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Sprache und Identität im Frühmittelalter
Wien, 15.-17. Januar 2009 Die Sprache gilt gemeinhin als eines der
wesentlichen Kriterien für ethnische Zugehörigkeit. Das war schon im
Frühmittelalter so, zum Beispiel bei Isidor von Sevilla. Seit der
Romantik hat sich diese Vorstellung vor allem in der deutschen
Sprachwissenschaft und Geschichtsforschung zu einem methodischen Prinzip
verfestigt. Danach können wir die Sprecher einer Sprache und die Träger
einer bestimmten Kultur in der Regel problemlos mit einem in den Quellen
genannten Völkernamen identifizieren, auch wenn dessen Bedeutungsbereich
unklar bleibt. Was die materielle Kultur betrifft, ist diese
Übereinstimmung in der Archäologie seit einiger Zeit heftig umstritten.
Bei der Sprache scheint es naheliegender zu sein, dass der durch eine
mehr oder weniger einheitliche Sprache umschriebene Kommunikationsraum
auch einer ‚ethnischen’ Gemeinschaft entspricht. Allerdings wirft dieses Modell auch manche Probleme
auf. Einige davon ergeben sich aus der Quellenlage im Frühmittelalter,
wo sprachlich fundiertes Zusammengehörigkeits- oder Distanzgefühl eher
selten Ausdruck findet. Sprachwechsel, etwa die allmähliche Übernahme
einer romanischen Sprache durch Goten, Langobarden oder Franken, läuft
meist ohne erkennbare Rückwirkung auf ethnische Identitäten ab.
Sprachgrenzen stimmen nicht unbedingt mit den Grenzen zwischen Reichen
und/oder Völkern überein. Auch stellt sich die Frage, wie ‚Sprachen’
methodisch abgegrenzt werden sollen. Die ‚Germanen’ waren im
Frühmittelalter nicht als Volk wahrnehmbar, ihre Kollektivbezeichnung
verschwindet aus den Quellen. Sind die sprachlichen Unterschiede
zwischen den germanisch-sprachigen Einzelvölkern – z.B. Franken,
Alemannen, Bayern, Langobarden – und andererseits die innere
Einheitlichkeit ihrer Sprachen markant genug gewesen, um Distanz- wie
Zusammengehörigkeitsbewusstsein zu begründen? Welche Bedeutung für
ethnische Identifikation hatten die im Projekt ‚Nomen et Gens’ eingehend
untersuchten Personennamen? Muss eine identitätswirksame Sprache
zugleich die Umgangssprache sein? Welche Auswirkungen hatte
Bilingualität auf das Identitätsbewußtsein? Diese und ähnliche Fragen erfordern die
Zusammenarbeit von Historikern und Philologen. Dazu will der geplante
Workshop einladen. Quellenmaterial zur Bedeutung von Sprache/n soll
ebenso diskutiert werden wie philologische Befunde zur Wahrnehmbarkeit
sprachlicher Abgrenzungen und Modellvorstellungen zur
Identitätswirksamkeit der Sprache. Auch Themen wie die Semantik der
zeitgenössischen Terminologie von Zugehörigkeit und Fremdheit, die
Entwicklung und Zeichenfunktion von Personennamen, das Verhältnis von
Schriftlichkeit und Mündlichkeit, die Praktiken überregionaler
Kommunikation oder die Auswirkungen von Mehrsprachigkeit können
diskutiert werden. Der zeitliche Rahmen bewegt sich ca. zwischen 400 und
1000, kann aber für vergleichende oder allgemeine Überlegungen auch
überschritten werden. In diesem Rahmen können sich durchaus örtliche
oder zeitliche Differenzierungen des Themas ergeben. |