GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Edmund Groag


geb. am 2. Februar 1873 in Prerau (heute Přerov, Tschechische Republik), gest. am 19. August 1945 in Wien

Edmund Groag war spätestens seit 1936 als externer Wissenschaftler für die Kleinasiatische Kommission der Akademie der Wissenschaften in Wien tätig. Nach dem „Anschluss“ wurde er aus rassistischen Gründen verfolgt und konnte seine Tätigkeit an der Akademie nicht mehr fortsetzen. Groag konnte bis zum Ende des NS-Regimes in Wien überleben.

Groag wurde als Sohn des Eisenbahningenieurs Berthold Groag (geb. 1842) und seiner Frau Charlotte, geb. Karpeles (= Carola Belmonte-Groag, 1859–1928), in Prerau (heute Přerov, Tschechische Republik) geboren. Er studierte ab 1892 Geschichte und Alte Geschichte an der Universität Wien, promovierte 1895 mit einer Dissertation „Zur Kritik von Tacitus’ Quellen in den Historien“ und habilitierte sich im Jahr 1919 mit der Schrift „Studien zur römischen Kaisergeschichte“. Anschließend war er als Privatdozent für Römische Geschichte tätig. 1925 wurde ihm der Titel eines ao. Universitätsprofessors verliehen. An der Nationalbibliothek, wo Groag etwa seit 1903 arbeitete, wurde er 1921 zum Leiter der Katalogisierungsabteilung der Druckschriftensammlung und 1923 zum provisorischen Leiter dieser Druckschriftensammlung ernannt. Wegen eines Konflikts mit Bibliotheksgeneraldirektor Josef Bick (1880–1952) wurde er 1931 als Leiter abgesetzt und 1932 in den zeitlichen, 1936 in den dauernden Ruhestand versetzt. Spätestens ab diesem Jahr unterstützte Edmund Groag die Kleinasiatische Kommission der Akademie der Wissenschaften, an der er schon zwischen 1894 und 1898 mitgearbeitet hatte, durch seine Expertise im Rahmen der Inschriftenpublikationen. Seine Studie „Die römischen Reichsbeamten von Achaia bis auf Diokletian“ wurde im Jahr 1939 in der Publikationsreihe der Balkan-Kommission veröffentlicht.

Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde Edmund Groag nach dem „Anschluss“ die Privatdozentur an der Universität Wien entzogen. Die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin, welche ihn und seinen ehemaligen Studienkollegen Arthur Stein (1871–1950, überlebte das Ghetto Theresienstadt) 1915 mit der Erarbeitung und Herausgabe der „Prosopographia Imperii Romani“ (= PIR) beauftragt hatte, kündigte im Jänner 1939 diese Arbeitsverträge. Der dritte Band der PIR erschien 1943, genannt wurden die beiden Bearbeiter lediglich im Vorwort. Während des Krieges unterstützte die Akademie der Wissenschaften in Wien Groag, etwa indem Akademiepräsident Heinrich Srbik (1883–1981) durch Intervention beim Wohnungsamt der Stadt Wien Groag im Jahr 1940 vor der Räumung seiner Wohnung bewahrte. Auch wird er im Almanach der Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1941 im Zusammenhang mit einem Projekt der Balkan-Kommission genannt. Groag konnte, geschützt durch seine nicht-jüdische Ehefrau Alberta, geb. Schaschek, mit der er seit 1928 verheiratet war, unter äußerst prekären Bedingungen bis zum Ende des NS-Regimes in Wien-Hietzing überleben.

Nach Kriegsende erhielt Groag, der seit 1924 den Titel eines Hofrates führte, seine Lehrbefugnis zurück, konnte diese allerdings nicht mehr wahrnehmen. Kurz nach der Befreiung Wiens durch die Truppen der Roten Armee erkrankte er schwer und verstarb im August 1945 im Jüdischen Spital in der Malzgasse 16 in Wien-Leopoldstadt. Die Grabrede hielt der Althistoriker Josef Keil auf dem Südwestfriedhof in Wien-Meidling. Edmund Groag wurde 1902 zum korrespondierenden Mitglied des Österreichischen Archäologischen Instituts gewählt, 1933 zum korrespondierenden Mitglied der Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften und Künste in Prag und zum o. Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts.


Schriften (Auswahl)


  • Edmund Groag, Zur Kritik von Tacitus’ Quellen in den Historien, Dissertation, Universität Wien 1895.
  • Ders., Antike Parallelen zur Zeitgeschichte, in: Monatsblätter s. Wissenschaftlichen Klub in Wien, 39/40 (1919), 53–68.
  • Ders. (Mitarb.) – Ernst Stein (Hg.), Fasti des römischen Deutschland unter dem Prinzipat, Wien 1932.
  • Edmund Groag – Arthur Stein (Hg.), Prosopographia imperii Romani. Prosopographia Imperii Romani saec, Bd. 1, Berlin 1933.
  • Dies. (Hg.), Prosopographia imperii Romani. Prosopographia Imperii Romani saec., Bd. 2, Berlin 1936.
  • Ders., Die römischen Reichsbeamten von Achaia bis auf Diokletian (= Schriften der Balkankommission, Antiquarische Abteilung 9), Wien 1939.


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Akademie der Wissenschaften in Wien, Almanach f. d. J. 1936–1939, 1941.
    • Martina Pesditschek, Wien war anders – Das Fach Alte Geschichte und Altertumskunde, in: Mitchell G. Ash – Wolfram Nieß – Ramond Pils (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel Wien, Göttingen 2010, 287–316, hier: 288–289.
    • Stefan Rebenich, Zwischen Anpassung und Widerstand? Die Berliner Akademie der Wissenschaften von 1933 bis 1945, in: Beat Näf (Hg.), Antike und Altertumswissenschaft in der Zeit von Nationalsozialismus und Faschismus, Mandelbachtal–Cambridge 2001, 203–244, hier: 219–220, 234.
    • Klaus Wachtel, Prof. Dr. Edmund Groag (1873–1945). Zu den Vorfahren dieses österreichischen Althistorikers jüdischer Herkunft, in: Tyche 25 (2010), 173–183.
    • Klaus Wachtel, Arthur Stein (1871-1950) und Edmund Groag (1873–1945). Zwei jüdische Gelehrtenschicksale in Wien und Prag, in: Karel Hruza (Hg.), Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Bd. 2, Wien–Köln–Weimar 2012, 129–167.


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