25.08.2022 | Diskurs

Glauben in der Zuwanderung

Das Verhältnis von Migration und Religion ist in politischen Debatten ein Dauerthema geworden. Einzelne politische Strömungen befeuern die Kritik am Islam, während viele andere Religionen weitgehend unsichtbar bleiben. Die ÖAW-Religionswissenschaftlerin Astrid Mattes arbeitete in ihren Forschungen unterschiedliche Perspektiven auf dieses gesellschaftlich brisante Spannungsfeld heraus.

Die Zeichen von Islam, Judentum und Christentum an einer Hauswand
Welche Rolle spielen Religionen im Zusammenhang mit Migration? Dem geht die Forscherin Astrid Mattes nach. © Unsplash.com

„Herzlich Willkommen und Grüß Gott in Österreich – einem Land mit christlichen Wurzeln.“ Das können zugewanderte Menschen in einer Publikation des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) und der Österreichischen Bischofskonferenz sowohl auf Deutsch und Englisch als auch auf Arabisch und Farsi lesen. Österreich inszeniert sich als zutiefst christliches Land. Aber stimmt dieses Bild tatsächlich? Laut der Europäischen Wertestudie (European Values Study) nimmt das Vertrauen der Bevölkerung in die katholische Kirche nämlich seit 30 Jahren kontinuierlich ab. Die Zahl der Menschen, die sich einer Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, sinkt. Religiöse Ideen werden nicht mehr als Grundlage für gesetzgeberische Normen akzeptiert und herangezogen. Und trotzdem ist Religion gerade auf dem Feld der Migration zum einem politischen Dauerthema geworden, das von politisch rechten Parteien befeuert wird. Die öffentliche Debatte reduziert sich häufig auf eine Problematisierung des Islam als „importierte Religion“. 

Die Religionswissenschaftlerin Astrid Mattes machte es sich zur Aufgabe, diesen Zusammenhang zwischen Religion und Migration aus wissenschaftlichen Perspektiven zu beleuchten. Nachdem sie in den vergangenen Jahren am Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) forschte, veröffentliche sie nun die Ergebnisse ihrer Untersuchungen in einem im Verlag der ÖAW erschienenen Buch.

Die moderate Mitte schwindet

Darin schildert sie unter anderem, wie fundamental der Umbruch der Religion vor dem Hintergrund der Migrationsthematik ist: Privilegien etablierter Religionsgemeinschaften stehen zur Diskussion, neu hinzugekommene und wachsende Religionsgemeinschaften verlangen Gleichberechtigung mit den etablierten Religionen. Aber auch fundamentalistische Tendenzen sind in allen Religionen verstärkt zu beobachten, wie die Forscherin schildert: "Durch Säkularisierungsprozesse und eine zunehmende Individualisierung von Religion bricht vielen Religionsgemeinschaften die 'moderate Mitte' weg, wodurch extremere Stimmen lauter wahrgenommen werden“, sagt Mattes.

Unterstützung und Hilfe

Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, sind aber auch positive Aspekte zu erkennen, wie Mattes betont. So können bestehende religiöse Netzwerke wichtige Auffangfunktionen bei Migrant/innen einnehmen. Man tauscht sich jenseits der Heimat aus und findet Unterstützung bei Problemen, wie Mattes erläutert: „Die Kontakte, die durch Diaspora-Gemeinschaften entstehen, können im Alltag sehr wertvoll sein“. Das sehe man auch gerade um Ukraine-Krieg, wo die orthodoxen Kirchen eine Anlaufstelle bieten. „Das orthodoxe Christentum hat in Österreich eine breite Basis, bisher blieb es weitgehend unsichtbar. Aber auch die Israeltische Kultursgemeinde kümmert sich um jüdische Ukrainer/innen.“ Wie in der Vergangenheit sind außerdem die Wohlfahrtsverbände verschiedener anderer Religionsgemeinschaften, am bekanntesten wohl Caritas und Diakonie, in der Versorgung geflüchteter Menschen aktiv.

Mattes weist auch darauf hin, dass Forschungen zu Migration mitunter auch weltanschauliche Positionen nicht ganz ausblenden - und je nachdem wo sich Forschende weltanschaulich verorten, können auch die Antworten unterschiedlich ausfallen. Zusammengenommen bieten unterschiedliche Forschungsansätze ungeachtet dennoch aber ein unvergleichliches Potenzial, konkrete Lösungsvorschläge für hochkomplexe Fragen an der Schnittstelle von Migration und Religion anbieten zu können.

 

Auf einen Blick

Die Religionswissenschaftlerin Astrid Mattes forschte in den vergangenen Jahren am Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). In ihrer neu im Verlag der ÖAW erschienenen und per Open Access online kostenlos zugänglichen Publikation „Migration & Religion“ machte sie sich zur Aufgabe, in allgemein verständlicher Sprache einen Überblick über die aktuellen wissenschaftlichen Debatten zu der Thematik zu bieten.

Migration & Religion