12.01.2023 | Colloquium Digitale

Auf dem Weg zum digitalen Klassenzimmer

Wie gestaltet sich die Digitalisierung der Schulen in Österreich? Mediendidaktiker Josef Buchner gab darauf im Rahmen der ÖAW-Veranstaltungsreihe "Colloquium Digitale" in Linz Antworten.

Aufnahme eines Klassenzimmers von oben mit vor Laptops sitzenden Kindern
Die Digitalisierung der Schulen ist mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. © Adobe Stock

Der Digitalisierung der Schulen in Österreich wurde in der Corona-Pandemie durch Entwicklungen neue Aufmersamkeit zuteil. Aber wo steht unser Bildungssystem inzwischen, insbesondere nach den Erfahrungen aus Home-Schooling, Distance Learning und Schul-Tablets?

Mit dieser Frage befasste sich der Mediendidaktiker Josef Buchner von der PH St. Gallen am 12.1. im  Rahmen des ÖAW-Colloquiums “Digitalisierung, Mensch und Gesellschaft”. Unter dem Titel “Digitalisierung in der Bildung - Ein Kinderspiel?” beleuchtete er dabei unterschiedliche Aspekte bei der Digitalisierung des Klassenzimmers. Im Interview schildert er, welche Herausforderungen zu bewältigen sind, wie man mit Sorgen von Eltern umgeht und warum es nicht reicht, Schüler:innen mit Tablets zu versorgen.

Online-Leben vs. reales Leben

Warum ist der Einsatz von neuen, digitalen Hilfsmitteln in Klassenzimmern umstritten?

Josef Buchner: Es gibt sehr viele Meinungen zu dem Thema und die Evidenz aus der Forschung ist in vielen Bereichen mangelhaft. Das Problem ist, dass oft Schwarzweißdenken vorherrscht, was bei der enormen Komplexität des Themas nicht hilfreich ist. Es wird zum Beispiel oft zwischen dem Online-Leben und dem “realen Leben” unterschieden. Wissenschaftler:innen wie Luciano Floridi sagen hingegen, dass unser Alltag heute fast überall von Technologie geprägt ist und die digitale und reale Welt miteinander verschmelzen. Floridi nennt das “Onlife” und nimmt damit vielen Vorurteilen den Wind aus den Segeln.

Es gibt viele Möglichkeiten, innovative Technologie in den Unterricht zu integrieren, dafür müssen sich Methode und Medium aber immer aufeinander beziehen."

Was sind die größten Missverständnisse?

Buchner: Ein problematischer Punkt ist die Annahme, dass Technologien alleine wirksam sein können. Lehrer:innen wissen, dass neue Medienformen ohne ein entsprechendes didaktisches Konzept keine Vorteile bringen, aber in der Forschung wird trotzdem oft nur die technologische Seite berücksichtigt. Ich habe mit Kollegen Anfang Jänner eine Übersichtsarbeit veröffentlicht, in der wir das untersucht haben. In vielen Fällen wurde der Einsatz von Augmented Reality mit herkömmlichen Videos oder anderen traditionellen Medienformaten verglichen. Solche Vergleiche sind jedoch fehlerhaft, da sie die Komplexität des Lehrens und Lernens ignorieren und einzig auf eine Technologie zurückführen. Es gibt viele Möglichkeiten, innovative Technologie in den Unterricht zu integrieren, dafür müssen sich Methode und Medium aber immer aufeinander beziehen. Das ist selbst in der Forschung leider noch nicht überall angekommen.

Von Lehrplan und ChatGPT

Die Kinder brauchen die nötigen Fähigkeiten und das Wissen über die digitale Welt, um die neuen Medien auch gestalterisch nutzen zu können."

Was spricht neben den neuen Möglichkeiten, Inhalte anschaulich zu vermitteln, für digitale Hilfsmittel im Unterricht?

Buchner: Eine wichtige Aufgabe von Bildung ist, die Schüler:innen auf das Leben vorzubereiten. Dazu gehört in einer digitalisierten Welt auch, den richtigen Umgang mit den gängigen Medien zu vermitteln. Technologische Innovationen verändern unseren Alltag ständig und das muss auch in den Klassenzimmern reflektiert werden. Der Umgang mit Fake-News zum Beispiel erfordert sicher didaktische Innovationen. Die Kinder brauchen die nötigen Fähigkeiten und das Wissen über die digitale Welt, um die neuen Medien auch gestalterisch nutzen zu können. Sie sollten wissen, wie eine Suchmaschine funktioniert und nach welchen Kriterien die Ergebnisse gereiht werden. 

Die Digitalisierung schreitet extrem schnell voran. Kann ein Lehrplan da überhaupt Schritt halten?

Buchner: Einerseits können Lehrer:innen natürlich nicht jede Innovation gleich aufgreifen. Aktuelle Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz zeigen das ganz gut. Die KI-basierte Software “ChatGPT”, die auch maßgeschneiderte Hausarbeiten schreiben kann, wurde in New Yorker Schulen kürzlich einfach verboten, weil die Entwicklung zu rasch gekommen ist. Andererseits ist es aber auch in Ordnung, erst einmal abzuwarten und der Wissenschaft Zeit zu geben, Neuerungen zu analysieren. Danach wissen wir, wie ein Werkzeug überhaupt verwendet werden kann und welche Geschäftsmodelle dahinter stehen. Die Schulen sollen nicht jedem Trend nachlaufen, aber auch nicht 20 Jahre warten, bis sie auf bereits etablierte Neuerungen reagieren.

