30.11.2021 | Infektionskrankheiten

Warum andere Erkrankungen von der Covid-Impfstoffentwicklung profitieren

Die rasche Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus ist nicht nur ein Meilenstein in der Bekämpfung der Pandemie. Immer deutlicher wird, dass die gesammelten Erkenntnisse auch für die Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten bedeutsam sind.

Hand, die eine Ampulle eines mRNA-Impfstoffes hält
Die neuen mRNA-Impfstoffe, die bei SARS-CoV-2 zum Einsatz kommen, könnten auch für andere Infektionskrankheiten vielversprechend sein, da ihre Entwicklung besonders rasch erfolgen kann. © Unsplash/Spencer Davis

Die Freude vor rund einem Jahr war groß: Endlich war ein Impfstoff gegen das Coronavirus da – und im Dezember 2020/Jänner 2021 starteten in Österreich die ersten Impfungen. Nie zuvor wurden Vakzine so schnell entwickelt wie jene gegen Covid-19. Die Impfung sollte nun der Pandemie den Garaus machen. Doch entgegen aller Hoffnungen ist das Infektionsgeschehen nicht unter Kontrolle. Im Gegenteil. Die Wucht der gegenwärtigen vierten Corona-Welle scheint in Österreich viele überrascht zu haben. Und das obwohl Wissenschaftler/innen frühzeitig davor gewarnt haben. Denn: Noch immer ist ein zu geringer Prozentsatz der Bevölkerung mit einem der zugelassenen Impfungen gegen das Virus immunisiert.

„Trotz der reichlichen Verfügbarkeit an sicheren und wirksamen Impfstoffen in vielen Ländern stehen Impfgegner/innen und Impfskeptiker/innen der Überwindung dieser Pandemie im Weg“, sagt Peter Palese. Er ist Virologe an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York City und Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). „Österreich steht an der Spitze der Länder, in denen sich Menschen weigern, sich impfen zu lassen. Das ist traurig und in höchstem Maße unverantwortlich“, so der austro-amerikanische Virologe.

Schnelle Impfstoffentwicklung ist Frage der Ressourcen

Dabei war die Entwicklung der Covid-19-Impfstoffe binnen zehn Monaten eine „wunderbare Erfolgsgeschichte“ und ein „großer medizinischer Durchbruch“, wie Peter Palese betont. Noch vor ein paar Jahren hätte man für die Entwicklung von Impfstoffen mindestens zehn Jahre angesetzt. Und: Mit der raschen Impfstoffentwicklung hat die Wissenschaft auch deutlich gemacht, dass es für die Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten mehr Aufmerksamkeit braucht: „Hätten wir beispielsweise vor zwei Jahren die gleichen Ressourcen in die Entwicklung eines universellen Influenzavirus-Impfstoffs gesteckt wie in die Herstellung eines Coronavirus-Impfstoffs, dann hätten wir jetzt einen solchen verbesserten Influenzavirus-Impfstoff“, ist Palese überzeugt.

Ähnlich sieht das Daniela Angetter-Pfeiffer, Medizinhistorikerin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der ÖAW. „Bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 wurden mehr Ressourcen eingesetzt, sowohl finanziell als auch personell, so dass viele Schritte, die normalerweise hintereinander ablaufen, jetzt parallel stattfinden konnten“, sagt Angetter-Pfeiffer. Für sie steht fest: Nicht nur moderne Technologien, Methoden und Vorkenntnisse sorgten für die große Beschleunigung, auch die – von Beginn an – enge Zusammenarbeit mit den Behörden bewirkte eine rasche Zulassung.

Klassische Infektionskrankheiten ins Bewusstsein rücken

Während der Ausbruch der Corona-Pandemie ein globales Wettrennen um einen Impfstoff auslöste, existiert für das seit Anfang der 1980er-Jahre zirkulierende HI-Virus noch immer kein Vakzin. Zwar lässt sich AIDS mittlerweile in Ländern mit guter medizinischer Versorgung medikamentös verhindern, in vielen Ländern Subsahara-Afrikas sterben aber noch immer alarmierend viele Menschen an der Infektionskrankheit. Immerhin: Derzeit gibt es wieder vielversprechende Ergebnisse aus der Vakzinforschung an der Universität Oxford, berichtet Angetter-Pfeiffer.

