07.11.2018

Baustein des „Glückshormons“ aktiviert Immunzellen

Wissenschaftler des IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften - zeigen zusammen mit dem Boston Children's Hospital in Harvard einen völlig neuartigen Weg zur Bekämpfung von Autoimmunkrankheiten und Krebs.

Bereits seit Jahrzehnten versuchen Forscher, die vielfältigen Mechanismen unseres Immunsystems aufzudecken. Erkenntnisse daraus ebneten in den letzten Jahrzehnten den Weg für eine neue Ära der Krebstherapie: Gelingt es, das eigene Immunsystem gezielt zu aktivieren, kann sich der Körper eigenständig gegen Krebszellen und andere Eindringlinge wehren. Für diesen Ansatz, der die Krebstherapie revolutionierte, gab es den diesjährigen Nobelpreis für Medizin. Nun bringt ein internationales Forscherteam rund um Josef Penninger vom Wiener IMBA und Clifford Woolf vom Boston Children's Hospital in Harvard völlig neue Erkenntnisse über die Biologie von Immunzellen, die äußerst vielseitige medizinische Anwendungen versprechen.

Keyplayer für die Immunantwort

Das Verblüffende daran: Die Immunzellen unseres Körpers, sogenannte T-Zellen, werden durch ein Molekül aktiviert, das beim Stoffwechsel in unserem Nervensystem eine wichtige Rolle spielt. Bisher war bekannt, dass Tetrahydrobiopterin, oder BH4, zur Herstellung von Botenstoffen wie dem „Glückshormon“ Serotonin und Dopamin benötigt wird. „Das faszinierende an unserer Entdeckung ist, dass ein System, das eigentlich aus der Neurobiologie bekannt ist, eine derartige Schlüsselrolle für die Immunabwehr bei T-Zellen einnehmen kann,“ sagt Josef Penninger, Gründungsdirektor des IMBA und Letztautor der aktuellen Publikation im Fachmagazin Nature. „Dieser neue Ansatz verknüpft zwei völlig verschiedene Systeme in unserem Körper und unterscheidet sich von allen bisher bekannten Immun -Checkpoints. Außerdem sind die Therapiemöglichkeiten breit gefächert: Von Autoimmunerkrankungen, Asthma und Allergien bis hin zu Krebs!“ 

BH4 ist in unserem Körper an vielen Stoffwechselprozessen beteiligt. Seit den 1980er Jahren war außerdem bekannt, dass Menschen mit Eisenmangel bzw. Anämie häufig an Immunproblemen leiden, doch man konnte sich diesen Zusammenhang nicht erklären. Nun weiß man warum: BH4 kontrolliert das Wachstum von T-Zellen, den „Soldaten unseres Immunsystems“, über die Regulation von Eisenstoffwechsel und Funktion der Mitochondrien - der Kraftwerke der Zellen.

T-Zellen patrouillieren quer durch unseren Körper und enttarnen Krankheitserreger oder entartete Zellen, die zu Tumoren werden könnten. Bei derartigen Begegnungen werden die T-Zellen aktiviert, sie vervielfältigen sich und gehen in eine Art Angriffsmodus über, um Eindringlinge oder Krebszellen gezielt zu bekämpfen. Oft ein Problem: Falsch aktivierte T-Zellen richten sich gegen körpereigene Zellen – dies geschieht etwa bei allergischen Reaktionen und Autoimmunerkrankungen wie Kolitis, Asthma, Multipler Sklerose, Arthritis, oder bestimmten Hauterkrankungen.

Hattrick: Klinischer Einsatz gegen Autoimmunerkrankungen, Allergien, und Krebs

„Autoimmunerkrankungen und Allergien gehören zu den häufigsten ansteigenden Erkrankungen weltweit, und Therapien werden dringend benötigt. Hier kann unsere Entdeckung enorm nützlich sein. Wenn man BH4 hemmt, können wir den ständigen Angriffsmodus dieser autoaggressiven T-Zellen hemmen, damit sie kein gesundes Gewebe zerstören oder chronische Entzündungen hervorrufen,“ so Shane Cronin, Postdoc am IMBA und Erstautor der aktuellen Publikation in Nature. Gemeinsam mit Clifford Woolf vom Boston Children's Hospital in Harvard und Kai Johnsson, Max Planck Institute for Medical Research, Heidelberg, entwickelten die ForscherInnen einen neuartigen Wirkstoff namens QM385, der BH4 hemmt, und die Immunzellen bei heftigen Überreaktionen „zähmt“. Erste klinische Tests stehen in Aussicht.

