Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


L. Annaeus Seneca, Naturalium quaestionum libros recognovit H. M. Hine. Stuttgart-Leipzig: Teubner 1996. LI, 331 S. (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana.) ISBN 3-8154-1792-9

Nach zahlreichen Vorstudien und einer kommentierten Edition des zweiten Buchs legt H. nun - fast 90 Jahre nach Gerckes editio Teubneriana - eine komplette Ausgabe der Naturales quaestiones vor, die wohl für künftige Beschäftigung mit diesem Spätwerk Senecas grundlegend sein wird. Der neuerstellte Text stützt sich vornehmlich auf zehn Codices aus dem 12. bis 15. Jh., hinzu kommt das Florilegium in Clm 18961 aus dem Ende des 9. Jh. Für die Bewertung der Handschriften kann neben Textverderbnissen die unterschiedliche Buchabfolge als wichtiges Kriterium gelten; da Hine die Hypothese vertritt, die genuine Buchabfolge sei 3, 4, 5, 6, 7, 1, 2 gewesen, die im Archetypus zu 4b, 5, 6, 7, 1, 2, 3, 4a verändert worden sei, kann er Vertreter der letztgenannten Einteilung jeder der Handschriftengruppen zuordnen. Wie gewagt freilich der Versuch ist, aus (vermeintlichen) Vorverweisen und Rückbezügen eines Autors so weitreichende Schlüsse wie jene auf die ursprüngliche Textanordnung zu ziehen, zeigt mutatis mutandis die Geschichte der Lukrez-Philologie. - Die Textgestaltung selbst bietet mitunter auf handschriftlicher Grundlage Neues und dürfte somit frühere Konjekturen überflüssig machen; ob nicht einige dieser Lesarten das Ergebnis mittelalterlicher Korrekturen sind, sei dahingestellt. Die Interpunktion verrät eine intensive Auseinandersetzung des Editors mit dem Text und gibt dem Leser jene Hilfen an die Hand, die er früher oft vermissen mußte. Wenn auch zuzugeben ist, daß durch diese Edition nicht alle textkritischen Probleme gelöst wurden, bedeutet H.s Ausgabe zweifellos einen wichtigen Fortschritt in der Seneca-Forschung.

Dorothea Weber

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