Lernen durch Gestalten

Wie kann man den Umgang mit Medien vermitteln?

Buchner: Kinder lernen viel, wenn man sie selbst gestalten lässt. Ich habe meine Klassen in meiner Zeit als Lehrer zum Beispiel manchmal Werbeclips drehen lassen. Dadurch haben sie gelernt, wie das Medium funktioniert und welche Techniken eingesetzt werden, um Produkte zu verkaufen. 

Was derzeit fehlt, sind Lehrer:innen, die diese Inhalte auch kompetent vermitteln können."

Wie gut ist Österreich im Bereich digitale Bildung aufgestellt?

Buchner: Ich denke, wir sind schon relativ weit. Heuer gibt es in Mittelschulen und AHS erstmals das verpflichtende Fach “Digitale Grundbildung”. Das ist ein wichtiger und bemerkenswerter Schritt. Was derzeit fehlt, sind Lehrer:innen, die diese Inhalte auch kompetent vermitteln können. Wir haben zwar Personal für den Informatikbereich, aber für die ebenfalls wichtigen Teilbereiche Digitalisierung und Medienbildung fehlen Lehrer:innen. In diesen Bereichen brauchen wir auch Fachprofessuren, um die Ausbildung zu professionalisieren. Die Schweiz kann hier ein Vorbild sein, dort gibt es das Fach “Medien und Informatik” schon seit 2016 und Unis und Pädagogische Hochschulen haben entsprechende Professuren eingerichtet. 

Gibt es noch Widerstand gegen den Einsatz digitaler Technologien in den Schulen?

Buchner: Aus eigener Erfahrung in Österreich weiß ich, dass es unter den Lehrer:innen sowohl Befürworter als auch Kritiker:innen gibt. Beide Seiten hätten gerne einen eindeutigen wissenschaftlichen Beweis für oder gegen die Wirksamkeit, der aus den eingangs erwähnten Gründen aber nur schwer zu erbringen ist. Nur Tablets in die Klassen zu schmeißen, hat sicher noch nie geholfen, die müssen schon auch richtig eingesetzt werden. 

Eine Frage der Professionalisierung

Ist das unter den Lehrer:innen eine Generationenfrage?

Buchner: Eher ist es eine Frage der Professionalisierung. Wer mehr weiß und entsprechende Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien hat, fühlt sich sicherer im Umgang und entsprechend werden neue Technologien auch verstärkt zur Förderung der Schüler:innen im Unterricht eingesetzt.

Wer virtuell durch ein menschliches Herz reisen kann, bekommt eine bessere Vorstellung von der Funktion."

Kinder nutzen heute vielfach digitale Medien in ihrer Freizeit. Kann die zusätzliche Bildschirmzeit in der Schule zum Problem werden?

Buchner: Dazu bekommen wir oft Anfragen von Eltern. Wenn man sich die Faktenlage genauer anschaut, sieht man schnell, dass hier oft Korrelationen und Kausalzusammenhänge verwechselt werden. Wenn ein übergewichtiges Kind viele Videospiele spielt, können wir nicht wissen, was zuerst kam, das Spielen oder das Übergewicht. Daraus abzuleiten, dass viel Zeit vor dem Bildschirm zu Übergewicht führt, ist schlicht nicht möglich. Die Zusammenhänge sind auch hier sehr komplex. Zusätzliche Bildschirmzeit in der Schule sehe ich nicht als problematisch, weil sie im Schnitt für das Medienbudget der Kinder kaum eine Rolle spielt. Aus pädagogischer Sicht ist es aber wichtig, die Einführung neuer Technologien zu begleiten. 

Wie könnte das aussehen?

Buchner: Wenn Kinder ihre Schultablets mit nach Hause nehmen dürfen und Eltern besorgt sind, würde ich einen Elternabend empfehlen, bei dem erklärt wird, dass Tablets enorme Vorteile bei der Visualisierung komplexer Inhalte bieten. Wer virtuell durch ein menschliches Herz reisen kann, bekommt eine bessere Vorstellung von der Funktion. Zudem kann man den Eltern empfehlen, die Tabletnutzung in der Freizeit zu begrenzen. Sie könnten mit ihren Kindern zum Beispiel eine Stunde lang die Inhalte aus der Schule am Tablet nochmal durchgehen und das Gerät dann wegsperren. Hier sollten auch individuelle Bedürfnisse, etwa auch abhängig vom Alter, zusätzlich berücksichtigt werden.

 

Auf einen Blick

Die Veranstaltung "Digitalisierung in der Bildung – ein Kinderspiel?" fand am 12. Jänner 2023 im Rahmen der ÖAW-Veranstaltungsserie Colloquium Digitale statt.

ÖAW Colloquium Digitale