Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


Martin Ferguson Smith, The Philosophical Inscription of Diogenes of Oinoanda. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1996. 234 S., 217 Abb. auf 64 Tafeln. (ÖAW. Philos.-hist. Kl. Denkschr. 251 = ETAM. 20.) ISBN 3-7001-2596-8

Die Aufdeckung der den Epikureismus propagierenden Inschriften des Diogenes von Oinoanda (den man mit Smith in die erste Hälfte des 2. Jh. n. Chr. setzen wird) beginnt in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit den Arbeiten der Franzosen Holleaux, Paris, Cousin und Diehl, setzt sich fort mit den Aufnahmen der Österreicher Heberdey und Kalinka und findet einen (hoffentlich nur vorläufigen) Abschluß mit dem langjährigen und intensiven Einsatz von M. F. Smith (ab 1968) und den englischen Grabungen im nordlykischen Oinoanda (mit Unterbrechungen von 1974 bis 1994). Was vor den Arbeiten von Smith erreicht war, läßt sich aus den Fragmentsammlungen von A. Grilli (Mailand 1960) und C. W. Chilton (Leipzig 1967) ersehen, und jetzt hat Smith selbst die früheren und die eigenen Ergebnisse in zwei Editionen von verschiedener Zielsetzung zusammengefaßt. Die eine, ,Diogenes of Oinoanda, The Epicurean Inscription, ed. with introd., transl., and notes', ist 1993 in Neapel bei Bibliopolis erschienen und liefert die wesentlichsten Materialien für eine Exegese; die zweite, hier anzuzeigende, konzentriert sich auf die Präsentation eines möglichst gesicherten Textes, der auch gegenüber der Ausgabe von Neapel an einigen Stellen erneuert und vermehrt ist. Auf vollen kritischen Apparat und sachlichen Kommentar wird verzichtet, dagegen sind genaue Angaben zu den Inschriften gegeben: "scale-drawings and descriptions of the stones, numerous photographs, and details of the find-place of each fragment". Die beiden Ausgaben ergänzen einander also und werden künftig miteinander zu benützen sein.

Als Hinweis und Beispiel mag einer der Texte gegeben werden, wo in der Wiener Ausgabe ein wesentlicher Fortschritt erreicht scheint, col. II des 1970 gefundenen fr. 72 Smith. Die Ergänzung des Endes von col. I ist dabei hier aus der Ausgabe 1993 noch hinzugefügt, auch eine kleine Änderung eingeführt, um den beiden augmentlosen Verbalformen in Smiths Text (κάψεν und ξάνθη) gerecht zu werden: Das Fehlen des Augments ist im ersten Fall nur scheinbar (schreibe καἴκαψεν) und im zweiten Signal eines poetischen Textes, den man vielleicht auch etwas anders als angegeben abgrenzen kann.

(col. I) τέλος δ᾽ εὗρ]εν | καταφυγὴν ἐπὶ] τῶν | (col. II) πετρῶν, ἀφ ἧς οὐκέ|τ᾽ αὐτὸν εἴσχυσεν ἀνα|φορῆσαι ἡ θάλασσα καὶ | ῥῆξαι πάλιν. συνετρίβη | μὲν οὖν, ὥσπερ εἰκός, καἴκαψεν· ξάνθη ἁλι|βρῶσι περιπεσὼν λίθοις. | διένη[χ]ε δ᾽ οὖν καὶ κατὰ μεικρὸν ἐκ τ[οῦ] δείν[ου]. | ἐν οἷς δὲ χρόν[ο]ις α[ἱ] τῶ[ν] | κυμάτων ἐπεμπτώσει[ς] | διελίμπανον, εἰς τὸ ξη|ρὸν ἐσώθη μόγις ἐγδε|δαρμένος ἀκρειβῶς | (col.III) ὅλος. κτλ.

Der Text handelt von einem Schiffbruch Epikurs und sei hier auch mit einem Übersetzungsversuch noch verdeutlicht: "(Schließlich fand er einen geschützten Platz im Bereich) der Felsen, und von dort fort hatte das Meer nicht mehr die Kraft, ihn wieder in die Tiefe zu saugen und sodann wiederum hochzureißen. Dort fand er sich also, wie man sich denken kann, zerschlagen und (Meerwasser) schluckend, fand er im Schiffbruch sich geschunden auf meerzerfressenem Gestein und versuchte also auch, nach und nach von dem Strudel davonzuschwimmen. So kam er schließlich, während der Zeiten, wo der Angriff der Wogen Pause machte, wahrhaftig ganz und gar zerschunden und nur mit Mühe gerettet, auf das trockene Land."

Unsere kleine Änderung mag, soferne sie richtig ist, zeigen, daß auch weiterhin Arbeit an diesen Texten notwendig ist. Der Blick auf den als Beispiel gegebenen Text kann aber auch verdeutlichen, wieviel an wertvollem Neuem der eindrucksvollen Leistung und dem konsequenten Einsatz von Martin F. Smith verdankt wird.

Hans Schwabl

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