Intensiv gesucht wird seit vielen Jahren auch nach einem Impfstoff gegen das Hepatitis-C-Virus. Zwar gibt es eine medikamentöse Behandlung, ein Vakzin fehlt aber nach wie vor. Ähnliches gilt für die Impfstoffentwicklung gegen Borreliose, Malaria und Helicobacter pylori, ein Bakterium, das eine Entzündung der Magenschleimhaut verursachen kann.

Eine Gefahr, dass aufgrund der Konzentration auf das Coronavirus die Forschung zur Bekämpfung klassischer Infektionskrankheiten ins Hintertreffen geraten könnte, sieht die Medizinhistorikerin aber nicht. Man beobachtet stetig, wie sich andere Infektionskrankheiten und Viruserkrankungen im Land ausbreiten, etwa Ansteckungen mit HIV, Masern, FSME etc. Und: Die Statistik Austria veröffentlicht regelmäßig die Anzahl der aufgetretenen meldepflichtigen Infektionskrankheiten, etwa Vogelgrippe, Milzbrand, Keuchhusten, Infektionen mit Botulismus-Keimen oder die Augenerkrankung Trachom.

Neue Hoffnung durch mRNA-Impfstoffe

Die gute Nachricht: Die gesammelten Forschungserkenntnisse in der Impfstoffentwicklung kommen der gesamten Menschheit zu Gute. Davon geht auch Heinz Burgmann aus. Er ist Infektiologe und Professor für Innere Medizin an der Medizinischen Universität Wien. Riesenfortschritte sieht er in der Entwicklung der mRNA-Impfstoffe: „Die mRNA-Impstoffbasis ist vor allem beim Ausbruch neuer Infektionskrankheiten sehr effektiv – auch weil die Entwicklung besonders rasch gehen kann“, erklärt Burgmann.

Für den Infektiologen war es imposant zu sehen, was eine weltweite kollektive Anstrengung in der Forschung bewirken kann. Davon profitieren jetzt viele andere Impfstoffentwicklungen, sagt er. Zum einen, weil die mRNA-Plattform auch für die Herstellung anderer Impfstoffe, etwa gegen Malaria, Chikungunya-Fieber oder Dengue genutzt werden kann. Und zum anderen, weil jetzt sehr viele Daten zum Impfen bei unterschiedlichen Patientengruppen, etwa immunsupprimierten Menschen, erhoben werden. Burgmann: „Wir können derzeit sehr viel lernen und untersuchen, wie verschiedene Patientengruppen immunologisch auf Impfstoffe reagieren.“ Das war bisher häufig eine Blackbox, so der Infektiologe.

Blick auf kommende potenzielle Pandemien

Wie Covid-19 den Blick auf andere Infektionskrankheiten beeinflusst hat? Sie sind mehr ins Bewusstsein getreten, sagt Burgmann. In den industrialisierten Ländern sind Infektionserkrankungen lange Zeit eher stiefmütterlich behandelt worden, stattdessen lag der Fokus auf Tumor- oder Autoimmunerkrankungen. Wachsam bleiben, das ist für Peter Palese eine der Lehren, die wir aus der Pandemie ziehen können: „Das Auftauchen neuartiger Viren, Bakterien und anderer humaner Krankheitserreger, die Epidemien und Pandemien verursachen können, ist vorprogrammiert“, sagt der Virologe. Ein Grund für ihn, warum die weltweite Forschung weiter gestärkt und die Gesundheitssystem im Umgang mit Infektionskrankheiten widerstandsfähiger werden müssen. Doch: „All dies kostet Geld und braucht den politischen Willen, es zu tun.“