18.12.2021 | Nachruf

In memoriam Gerhard Dobesch

Der bedeutende Althistoriker verstarb im Alter von 82 Jahren. Die Akademie trauert um einen international angesehenen Wissenschaftler und ein geschätztes Mitglied. Ein Nachruf des ÖAW-Altertumsforschers Bernhard Woytek.

Gerhard Dobesch. © Privat
Gerhard Dobesch. © Privat

Am 18. Dezember 2021 verstarb Gerhard Dobesch im 83. Lebensjahr in Wien. Mit ihm verliert die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) einen der bedeutenden Althistoriker seiner Generation, der national wie international hohe Anerkennung genoß. In einem Zeitalter zunehmender Spezialisierung – und manchmal auch Fragmentierung – in den Altertumswissenschaften war er Generalist, der das Gesamtgebiet seines Fachs beherrschte und erforschte. Alte Geschichte war für ihn dabei stets auch Kulturgeschichte und Geistesgeschichte, und daher bestand althistorische Forschung für ihn in einer Kombination aus Textphilologie und dem Studium von dokumentarischen Quellen und Objekten der materiellen Kultur. Dobesch wußte um die Bedeutung der Detailforschung und sah sich ihr verpflichtet, hatte als Historiker jedoch stets das große Ganze im Blick.

Nach Studien der Alten Geschichte, Altertumskunde und Epigraphik, der Klassischen Philologie und der Klassischen Archäologie an der Universität Wien wirkte Dobesch ab 1963 als Assistent im dortigen Institut für Alte Geschichte, bevor er 1973 als Ordinarius für Alte Geschichte an die Universität Graz berufen wurde. Schon 1976 erfolgte jedoch die Berufung zurück in seine Heimatstadt Wien, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2007 die Lehrkanzel für Römische Geschichte, Altertumskunde und Epigraphik innehatte.

Begeisterung für die Geschichtsforschung

An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der er seit 1980 als korrespondierendes und seit 1984 als wirkliches Mitglied angehörte, war Dobesch jahrzehntelang intensiv in die Forschungsorganisation eingebunden: von 1988 bis 2012 leitete er als Obmann die so traditionsreiche Kleinasiatische Kommission und war daneben als Obmann-Stellvertreter in mehreren anderen Kommissionen tätig, nämlich der Keltischen, Prähistorischen, Mykenischen und Numismatischen. Seit 1998 war er wirkliches Mitglied des Österreichischen Archäologischen Instituts.

Gerhard Dobesch legte nach seiner Dissertation zuerst die Lehramtsprüfung für Latein und Griechisch an Gymnasien ab. So versteht man besser, daß er in den folgenden Jahrzehnten mit Leib und Seele akademischer Lehrer war: vor allem in seinen Hauptkollegien, die magistrale Darstellungen großer Epochen der römischen Geschichte boten, vermochte er – der stets mit Applaus begrüßt wurde – durch fesselnden Vortrag Generationen von Studierenden in seinen Bann zu ziehen und seine Begeisterung für die Geschichtsforschung mit Verve authentisch zu vermitteln.

Zugleich war er eine starke und in hohem Maße originelle Forscherpersönlichkeit. Der Name Dobeschs, der sich 1967 mit einer Untersuchung zum panhellenischen Gedanken im 4. Jhdt. v. Chr. habilitiert hatte, wird vor allem mit seinen Arbeiten zur römischen Geschichte in der Übergangszeit von der Republik zum Prinzipat sowie zum sogenannten „Barbaricum“ verbunden bleiben, für dessen Erforschung er maßgebliche Impulse setzte.

Caesar, Cicero und Augustus

Im Bereich der römischen Geschichte waren es vor allem die Gestalten des Caesar, Cicero und Augustus, die Dobesch nicht losließen. Seine Behandlung historischer Probleme ihrer Periode ist von einer stupenden Kenntnis der Primärquellen getragen, wie sie heute kaum mehr anzutreffen ist. Dementsprechend leitete er seine Schüler stets dazu an, die antiken Quellen unbedingt im vollen Umfang – „bis ins letzte Scholion!“ – in der Originalsprache zu sichten, zu kontextualisieren und kritisch zu analysieren, bevor sie eine historische Untersuchung in Angriff nahmen. Die Festschrift, die Dobesch im Jahre 2004 überreicht wurde, trägt daher nicht von ungefähr eine den Schülern stets gegebene Maßregel als Titel: „Ad fontes!“.

Dobeschs zweites Hauptforschungsfeld, in dem er Bleibendes leistete, ist die Geschichte der Völkerschaften jenseits der Zone der Mediterrankultur, vor allem der Kelten in Kontinentaleuropa und der Germanen. Dabei trug er auch viel zu einem vertieften Verständnis der Geschichte Österreichs im Altertum bei: im Gefolge seiner grundlegenden Monographie „Die Kelten in Österreich nach den ältesten Berichten der Antike“ (1980) vor allem im Rahmen zahlreicher Aufsätze, die man zum Teil in Dobeschs „Ausgewählten Schriften“ (2 Bde., 2001) benützen kann.

Ein Mann von enzyklopädischer Bildung

Gerhard Dobesch war ein Unermüdlicher. Wenn jemand von einem Wissenschaftler sagt, daß dieser sich nie geschont und sein Leben ganz in den Dienst der Wissenschaft gestellt habe, gerät er leicht in den Verdacht, Phrasen zu dreschen. Auf Dobesch traf diese Charakterisierung aber in vollem Umfang zu: als Abendmensch war er es gewöhnt, die Nacht am Schreibtisch durchzuarbeiten. Wenn Schüler ihn telefonisch kontaktierten, waren sie daher angehalten, nie vor 10 Uhr abends anzurufen – aber gerne auch lang nach Mitternacht.

Dobesch war ein Mann milden Wesens, der seine Schüler souverän begleitete und nach Kräften förderte, stets ein offenes Ohr für deren wissenschaftliche Anliegen hatte, ihnen aber alle Freiheiten in der Entwicklung ihrer eigenen Forschung ließ. Er konnte aber auch unerbittlich sein, etwa wenn er die wissenschaftliche Sorgfaltspflicht verletzt sah.

Jenen, die ihn etwas besser kennenlernen durften, wird Gerhard Dobesch aber nicht nur als begeisternder Lehrer und herausragender Wissenschaftler in Erinnerung bleiben, sondern auch als ein Mann von enzyklopädischer Bildung im wahren Wortsinne, als Bibliophiler, als feiner Kenner der deutschen Literatur und als empfindsamer Interpret bildender Kunst.

 

Auf einen Blick

Bernhard Woytek ist korrespondierendes Mitglied im Inland der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und stv. Leiter der Abteilung Altertumswissenschaften des Österreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW.