Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 113 (2000)


Ioannes Cavallinus de Cerronibus. Polistoria de virtutibus et dotibus Romanorum, recensuit Marc Laureys. Stuttgart - Leipzig: Teubner 1995. LXII, 375 S. (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana.) ISBN 3-8154-1128-9

Mit dem vorliegenden Band erweitert die Bibliotheca Teubneriana ihr Programm mittel- und neulateinischer Autoren um einen wenig bekannten, bisher nur teilweise edierten Text (R. Valentini - G. Zucchetti, Codice topografico della Città di Roma IV, 1953, 20 – 54), der die Rombegeisterung der frühen Renaissance im geistigen Umfeld Francesco Petrarcas dokumentiert.
Der aus stadtrömischer Familie stammende Autor, Giovanni Cavallini dei Cerroni, war von 1325 bis zu seinem Tod im Jahr 1349 als scriptor an der päpstlichen Kurie in Avignon tätig. Seine philologischen und historischen Interessen lassen sich durch Annotationen zu Valerius Maximus (Vat. Lat. 1927) und zum Liber Pontificalis (Vat. Lat. 3762) illustrieren, die in seinen letzten Lebensjahren verfaßte und Papst Clemens VI. gewidmete Polistoria dürfte jedoch sein einziges selbständiges Werk geblieben sein.
Das in vier Handschriften (Guelferbytanus 47 Gud. lat.; Novariensis XLII; Vaticanus Ottobonianus Latinus 1261; Vaticanus Rossianus 728) überlieferte Werk versucht in 10 Büchern, ein umfassendes Bild von Geschichte, Topographie und Institutionen des heidnischen wie christlichen Rom zu geben und kann so als Vorläufer von Flavio Biondos Roma instaurata angesehen werden. (Eine ausführliche Charakteristik bietet der Editor: Between Mirabilia and Roma Instaurata, Giovanni Cavallini's Polistoria, in: Avignon & Naples. Italy in France – France in Italy in the Fourteenth Century, ed. M. Pade, Rom 1997, 101–116.) Cavallini stellt sich inhaltlich in die Tradition der römischen Pilgerführer (repräsentiert durch die Mirabilia urbis Romae), verbindet topographische Daten (6, 22 De nominibus portarum urbis, 7 De septem montibus, 8 über die regiones Roms) jedoch mit dem rhetorischen Genus des Städtelobs (z. B. 10, 1 De situ et ubertate loci in quo sita est Roma; 10, 2 De dotibus Ytaliae). Formal ist die Darstellung geprägt von der in mittelalterlichen Enzyklopädien üblichen compilatio, die in Auswahl und Anordnung des Quellenmaterials die eigentliche Aufgabe des Autors sieht: Über weite Strecken bietet Cavallini daher Exzerpte antiker Autoren, unter denen Cicero, Livius (Cavallini benützt bereits die von Petrarca wiederentdeckte 4. Dekade!) und Valerius Maximus an erster Stelle stehen, während Dichter fast völlig fehlen.
Die Intention des Autors liegt jedoch keineswegs ausschließlich im Präsentieren von Sachinformation: Cavallini betont den moralischen Vorbildcharakter Roms (1, 9 De Roma magistra publica dignorum exemplorum), ja er scheint den Römern seiner Zeit einen Spiegel vorhalten zu wollen. So schreckt er nicht vor – zum Teil massiven – Eingriffen in den Originaltext zurück, setzt eigene neue Akzente, ja verkehrt den Sinn sogar ins Gegenteil. Sein besonderes Anliegen ist es, die Kontinuität zwischen heidnischem und christlichem Rom aufzuzeigen (wie sie besonders deutlich an programmatischer Stelle 1, 3, 4/5 in der Gegenüberstellung von Livius 5, 55, 1 und Val. Max. 1,  5, 1 signifer statue signum; hic manebimus optime mit der Quo vadis-Szene zum Ausdruck kommt) und so die außergewöhnliche Stellung Roms als Zentrum der Welt zu begründen. Diese Grundtendenz findet einen aktuellen Bezug in der zeitgenössischen Diskussion über die Autorität von Papst und Kaiser – ein Thema, dem die letzten Kapitel des Werks gewidmet sind (10, 8 De potestate papali et eius singulari monarchia, a qua omnis sacerdotalis auctoritas, imperialis et regalis potestas dependet et regitur).
L. hat den von ihm edierten Text durch reiche Indices (fontium, locorum, auctorum e quibus Caballinus locos tacite mutuatus est, nominum, rerum, vocabulorum vulgarium, geographicus) erschlossen; besondere Beachtung verdient der mit kurzen Erklärungen versehene index urbis Romae topographicus; mit ihm ist der Edition ein Arbeitsinstrument beigegeben, das in Verbindung mit dem apparatus fontium einem Kommentar gleichkommt.
Elisabeth Klecker
 

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