Jetzt ist der Markt überhitzt, weil viele Vermieter:innen glauben, dass sie gut verdienen können, wenn sie ihre Wohnungen an Tourist:innen vermieten. Sie investieren und werfen alte Mieter:innen hinaus. Die AirBNB-Nachfrage ist wichtig, das Konzept funktioniert aber nicht für alle. Wenn die renovierten Wohnungen zurück auf den langfristigen Mietmarkt kommen, sind sie so teuer, dass sie für die meisten Athener:innen zu teuer sind. Dadurch werden mit der Zeit ganze Stadtviertel unleistbar für viele Menschen.

Die Energiekrise, der Klimawandel und mögliche Zinserhöhungen sind schwer einzukalkulieren."

Wie teuer sind Wohnungen in Athen im europäischen Vergleich?

Die Mieten in Athen sind im europäischen Vergleich immer noch niedrig. Das macht den Markt auch interessant für große Investor:innen, die hier schöne Immobilien verhältnismäßig günstig kaufen können und hohe Erträge erzielen.

Komplexer Wohnungsmarkt

Ist eine Entspannung der Situation in Sicht?

Viel hängt von den Wahlen ab, die Anfang 2023 stattfinden werden. Wenn die konservative Regierung bleibt, werden sie weiterhin auf den Markt vertrauen. Viel hängt von möglichen Koalitionen und dem Spielraum für progressive Politik ab. Der Wohnungsmarkt ist sehr komplex und es gibt viele Parameter zu berücksichtigen. Die Energiekrise, der Klimawandel und mögliche Zinserhöhungen sind schwer einzukalkulieren.

Was können wir aus Vergleichen von Wohnungsmärkten in unterschiedlichen Städten lernen?

Je genauer man hinschaut, desto mehr erkennt man, dass jede Stadt einzigartig ist. Aber wenn wir die Geschichte der verschiedenen Mietmärkte analysieren, können wir grundlegende Mechanismen hinter den Entwicklungen identifizieren. Für Athen und Wien zum Beispiel spielen die wachsenden Tourist:innenströme eine große Rolle, auch wenn die Rahmenbedingungen sich unterscheiden. Das ist es, was wir in der Summer School versuchen. 

 

Auf einen Blick

Im Rahmen der Summer School „Urban Housing in Central and Southeastern Europe“ tauschten Expert:innen aus Athen, Belgrad und Wien die neuesten Forschungsergebnisse über die Entwicklung der Wohnungsmärkte aus

Institut für Stadt- und Regionalforschung der ÖAW