03.03.2023 | Programmstart

Jetzt mit Registerdaten forschen

Die ÖAW fördert Projekte zur Registerdatenforschung mit insgesamt neun Millionen Euro. Das neue Förderprogramm „Data:Research:Austria“ startet am 6. März.

Die Verknüpfung von Daten aus behördlichen Registern eröffnet für die Forschung neue Möglichkeiten, Antworten auf wichtige gesellschaftliche Fragen zu finden. © Shutterstock

Von Gesundheit über Bildung bis hin zur Migration: Registerforschung bietet die Chance, größere gesellschaftsrelevante Fragestellungen anhand großer, miteinander verknüpfbarer Datenmengen zu beantworten. Doch lange Zeit hatte die Wissenschaft keinen Zugriff auf Datenbanken von Ministerien und anderen Behörden. Das ist seit Kurzem anders. „Durch eine Gesetzesänderung gibt es jetzt die Möglichkeit, Mikrodaten zu beforschen“, erklärt Sibylle Wentker, Direktorin für Internationale Beziehungen und Nachwuchs- und Forschungsförderung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Im Interview berichtet sie über den neu eingerichteten, geschützten virtuellen Datenraum des Austrian Micro Data Center (AMDC) an der Statistik Austria, und das neue ÖAW-Förderprogramm „Data:Research:Austria“, das mit neun Millionen Euro dotiert ist und die Datenforschung in Österreich gezielt fördern soll. Die Ausschreibung startet am 6. März.

DATEN LÜGEN NICHT

Wovon sprechen wir eigentlich, wenn wir von Registerforschung reden?

Sibylle Wentker: Registerforschung bedeutet die wissenschaftliche Nutzung von behördlich erfassten Mikrodaten, die sich auf eine Vielzahl von Einzelpersonen beziehen. Also etwa Informationen zu Bildungs-, Gesundheits-, Migrations-, Arbeitsmarkt- und Steuerdaten oder Informationen zu demografischen und sozioökonomischen Erhebungen. Es handelt sich hier um anonymisierte Daten, bei deren Nutzung strenge Datenschutzauflagen zur Anwendung kommen. Rückschlüsse auf Individuen sollen damit verhindert werden.

Es handelt sich um anonymisierte Daten, bei deren Nutzung strenge Datenschutzauflagen zur Anwendung kommen.

Welches Potenzial birgt die Registerforschung für die Grundlagenforschung?

Wentker: Das ist eine große Forschungschance für sozialwissenschaftliche Fragestellungen in verschiedenster Weise. Registerforschung erlaubt Rückschlüsse auf Entwicklungen in der Gesellschaft. Während die empirische Sozialforschung bislang Menschen etwa über ihr Einkommen oder ihre Gesundheit befragen musste, um an diese Daten zu gelangen, kann sie jetzt beispielsweise Einkommens- oder Gesundheitsregister unmittelbar verwenden.

„Daten lügen nicht“, könnte man sagen. Jedenfalls vergessen und verwechseln sie nichts. Das heißt, man kann auf standardisierte und bereits vorliegende Daten zugreifen und sie mit anderen Registerdaten verschränken. Das erhöht die Verlässlichkeit dieser großen Datenmengen und damit natürlich auch eine statistische Trefferquote – und ermöglicht neue Grundlagenforschung auf Basis gesellschaftlich relevanter Fragestellungen.

ÖSTERREICH FINDET ANSCHLUSS AN EUROPA

In Österreich wurde die Verwendung für Forschungszwecke lange restriktiv gehandhabt. Was ist jetzt anders?

