Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


Euripides, Electra. Edidit Giuseppina Basta Donzelli. Stuttgart -Leipzig: Teubner 1995. XXXVIII, 83 S. (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana.) ISBN 3-8154-1325-7

Nach einer Reihe sorgfältiger Vorarbeiten (seit ihrem Elektra-Buch aus dem Jahre 1978) legt D. nun einen neukonstituierten Text der Tragödie vor. Gegenüber der Edition von J. Diggle (Euripidis Fabulae t. II, Oxford 1981) sind drei Papyrusbruchstücke hinzugekommen. D. bietet eine umfangreiche Bibliographie, es fehlt aber ein Verzeichnis der in den textkritischen Apparat nicht aufgenommenen Konjekturen, das doch mittlerweile zum Kennzeichen der Teubner-Ausgaben geworden ist (Medea, ed. H. van Looy; Hippolytos, ed. W. Stockert). Auch eine Liste der Abweichungen von Diggles Text wäre willkommen; gewöhnungsbedürftig ist das veränderte Klammersystem, denn D. setzt die Papyrus-Bruchstücke wie Papyrus-Editionen mit den entsprechenden Editionszeichen in den Text (notwendig eigentlich nur für die Verse 367-379). - Welch ein Beginn, wenn die Hälfte des ersten Verses inter cruces gesetzt ist! Ὦ γῆς †παλαιὸν Ἄργος†, Ἰνάχου ῥοαί, κτλ. schreibt D., wie auch Diggle, und vermutet, daß die beiden Wörter aus einer Erklärung zu einem jetzt nicht mehr erkennbaren Text eingedrungen seien. Gut möglich; viel eleganter aber ist es, ἄργος nicht als Eigennamen zu schreiben, wie Murray es 1904 getan und Denniston (1939) gebilligt hat, mit Verweis auf Kall. fr. 299,2 Pfeiffer: ἄργος, das ist πεδίον. Gewiß, das Wort ist selten und erst bei Kallimachos belegt, dennoch aber besser als die Crux und besser als alle Änderungsvorschläge (Diggles Apparat führt nicht weiter; entscheidend scheinen mir Dennistons Beobachtungen zur Vorliebe des Euripides für Etymologisierungen). - Zu Vers 123: ὦ πάτερ, σὺ δ᾽ ἐν Ἀίδα / κεῖσαι ᾽κ σᾶς ἀλόχου σφαγεὶς / Αἰγίσθου τ᾽, Ἀγάμεμνον (122-124, Text von D.). In 123 ändern alle Hrsg. das in L überlieferte σᾶς ἀλόχου σφαγεὶς seit Porson und Hermann zu σφαγαῖς, obwohl ein genetivus auctoris möglich ist, wie auch Euripides, Orestes 497 πληγεὶς θυγατρὸς τῆς ἐμῆς (Schwyzer-Debrunner, Griech. Grammatik II p. 119, III 1 γ). Der Text kann also unverändert bleiben, auch das von D. aufgenommene (ἐ)κ Kamerbeeks kann wegbleiben. Ähnliches gilt für Vers 369, wo Dobree (ἐ)κ in den Text forderte, der Papyrus aber dies nicht bestätigt (für Denniston kein Grund, den Satz nicht als "doubtful Greek" zu empfinden; Diggle ist unsicher). - Die Verse 373-379 und 386-390 streichen Wilamowitz und Wecklein, Diggle folgt ihnen, D. beläßt sie, wie Murrray, im Text. - In Vers 413 stimmen D. und Diggle überein und setzen den ganzen unverständlichen Satz inter cruces, nehmen die von Murray angesetzte, ganz singuläre Krasis ἐμοὐσαφιγμένων, die schon Denniston zurückgewiesen hat, nicht auf. In D.s Text kommt, wohl zu Recht, in Vers 414 eine neue crux hinzu. - Zu Vers 1058/59: Diggle schreibt 1058 mit Broadheads Verbesserungen und setzt 1059 inter cruces, D. setzt die crux am Beginn von 1058 (†ἄρα† ) und schreibt 1059 mit den Verbesserungen von Lloyd-Jones und Diggle, der selbst seinen aus verschiedenen Vorschlägen zusammengestellten Satzanfang nicht in den Text nimmt. - Die genau und gut gearbeitete Ausgabe eines schwierigen Textes bietet Anregungen zur Weiterarbeit.

Herbert Bannert
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