03.01.2023 | Stadtentwicklung

Ein Schlüssel für die Stadt der Zukunft

Für Projekte wie die Begrünung von Anlagen oder den städtischen Ausbau der Sonnenergie ist die Zusammenarbeit mit Eigentümer:innen von Liegenschaften entscheidend. Häufig sind die Eigentumsverhältnisse auch für Stadtplaner:innen aber schwer fassbar. Stadtforscher:innen der ÖAW haben nun ein Werkzeug entwickelt, mit dem sich das ändern könnte.

Bild einer Fassade einer begrünten Wohnhausanlage
Bei Stadtentwicklungsprojekten wie der Begrünung von Wohnhausanlagen ist die Kooperation aller beteiligten Eigentümer:innen unerlässlich. © Adobe Stock

Soll eine Stadt grüner oder weniger abhängig von fossilen Brennstoffen werden, sind die politischen Verantwortlichen und Stadtplaner:innen bei der Umsetzung der einzelnen Projekte auf die Mithilfe der Eigentümer:innen der Wohngebäude angewiesen. Ist der Großteil der Wohnungen in der Hand einzelner großer, institutioneller Besitzer, ist die Abstimmung vergleichsweise einfach. In Immobilienmärkten wie Wien werden die Eigentumsverhältnisse aber zunehmend zersplittert, und die Besitzer:innen verfolgen divergierende Motivationen und Ziele. “In der Bestandsstadt in Wien geht der Trend klar in Richtung von Häusern mit vielen einzelnen Eigentümer:innen. Da treffen in Vierteln und Häusern ganz unterschiedliche Arten von Besitzern aufeinander - von der betagten Dame, die eine Wohnung geerbt hat, bis hin zum Immobilieninvestor, der Wohnungen als eher spekulative Kapitalanlagen sieht”, weiß Robert Musil, interimistischer Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Diese unübersichtlichen Eigentumsverhältnisse erschweren die Arbeit der Stadtplaner:innen - und vereiteln so manches Modernisierungsprojekt. Stadtforscher:innen der ÖAW haben sich dieser Problematik angenommen und eine mögliche Lösung entwickelt: In Zusammenarbeit mit dem Architekten Florian Brand zeigt ein Forscher:innenteam rund um Robert Musil in einer neuen Publikation auf, wie eine Kombination von Grundbuchdaten mit anderen Informationsquellen Stadtplaner:innen ein Werkzeug in die Hand gibt, das eine gezielte, partizipative Umsetzung von Projekten erlaubt.

Grüne Fassaden und Sonnenkollektoren

Anhand von Beispielen wie der Errichtung von Photovoltaikanlagen auf Wohnhäusern oder der Fassadenbegrünung schildern die Forscher:innen dabei, wie diese Eigentumsanalyse einfacher gelingen kann: “Wir haben durch die Kombination von Grundbuchinformationen mit anderen frei verfügbaren Datenquellen ein Werkzeug gebaut, das uns etwa die Identifikation jener Häuser erlaubt, die großes Potenzial für eine Photovoltaikanlage auf dem Dach haben”, berichtet Musil. In diesem Fall wären besonders jene Häuser geeignete, die einerseits über eine große Freifläche auf dem Dach verfügen und in denen andererseits die Zahl der Eigentümer gering ist. “Die zugrundeliegende These ist, dass solche Projekte leichter durchzusetzen sind, je weniger Eigentümer es gibt”, sagt Musil.

Für das Potenzial bei Fassadenbegrünungen wiederum werden etwa Daten zur Gehsteigbreite mit den Eigentümerdaten kombiniert, um festzustellen, wo eine Begrünung technisch und rechtlich grundsätzlich machbar wäre. Die Daten für ihre Beispiele trugen die Forscher:innen aus dem Grundbuch und aus Open Source Datenbanken der Verwaltung der öffentlichen Hand zusammen. “Wir müssen für Grundbuchauszüge in Österreich zwar bezahlen, aber im Vergleich zu anderen Ländern, wo ein Einblick im Normalfall gar nicht möglich ist, ist das hier noch vergleichsweise einfach. Ein Open Source Grundregister wäre natürlich noch schöner", sagt Musil.

Datenschutz und Stromzapfsäulen

Die Grundbuchdaten sind aufgrund der personenbezogenen Informationen sensibel und unterliegen den strengen nationalen und europäischen Bestimmungen zum Datenschutz. “Wir dürfen die Datenbanken, die wir für unsere Studien entwickelt haben, selbstverständlich nicht an Dritte weitergeben." Für ein Vorhaben ließen sich aber die potenziell geeigneten Häuser markieren, sodass die Stadtplaner:innen selber die Grundbuchauszüge holen müssten, um auch die Eigentümer:innen in Erfahrung zu bringen, wie Musil erläutert. Für bauliche Maßnahmen wie die Errichtung von Photovoltaikelementen auf einem Zinshausdach müssen sich schließlich die Eigentümer:innen einig werden. “Für bestimmte Änderungen, wie die Einrichtung von Stromzapfsäulen für E-Autos, reicht eine einfache Mehrheit”, betont Musil.

Eine kluge Eigentümeranalyse könne in jedem Fall helfen, ein stadtplanerisches Konzept umzusetzen - egal ob es um eine nachträgliche Bebauung zur Verdichtung der Innenhöfe geht oder um das Potenzial für Nachbarschaftsprojekte wie Urban Gardening. “Die Eigentümer:innen sind immer essentiell", betont der Stadtforscher. Bisher werde in der Stadtplanung allerdings noch zu wenig Aufmerksamkeit auf die Frage gelegt, ob diese ein Projekt mittragen - oder auch verhindern. "Unsere Studien zeigen, dass das Potential des Grundbuches aufgrund der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten für die Stadtplanung enorm ist ”, ist Musil jedenfalls überzeugt. 

 

Auf einen Blick

Publikation

Robert Musil, Florian Brand & Maximilian Wonaschütz, Wem gehört die gebaute Stadt? Eigentumsanalyse als Instrument der Bestandsstadt-Entwicklung. Standort (2022)
DOI: 10.1007/s00548-022-00809-y

Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit Florian Brand von HuB Architekten.