Wentker: Bislang fehlte in Österreich eine gesetzliche Grundlage, um diese Datensätze für Forschungszwecke zu nutzen. Auch aus Datenschutzgründen gab es der Registerforschung gegenüber Vorbehalte. Durch eine Gesetzesänderung gibt es jetzt die Möglichkeit, Mikrodaten zu beforschen. Seit 1. Juli 2022 existiert ein österreichisches Mikrodatenzentrum, das Austrian Micro Data Center (AMDC), das als geschützter, virtueller Datenraum für die Forschung an der Statistik Austria angesiedelt ist. Wissenschaftliche Einrichtungen können nun unter strengen Datenschutzauflagen Zugang zu diesen zuvor vertraglich vereinbarten Datenabzügen erhalten. Es gibt überdies auch noch weitere Einrichtungen, die Datennachnutzung für die Wissenschaft bereitstellen. 

Das ist eine große Forschungschance für sozialwissenschaftliche Fragestellungen.

Wie sieht es im europäischen Vergleich dazu aus?

Wentker: In Dänemark, Finnland oder Norwegen wird seit Jahren Registerforschung betrieben. Auch in Deutschland ist es möglich. In Österreich musste man bisher auf Daten von vergleichbaren europäischen Ländern zurückgreifen, um Analogien ziehen zu können.

NEUN MILLIONEN EURO ERÖFFNEN NEUE FORSCHUNGSCHANCEN

Was ist das Besondere am Austrian Micro Data Center?

Wentker: Österreich hat mit der Etablierung eines virtuellen Raumes eine sehr einfache Benutzungsmöglichkeit geschaffen. Um die neue Datenquelle beforschen zu können, muss man sich als Forschungseinrichtung bei der Statistik Austria akkreditieren. Inzwischen sind Dutzende von Einrichtungen, darunter natürlich die ÖAW, akkreditiert.

Besonders ist auch, dass die Bemühungen in zwei Richtungen gingen: Dass man zum einen eine sichere Umgebung schafft, um die Daten des Einzelnen zu schützen. Zum anderen ist es auch wichtig, dass Ministerien und Behörden, also alle, die Register führen, ihre Daten auch der Statistik Austria für das AMDC zur Verfügung stellen. Denn: Je mehr Daten im AMDC sind, desto besser können gesellschaftliche Fragestellungen beantwortet werden.

Für jedes von der ÖAW geförderte Vorhaben ist eine Laufzeit von bis zu zwei Jahren und ein Budgetrahmen zwischen 150.000 und 350.000 Euro vorgesehen.

Für datengetriebene Forschung über die Gesellschaft gibt es jetzt auch ein Förderprogramm an der ÖAW. Wie sehen die Eckpunkte aus?

Wentker: Dank der Mittel aus dem Fonds Zukunft Österreich stehen uns in den kommenden Jahren insgesamt 9 Millionen Euro zur Verfügung, um die Datenforschung in Österreich gezielt zu fördern. Am 6. März schreiben wir die erste von drei Projektrunden aus. Jegliche Forschung, die mit diesen Quellen arbeitet, ist willkommen, d.h. wir schreiben themenoffen und für Forschende aller Disziplinen aus. Je Vorhaben ist eine Laufzeit von bis zu zwei Jahren und ein Budgetrahmen zwischen 150.000 und 350.000 Euro vorgesehen.

Die Bewerbung erfolgt in zwei Schritten: Zuerst soll ein Vorantrag eingereicht werden, in dem die Idee skizziert werden soll. Wenn dies überzeugt, laden wir zu einem Vollantrag ein, im Zuge dessen gemeinsam mit dem AMDC ein konkretes Angebot für ein bestimmtes Datenpaket vorbereitet und im Falle der Bewilligung des Antrags vertraglich fixiert wird.

 

AUF EINEN BLICK

Sibylle Wentker ist Direktorin für Internationale Beziehungen und Nachwuchs- und Forschungsförderung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Iranistik der ÖAW und ist seit 2014 Leiterin von Bibliothek, Archiv, Sammlungen der ÖAW.

Alle Informationen zum Call finden Sie hier auf der Website der ÖAW. Veranstaltungen zu dieser neuen Ausschreibung finden zudem am 8. März 2023 in Graz und am 15. März 2023 in Wien statt. Alle interessierten Forscher:innen sind willkommen, sich dort vor Ort zu informieren.