Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


Bruce Heiden, Tragic Rhetoric. An Interpretation of Sophocles` Trachiniae. New York - London - Bern: Lang 1989. XII, 204 S. (Hermeneutic Commentaries. 1.) ISBN 0-8204-0951-0

Der Verf. hat sich im Anschluß an Cedric H. Whitmans Sophoklesstudien (Cambridge, Mass. 1951) zum Ziel gesetzt, "hidden elements" in der Sprache des Sophokles aufzudecken, zu deuten und den Einfluß der Sophistik und der Rhetorik auf den Tragödiendichter zu beleuchten. Letzteres geschieht überzeugend: Immer wieder weist H. auf den Grundtenor des Stückes, die Suche nach Gewißheit durch die Hauptpersonen, vor allem Deianeira, hin, eine Suche, die von der Widersprüchlichkeit eines anderen Motivs untermalt ist, dem Motiv der Unmöglichkeit etwas zu wissen, es sei denn vergangen. Sophistisch erscheint auch Deianeiras Agieren auf der Basis von Wahrscheinlichkeit (εἰκός).

Besonders gelungen ist das Aufzeigen der rhetorisch meisterhaften Gestaltung der Botenreden. Der Bote vermittelt mehr als bloße Tatsachen, er verfolgt, wie durch H. offensichtlich gemacht wird, eine bestimmte Absicht, nämlich die Erwerbung der Gunst Deianeiras, mit der eine materielle Entlohnung einhergeht. Die Botenreden sind somit ein Dokument der Rhetorik zur Zeit des Dichters.

Genauigkeit im Vorgehen und Feinfühligkeit bei der Untersuchung des Textes führen zu zahlreichen wertvollen Beobachtungen und machen den Kommentar zum möglichen Ausgangspunkt für das Verständnis der Tragödie. Durch das leider allzu häufige Anlegen moderner psychologischer Maßstäbe wird m. E. gerade Letzteres jedoch nicht erreicht. Die Deutung des Stückes wirkt verzerrt. Anstelle des Begreifens eines Vorgangs steht die Interpretation von Zeichen. H. entwickelt die Tragik des Stückes fast ausschließlich aus der Person der Deianeira. Unter gleichzeitiger Anführung einer Vielzahl von Motivationen für ihr Handeln (ihrer Angst vor der Ungewißheit, der Sorge um ihren Ruf, ihrer angeblich ablehnenden Haltung gegenüber der Ehe aus Furcht vor dem Männlichen überhaupt) verabsäumt es H., ihre Rolle im Geschehen wirklich herauszuarbeiten. Um wieviel tiefer für das Verständnis des Werkes ist da Heinrich Weinstocks Erläuterung der "Dreiheit der Motive": "Da der Dichter die menschliche Urtragik (tödliche Verkehrung des Willens gegen sich selbst) aus der Frauentragik (die Beständige ist dem Schweifenden verfallen) hervorgehen läßt, braucht er den Mann, dem nun wieder seine Tragik (Selbstzerstörung durch Maßlosigkeit) zugesellt werden mußte." (H. Weinstock, Sophokles, Leipzig 1931, 144). H. hat, indem er die verborgenen Elemente in der Sprache der Trachinierinnen zwar anspricht, sie aber nicht zu deuten vermag, wenigstens zum Teil sein Ziel verfehlt.

Maria-Christine Leitgeb
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