Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 112 (1999)


Evangelos Alexiou, Ruhm und Ehre. Studien zu Begriffen, Werten und Motivierungen bei Isokrates. Heidelberg: Winter 1995. 272 S. (Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften. N.F. 2. Reihe. Bd. 93.) ISBN 3-8253-0294-6

Diesem Buch liegt eine Diss. zugrunde, die A. auf Anregung Herwig Görgemanns an der Universität Heidelberg verfaßt hat. Die hier behandelte Ehr- und Ruhmesidee stellt einen wichtigen Teilbereich des griechischen Wertesystems dar. Das Phänomen wurde schon vielfach besprochen, aber noch nicht für den Redner Isokrates untersucht. In den umfangreichen Anmerkungen werden Material und wissenschaftliche Erörterung gut greifbar.
Die begrifflichen Grundstrukturen werden 18ff. (nicht immer tiefschürfend und überzeugend; vgl. z. B. die unscharfe Differenzierung von δόξα, 27ff.) analysiert, wobei die einzelnen Begriffe stets in den geisteswissenschaftlichen Kontext gestellt sind. Der zentrale Begriff φιλοτιμία ist z. B. in seiner Ambivalenz dargestellt (47ff.): Es gibt ein richtiges, aber auch ein übertriebenes Streben nach Ehre (bei Euripides konstatiert A. vornehmlich die negative Form; etwas anders der Rez., zu Iph. Aul. 22). Bei Isokrates ergibt sich eine große Bandbreite zwischen einem ehrenhaften Streben nach Anerkennung und den zentrifugalen Kräften, die sich aus dem Pleonexie-Streben des Einzelnen ergeben. Im Kapitel über den Ehrbegriff im rhetorisch-erzieherischen Konzept des Isokrates (55ff.) zeigt A. vor allem anhand der Antidosis-Rede, wie sehr der Autor neben der adäquaten Wahl des Stoffes auch auf ästhetische Komponenten und auf den Einsatz der Intellektualität Wert legt (58). Isokrates spricht hier von seiner φιλοσοφία (die in der Nähe der φιλοτιμία anzusiedeln sei; vgl. auch 174, Anm. 10). Dazu fügt sich, daß Erfolg und Anerkennung bei Isokrates in Verbindung mit ethischen Prinzipien (z. B. φρόνησις und δικαιοσύνη) gesehen werden, die aber nicht wie bei Platon nur um ihrer selbst willen angestrebt, sondern ganz wesentlich auch als Mittel zum Erreichen äußerer Güter verstanden werden (63). Im zentralen Kapitel "Ruhm und Phänomen der φιλοτιμία" (88ff.) wird der φιλότιμος anhand der Gestalten des Euagoras (98ff.), des Nikokles (104ff.) und insbesondere des Philippos (118ff.) dargestellt. Die bereits im Panegyrikos und in der Friedensrede wichtigen panhellenischen Gedanken machen im Philippos das zentrale politische Programm des Isokrates aus: sein Vorschlag ist die Einigung der Griechen unter einer überragenden Persönlichkeit und der gemeinsame Kampf gegen die ‚Barbaren'. Der Lohn des Führers wäre vielfältig, seine δόξα aufgrund der Gemeinnützigkeit μεγίστη und καλλίστη. Neben Philippos und andere Größen der Geschichte und Mythologie stellt sich Isokrates selbst (132ff.) als ἀνὴρ φιλότιμος mit einem Selbstbewußtsein, das für den Heutigen gewiß übersteigert anmutet (nicht so A.). Angesichts des Versagens der Tagespolitiker müsse die geistige Elite in die Bresche springen mit ihrem Rat, aber auch mit dem Angebot einer Erziehung, die dem Anspruch Athens genüge, παίδευσις τῆς Ἑλλάδος zu sein.
Walter Stockert
 

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