Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


Seneca, Epistulae morales ad Lucilium, liber X. Briefe an Lucilius über Ethik 10. Buch, lateinisch/deutsch, übersetzt und herausgegeben von Rainer Rauthe. Stuttgart: Reclam 1995. 72 S. (Universal-Bibliothek. 2142.) ISBN 3-15-002142-1

Der vorliegende Band setzt die Reihe der im Verlag Reclam erscheinenden zweisprachigen Seneca-Ausgaben mit den drei Briefen (ep. 81-83) des zehnten Buchs der 'Epistulae morales ad Lucilium' fort. Der Text folgt wie in den vorangegangenen Bänden mit einigen wenigen, durchwegs begründbaren Änderungen, die der Hrsg. teilweise in den Anmerkungen rechtfertigt, der Oxford-Edition von L. D. Reynolds, eine zusätzlich eingeführte Absatzgliederung erleichtert das Verständnis des Argumentationszusammenhangs. Die Neuübersetzung von R. Rauthe formuliert leider teilweise zumindest mißverständlich. Einige Beispiele seien herausgegriffen: Was bedeutet "da ja sowohl Wohltaten als auch Ungerechtigkeiten mit der Einstellung der Seele übereinstimmen"? (ep. 81, 5 quoniam animo et beneficia et iniuriae constant, gemeint ist natürlich, daß sowohl Unrecht, das man einem anderen zufügt, als auch Wohltaten nach der dahinterstehenden Absicht beurteilt werden müssen); die Übersetzung "der eine hat dem anderen Dank durch die Tat abgestattet" (ep. 81, 9 ille illi gratiam rettulit als Beispiel für den Gebrauch der lateinischen Phrase gratiam referre) entspricht nicht dem deutschen Sprachgebrauch, die treffende Übertragung wäre "er hat ihm ..."; die Übertragung von Senecas zugegebenermaßen nahezu unübersetzbaren Reflexionen über Herkunft und Bedeutung der lateinischen Wendung gratiam referre (ep. 81, 9/10) wäre ohne Blick auf den lateinischen Text kaum verständlich. Positiv zu vermerken ist der Versuch, in den Anmerkungen nicht nur Sachinformationen, sondern auch Hilfe zum Erfassen des Sinnes zu geben sowie auf Stilmittel einzugehen (wenngleich manche Erklärungen nicht unbedingt nötig wären, z. B. Anm. 1-3 zu ep. 81, und die Interpretation stilistischer Phänomene manchmal etwas schülerhaft klingt, z. B. Anm. 7 zu ep. 82).

Margit Kamptner

Home