Wie individuelle und gesellschaftliche Bedürfnisse verändern sich auch Gesellschaften permanent. Unser Verhalten im Zusammenleben wird durch die Grundrechte und den auf sie aufbauenden rechtlichen Rahmen beeinflusst.
Gleichzeitig unterliegen auch diese Normen einem Veränderungsprozess, der durch geänderte gesellschaftliche Bedürfnisse ausgelöst wird. In Zeiten permanenten und raschen Wandels muss nun die Frage gestellt werden, ob die gesetzlichen Rahmenbedingungen den Bedürfnissen moderner Informationsgesellschaften und deren gesellschaftlicher Wertbasis noch entsprechen.
Die weite Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien ist eine der hervorstechendsten technologischen Innovationen der letzten Jahrzehnte, die massiv Einfluss auf das Zusammenleben nimmt. Digitalisierung, Miniaturisierung und Vernetzung sind die Schlüsselworte dazu. Die Internetnutzung, e-commerce, Mobilkommunikation, Chipcard-Anwendungen, biometrische Verfahren, sog. Smart Homes und Ubiquitous Computing generieren eine Unmenge von Daten. Je mehr Lebensäußerungen im elektronischen Raum abgewickelt werden, umso mehr Datenspuren hinterlassen die NutzerInnen. Die so entstehenden virtuellen Bilder realer Personen bergen die Gefahr sich zu verselbständigen. Der Missbrauch persönlicher Daten, flächendeckende Überwachung und kommerzielle Interessen sind steigende Herausforderungen für den Schutz der Privatsphäre. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien bedingen eine umfassende und vor allem oft unmerkliche Bedrohung der Privatsphäre.
Andererseits stellen Millionen von Menschen weltweit ihr Familienalbum via persönlicher Homepage aller Welt zur Schau, viele verwenden Webcams und gewähren tiefe Einblicke in ihr Privatleben. Tausende versuchen zu Talk-Shows oder Reality-TV Produktionen eingeladen zu werden, wo sie oft intimste Dinge von sich preisgeben. Diese ambivalenten gesellschaftlichen Entwicklungen – zusammen mit dem technischen Fortschritt – führen zur Kernfrage dieser Konferenz: Ist das Recht auf Privatheit ein Grundrecht mit Ablaufdatum?
Um diese Frage zu diskutieren veranstaltete das Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine internationale interdisziplinäre Konferenz zum Thema. Hochrangige Experten aus unterschiedlichsten Fachbereichen diskutierten Fragen der Philosophie der Privatheit ebenso wie soziale Grundlagen derselben. Die Entwicklung der Grundrechte, unterschiedliche internationale Politikansätze, technische Herausforderungen bzw. Lösungsansätze waren ebenso Thema, wie die Anforderungen der Nutzer und Nutzerinnen.
Die Konferenz fand am 11. November 2002 in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien statt.
Im vorliegenden Buch werden die Beiträge der vom ITA veranstalteten Konferenz „Privacy – Ein Grundrecht mit Ablaufdatum?“ vom 11.11.2002 in Wien dokumentiert. Die Konferenz bot WissenschafterInnen aus unterschiedlichen Bereichen sowie Praktikern aus Politik und Zivilgesellschaft ein Forum zum Dialog. Die vorliegenden Beiträge ausgewiesener ExpertInnen beleuchten das Grundrecht auf Privatsphäre dem entsprechend aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln. Ausgehend von der philosophischen Betrachtung der Privatheit und ihres Wertes für liberale Gesellschaften spannt sich der Bogen über eine Entwicklungsgeschichte der Grundrechte zur Diskussion der Persönlichkeitsrechte als Wirtschaftsgut. Die internationale Perspektive wird in einem Politikvergleich unter dem Titel Global Assumptions and International Governance eingebracht. Darüber hinaus finden sich in diesem Band soziologische Analysen zur Überwachung, Vorschläge wie Datenschutz durch Technik gewährleistet werden könnte und ein Beitrag zu Datenschutz als Verbraucherschutz. Abschließend wird auf aktuelle Entwicklungen in Österreich eingegangen.
This book is based on contributions to an international conference held in Vienna on November 11th 2002. The conference entitled "Privacy – a basic right with expiring date?" was a forum for an interdisciplinary dialog of experts from academia as well as politicians and representatives from civilian society. The papers in this book argue that privacy is an indispensable value in liberal societies, present an overview on the development of basic rights from the past to the present and discuss the impact of personal rights seen as economic goods. Global assumptions and international governance of information privacy are discussed in another paper. A further paper deals with the surveillance and sociological implications of sorting and integrating personal data. Technical approaches are available to overcome some of the problems mentioned above, which are presented in a contribution of privacy enhancing technologies. The book concludes with a contribution about data protection as consumer protection and an overview on the situation in Austria.