Das Projekt ist Teil des DFG-Projektes „Abschluss der Kritischen Friedrich-Schlegel-Ausgabe (KFSA)“, das die ausstehenden 7 Bände der von Ernst Behler begründeten, auf 35 Bände angelegten Gesamtausgabe erarbeitet. Die 5 Bände (plus Supplementband) umfassende Neuedition der dann vollständig vorliegenden Briefkorrespondenz decken mit der vorauslaufenden Pariser und Kölner Zeit (Bd. 26: 1802-1808) und dem Einzug Schlegels (und der Romantiker) in Wien (erweitert bis zu Dorotheas Tod: Bde. 27/28, 31/32: 1808-1839) eine Schaffensperiode in Österreich ab, die signifikant durch den konfliktiven Transfer deutsch-idealistischer Konzepte in den hybriden, empiristisch geprägten Kulturraum der Habsburgermonarchie gekennzeichnet ist. Ein innovativer, Konzepte der kulturellen Translation heranziehender Ansatz soll dazu beitragen, die notorisch konfessionell-polare Ausspielung einer Früh- vs. Spätromantik als obsoletes Bewertungsschema zu überwinden. Das Projekt verfolgt damit das Ziel, die Edition in den Kontext einer kulturwissenschaftlich erweiterten, europäisch konzeptualisierten Literaturwissenschaft einzuschreiben.

Friedrich Schlegels vielschichtige, philosophisch-politische Initiativen brachen sich im komplizierten Gewebe der Balancestrategien Metternichs, der antirömischen Kirchenpolitik, der katholischen Erneuerungsbewegung (C. M. Hofbauer, Bruchmann-Kreis, A. Günther, Redemptoristenkreise um die Gebrüder Passy), der josephinisch-liberalen Opposition (J. Schreyvogel, F. Grillparzer u. a.) und nicht zuletzt der - von den preußischen (Rahel von Varnhagen, Henriette Herz) spezifisch differierenden - Wiener Salons. Gleichwohl kann Alteritätserfahrung aus kulturwissenschaftlichem Blickpunkt nicht mit ‚Scheitern‘ gleichgesetzt werden, wenn durch nachhaltige Konfrontationen auf beiden Seiten das Eigene im Fremden zu bewusster Reflexion gelangt, und in der Folge einen Prozess der Ausdifferenzierung einleitet. Tatsächlich setzten erst August Wilhelm und Friedrich Schlegels Wiener Vorlesungen (1808, 1810, 1812) eine von Joseph Schreyvogel publizistisch angeführte Kontroverse in Gang, in deren Verlauf programmatisch der Begriff einer österreichischen Literatur als Ausdruck eigener kultureller Identität profiliert wurde. Dabei wurde als Differenzkriterium die „kranke“ Romantik gegen den ‚gesunden Menschenverstand‘ (Grillparzer) bzw., in kultureller Topographie, der ‚abstrakt-philosophische Norden‘ gegen den ‚empirischen Süden‘ (Feuchtersleben) als Identitätskonstrukt ausgespielt.

Mit Dorotheas Briefen rückt die gegenständliche Briefedition auch in die Gender-Forschung ein: Auf sie entfällt die Hälfte der Wiener Korrespondenz. Insbesondere ihr Briefwechsel mit Frauen – Helmina von Chézy, Henriette Herz, Karoline von Humboldt, Karoline Paulus, Christine von Stransky, Caroline Pichler, Elisabeth Malß, Theresia Unterkircher u.a. – indiziert, dass auch der Salon hier eine institutionelle Funktion weiblicher Briefkultur übernimmt. Mit der Verweisung von Frauen aus der öffentlichen ‚Autorschaft‘ (vgl. z.B. Friedrich Schlegels anonyme Herausgabe von Dorotheas Roman „Florentin“, 1801) gewinnen ‚private‘ Schreibweisen und vornehmlich die Textsorte ‚Brief‘ für Frauen in besonderem Maße die Funktion der dialogischen Selbstorientierung eigener Identität, oder, um es in den Rahmen des ‚romantischen Briefes‘ zu stellen: der Konstitution „ästhetischer Subjektivität“ (Bohrer).

Zur archivalischen Erfassung und editorischen Auswertung des umfangreichen Korrespondenzbestandes (insges. über 3.500 Briefe) wurde zu Projektbeginn ein digitales Repertorium (Access-Datenbank) konzipiert und laufend weiterentwickelt, das die Briefe nach standardisierten Metadaten dokumentiert und durch komplexe elektronische Abfragemöglichkeiten eine unabdingbare technologische Basis der Editionsarbeit bildet.

Methodisch beruht das gegenständliche Projekt auf den Grundlagen der historisch-kritischen Edition.  Dazu wurden zu Projektbeginn Editionsrichtlinien ausgearbeitet und weiterentwickelt, die in Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungsdiskursen und  Referenzausgaben einerseits das Desiderat einer editionswissenschaftlichen Standardisierung der Briefedition berücksichtigen, andererseits für den projektspezifischen Befund einer kurrentschriftlichen Graphie, die durch Suspensionen, Verschleifungen und Abbreviaturen gekennzeichnet ist, nachvollziehbare Regeln der Transkription kodifizieren.
 

Zu den Editionsrichtlinien des gegenständlichen Projekts vgl. die Vorträge in den jährlichen Editorenworkshops der KFSA: Barbara Otto, „Zum editorischen Material und zu den Editionsstandards der Kritischen Friedrich Schlegel-Briefausgabe: Bestandsaufnahme und Grundsatzüberlegungen“ (Univ. Mainz, 25. Februar 2011); dies., „Von der diplomatischen Abschrift zum Edierten Text: Methoden der Textkonstitution am Beispiel der KFSA und der Schleiermacher-HKA im Vergleich“ (Univ. Mainz, 31. August 2012); dies., "Zur Kunst der Brachygraphie: Maximen der Neutranskription der Briefhandschriften Friedrich und Dorothea Schlegels“ (Univ. Mainz, 4. Juli 2013); vgl. grundlegend: B.O., Bericht der Bandherausgeberin, in: KFSA Bd. 26/2 Text (2018), S. 539-612.

 

Erschienen:
Friedrich und Dorothea Schlegel. Pariser und Kölner Lebensjahre (1802–1808) · Zweiter Teil (Januar 1806–Juni 1808). Text. Mit Apparat und Bandbericht hrsg. von Barbara Otto, Paderborn: Schöningh/Brill 2018 (= Reihe: Kritische Friedrich Schlegel-Ausgabe. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Band 26,2).  (685 S.)

In Druck:
Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Anfänge in Wien bis zum Ende des Jahres 1810. (Briefwechsel Juni 1808–Dezember 1810). Text. Mit Apparat und Bandbericht hrsg. von Barbara Otto. Paderborn: Schöningh/Brill (= Reihe: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Abteilung III, Band 27)

Publikationen: Barbara Otto


Information

Projektleitung:
Barbara Otto

Finanzierung:
Drittmittel (Thyssen Stiftung, JGU, DFG)

Projektdauer:
seit 01.08.2012