BH4 ist gleichzeitig auch ein wichtiger Kandidat für zukünftige Krebs-Immunotherapien, denn aktivierte T-Zellen spüren Krebszellen auf, und bekämpfen diese. Die ForscherInnen fanden nun bei Mäusen heraus, dass BH4 den T-Zellen hilft, den Tumor gezielt zu bekämpfen. Außerdem stellte sich heraus, dass die Entstehung von BH4 von Kynurenin blockiert werden kann, einem Molekül, welches das Immunsystem in Tumoren abschalten kann. Die Gabe von BH4 lässt die T-Zellen wieder wachsen. 

„Das Wissen über neue Zusammenhänge in der Biologie und der Krankheitsentstehung sind besonders wertvoll, weil die Anwendungen daraus sehr vielseitig sein können. Wer hätte gedacht, dass sich unser Immunsystem durch ein aus der Neurobiologie bekanntes Molekül steuern lässt und möglicherweise zu neuen Anwendungen gegen Autoimmunerkrankungen, Asthma bis hin zu Krebserkrankungen und Immunschwäche führen könnte!“, so Shane Cronin. „Wenn man es schafft, Querverbindungen verschiedener biologischer Systeme im Körper zu finden, wie in diesem Fall dem Nervensystem und dem Immunsystem, kann man manchmal erstaunliche Entdeckungen machen“. In der Vergangenheit ist es etwa dem Team um Josef Penninger am Beispiel des Signalweges RANKL gelungen, den Knochen Stoffwechsel und mit dem Hormonsystem in Verbindung zu setzen. Therapieeinsätze des daraus resultierenden Wirkstoffes Denosumab reichen vom Knochenschwund bis hin zu einer Pille gegen Brustkrebs, die momentan in Österreich getestet wird.

Original Publikation: 

“The metabolite BH4 controls T cell proliferation in autoimmunity and cancer”, Cronin et al. Nature, 2018, DOI:10.1038/s41586-018-0701-2

Dieses Forschungsprojekt ist eine Kollaboration folgender Institutionen: IMBA – Institute of Molecular Sciences of the Austrian Academy of Sciences, Department of Neurobiology, Harvard Medical School, Boston, USA; FM Kirby Neurobiology Center, Boston Children's Hospital, Boston, MA USA, Ludwig Boltzmann Institute for Experimental and Clinical Traumatology, Institute for Molecular Medicine, University Medical Center of the Johannes Gutenberg-University Mainz, Germany, Department of Internal Medicine II (Infectious Diseases, Immunology, Rheumatology and Pneumology), Medical University of Innsbruck, Austria, Institute of Chemical Sciences and Engineering, Institute of Bioengineering, National Centre of Competence in Research (NCCR) in Chemical Biology, École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), Lausanne, Switzerland, Division of Cardiovascular Medicine, British Heart Foundation Centre for Research Excellence, John Radcliffe Hospital, University of Oxford, U.K., Wellcome Trust Centre for Human Genetics, Roosevelt Drive, University of Oxford, , U.K., Division of Gastroenterology and Liver Center, Department of Medicine, Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC) and Harvard Medical School (HMS), Harvard University, Boston, MA, USA, LABOX, Departamento de Bioquímica, Universidade Federal de Santa Catarina, Florianópolis, SC, Brazil. IMP- Research Institute of Molecular Pathology, Vienna, Austria, Department of Neuronal Control of Metabolism, Max Planck Institute for Metabolism Research, Cologne, Germany, Department of Neurosciences, Centre de recherche de CHU de Québec - Université Laval, Québec QC Canada, Department of Molecular Medicine, Faculty of Medicine, Université Laval, Québec QC Canada, Karolinska Institute, Department of Medicine Solna, Center for Molecular Medicine, Karolinska University Hospital Solna, Stockholm, Sweden, Neurosurgery Department, Johns Hopkins School of Medicine, Baltimore, USA, Apeiron Biologics AG, Vienna, Austria, Quartet Medicine, 400 Technology Square, Cambridge, USA,  Department of Anesthesia, Harvard Medical School, Boston, USA; Boston Children's Hospital, Boston, USA, Département de Pharmacologie et Physiologie, Université de Montréal, Montréal, QC, Canada, Max-Planck Institute for Medical Research, Department of Chemical Biology, Heidelberg, Germany