20.12.2022

Wie individuell sind unsere Gehirne?

Karolina Ignatiadis, Doktorandin am ISF der ÖAW, gibt einen Einblick in ihre Forschung zur Verbesserung der Lokalisierung des Hörzentrums im Gehirn. Die Veröffentlichung der Ergebnisse erfolgte in Frontiers in Neuroinformatics.

Mit dem Algorithmus sLORETA dargestellte Gehirnmappen. Diese Graphik und die folgende sind ein Ausschnitt aus Abb. 5 aus dem hier zitierten Artikel von Ignatiadis et al. in Frontiers in Neuroinformatics.

Die Elektroenzephalographie (EEG) ist eine sehr beliebte, nicht-invasive Methode, die sowohl in der Medizin als auch in der Forschung eingesetzt wird, um Einblicke in die Funktionsweise des menschlichen Gehirns zu gewinnen. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen jedoch um eine eher indirekte Methode, da wir keinen Zugang zum menschlichen Gehirn haben, während es funktioniert. Es ist daher eine komplexe Aufgabe, festzustellen, in welchen Hirnregionen die aufgezeichnete Aktivität ihren Ursprung hat. Zur Herstellung dieser Verbindung werden Kopfmodelle und verschiedene Algorithmen verwendet, um die Anatomie zwischen dem Gehirn und den Sensoren (z.B. menschlichem Gewebe oder Knochen) zu simulieren.

Wir gingen von der Annahme aus, dass die Genauigkeit der Identifizierung einer Hirnquelle umso besser ist, je mehr individuelle Informationen uns über eine Versuchsperson zur Verfügung stehen. Solche Informationen können durch anatomische MRT-Scans und die genaue Kenntnis der Sensorstandorte (i.e. der Elektroden) während der Experimente gewonnen werden, was jedoch oft mit einem erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden ist. In unserer Studie untersuchten wir, welche Rolle diese Faktoren bei der Identifizierung der aktiven Gehirnquellen spielen. Wir konzentrierten uns auf das Hörzentrum im Gehirn, den primären auditorischen Cortex (PAC). Der primäre auditorische Cortex ist eine sehr  kleine Region im Temporallappen des Gehirns. Der PAC ist in erster Linie für die Weiterleitung auditiver Informationen an andere Gehirnregionen verantwortlich (Abb. 1). Zusätzlich haben wir verschiedene Algorithmen verglichen, um ihre Abhängigkeit von den einzelnen Faktoren zu untersuchen.

Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, dass die Verwendung zusätzlicher individueller Informationen über die Anatomie des Gehirns und die Positionierung der Elektroden von Vorteil sind. Außerdem stützen sie frühere Überlegungen zur Verwendung eines bestimmten Algorithmus für die Untersuchung auditiver Prozesse. Solche Informationen können bei der Auswahl von Parametern für eine Studie von entscheidender Bedeutung sein, etwa durch die Berücksichtigung bestehender Einschränkungen der Experimente wie z. B. Inkompatibilitäten zwischen Implantaten und MRT-Scannern. Unsere Studie kann somit zu Entscheidungen über experimentelle Verfahren und die Zuweisung von Ressourcen beitragen.

Unser Artikel erschien in Frontiers of Neuroinformatics, in der Sonderausgabe “From the Ear to The Brain”. Im Geiste der zugängelichen Wissenschaft umfasst diese Open-Access-Zeitschrift eine beeindruckende Menge an Literatur über computergestützte Methoden in den Neurowissenschaften. Die Sonderausgabe, deren Schwerpunkt zwar das auditorische System darstellt, bietet durch eine Sammlung von themenbezogenen Beiträgen auch einen Überblick über neue Datenanalysetechniken zum besseren Verständnis des menschlichen Gehörs.

Ignatiadis, Karolina; Barumerli, Roberto; Tóth, Brigitta; Baumgartner, Robert (2022): “Benefits of individualized brain anatomies and EEG electrode positions for auditory cortex localization”, in: Frontiers in Neuroinformatics für die Sonderausgabe “From the Ear to the Brain”.
DOI: 10.3389/fninf.2022.970372