Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 112 (1999)


Gérard Capdeville, Volcanus. Recherches Comparatistes sur les Origines du Culte de Vulcain. Rome: École Française de Rome, Palais Farnèse 1995. 519 S. Illustr. (Bibliothèque des Écoles Françaises d'Athènes et de Rome. 288.) ISBN 2-7283-0272-3

C. vertritt eine erstaunliche These: er nimmt für Vulcanus nicht allein Bezüge zum etruskischen Velχans an, sondern auch eine innere Verbindung zu dem kretischen Ϝελχάνος (von dem wir so gut wie nichts wissen); diese Annahme gründet in der Namensanalogie, die C. für nicht zufällig hält. Um eine solche Gleichung herstellen zu können, setzt C. einen gemeinsamen Archetyp an, der dann natürlich nicht indo-europäisch sein konnte - C. setzt sich also dezidiert von Dumézil ab -, sondern im Prae-indo-europäischen (d. h. im Palaeolithicum) gedacht werden muß; und dieser Gott sei als Parhedros einer weiblichen Gestalt, seiner Mutter und Gattin (der ,Großen mediterranen Muttergöttin'), aufzufassen.
Dieser Gott sei wie Vulcanus (und seine etruskische und kretische Entsprechung) ein Gott des Feuers und ursprünglich zugleich Gott der Feuerpraktiken bei der Initiation der männlichen Jugend gewesen - allerdings ist auch dem Indo-europäischen eine solche Auffassung des Feuergottes nicht fremd gewesen (Dumézil verwies auf die kriegerische Initiation durch Feuer); den Beweis für die Funktion eines alten Initiationsgottes Volcanus/Velχans/Ϝελχάνος leitet C. aus dem römischen Mythos her, oder besser, aus dem Reflex eines alten Mythos von der Feuergeburt in verschiedenen Varianten: diese Erzählungen behandelt C. gleich im 1. Teil, ,Filii Volcani' (Geburt des Servius Tullius; Caeculus; Romulus; Cacus), deren Gemeinsamkeit (neben der besonderen Geburt) in ihrer Bestimmung zur Gründung eines Staates bzw. einer Stadt oder zur Regentschaft als 'erster König' liegt. - Die Auffassung des ursprünglichen Gottes des primitiven Feuers habe im Lauf seiner Entwicklung Modifikationen erfahren: während er in Rom zum Vater des Königs (durch dessen Geburt aus dem Feuer) wurde, war er auf Kreta - analog dem Zeus - jener jugendliche (mit dem Kreislauf der Natur eng verbundene) Gott, der selbst den künftigen König darstellte (Teil 2). Im 3. Teil, der die allgemeinen etruskischen Gegebenheiten ausführlich bespricht ('Théologie', 'Cultes locaux', 'Nom(s)', 'Monuments' und 'Légendes'), geht C. im zentralen Kapitel ,Nom(s)' (355 -379) näher auf ein Problem ein, das für seine These besonders wichtig ist: Welche Gottheit war der ,etruskische Vulcanus' - Seθlans, dessen Name auf einer Reihe von Spiegeln und auf Münzen aus Populonia erhalten ist und der, seinen Charakteristika nach, dem römischen Gott am ehesten entspricht, oder Velχans, dessen Name ja nicht eindeutig erhalten ist; er wurde erschlossen aus dem ersten Teil, velχ, der in der Götterliste der bekannten Bronzeleber von Piacenza - in der auffälligerweise der Name Seθlans fehlt - eingraviert ist; C. führt alle Belege auf, die auf Velχans deuten könnten (darunter auch die Bronze-Situla Giovanelliana aus Caslir/Trentino aus dem 6./5. Jh. v. Chr., die die Namensform Velχanu hat [Fig. 23, nicht 27!]), und nimmt für die erwähnte Frage die "existence de deux dieux correspondant au Volcanus latin" an (374).
Christine Harrauer
 

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