Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 112 (1999)


Annie Berner-Hürbin, Hippokrates und die Heilenergie: Alte und neue Modelle für eine holistische Therapeutik. Basel: Schwabe 1997. 528 S., 25 Abb. ISBN 3-7965-0881-2

Anliegen der Autorin ist es, die Fülle medizinischen Wissens, die im Corpus Hippocraticum enthalten ist, aufzufinden, zu übersetzen und für heutige Heilwissenschaften, insbesondere die Psychotherapie, nutzbar zu machen. Der somatisch ausgerichteten Medizin unserer Zeit wird das holistische Heilprinzip der Antike – der Körper wird hier prinzipiell über die Seele geheilt (17) – gegenübergestellt, wobei die Erschließung neuer Heilressourcen erklärtes Ziel ist. Letzteres bleibt unerreicht. Schuld daran ist hauptsächlich die undifferenzierte Vorgangsweise bei der Aufarbeitung des überlieferten Textes, der eher einer modernen, esoterisch anmutenden Denkweise unterworfen und so interpretiert wird. Die hartnäckige Suche nach einer verborgenen Bedeutung, die den hippokratischen Formulierungen zugrunde liegen soll, erschwert den Zugang zum Corp. Hipp. vielmehr anstatt ihn zu erleichtern. Zwar wird der Versuch unternommen, das Corp. Hipp. aus der Sicht vorsokratischer und platonischer Tradition zu beleuchten, doch auch das scheitert. Platon sind acht wenig gehaltvolle Seiten gewidmet (82– 90), an das Platonkapitel schließt, für den Leser überraschend, das Kapitel "Frauen in der Heilkunst" (90 – 99) an. Beim Heranziehen alter indischer Philosophiesysteme (80) sowie indischer (Ayurveda, 33) und chinesischer Heilkunde (105) bleibt es bestenfalls bei einem Verweis auf dieselben. Nicht-Esoterikern ist zur Erleichterung des Verständnisses der Deutung durch die Autorin ein Glossar beigegeben (23 –28). Trotz alledem erschließen sich der platonische Dialog Symposion und der Hippokratische Eid als "Energiekörpermeditation" und "Ritual" (386) nur schwerlich und leuchten möglicherweise als solche überhaupt nur Absolventen des Szondi-Institutes in Zürich ein, von dem die Autorin für ihre Arbeit mit dem Szondi-Preis 1995 ausgezeichnet wurde.
Maria-Christine Leitgeb
 

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