Österreichisches Biographisches Lexikon

Biographie des Monats

Oscar Baumann – „born to be wild“

Am 25. Juni 2014 jährt sich der 150. Geburtstag des österreichischen Afrikaforschers, Ethnologen, Geographen und Kartographen Oscar Baumann , der sich insbesondere als Erforscher der Usambara-Berge einen Namen gemacht, aber auch weite Teile von Ruanda und Burundi kartographiert hat. Seine spannend verfassten, bis heute immer wieder aufgelegten Publikationen über Ostafrika, darunter die Monographie „Usambara und seine Nachbargebiete“ (1891), werden bis in die Gegenwart wegen ihrer Genauigkeit und Sachlichkeit von nationalen und internationalen Kennern der Materie geschätzt. Aufgrund seiner Zähigkeit und seines unerschrockenen Willens, geplante Expeditionsvorhaben unter allen Umständen durchzuführen, erhielt er von den Ostafrikanern den Beinamen „Bwana Kivunja“ („an dem andere zerbrechen“).

 

Kindheit und Ausbildung

Oscar Baumann kam am 25. Juni 1864 in Wien als Sohn des Bankbeamten Heinrich Baumann und seiner Gattin Josephine, geb. von Orosz, zur Welt. Über die väterliche Linie war er mit den bekannten Wiener Bankiers- und Großhandelsfamilien Arnstein und Neuwall verwandt. Baumann besuchte zunächst das Gymnasium in Krems und anschließend mit Unterstützung eines Arnstein‘schen Stipendiums die Staats-Oberrealschule im 3. Wiener Gemeindebezirk , wo er 1883 maturierte. Bereits in seiner Jugendzeit zog es ihn immer wieder ins Hochgebirge, während seiner Schulzeit hielt er Vorträge über seine Bergtouren im Deutschen und Oesterreichischen Alpenverein sowie in der k. k. Geographischen Gesellschaft in Wien. Seinen Militärdienst leistete er 1883-84 beim Tiroler Kaiserjägerregiment ab. Ab 1883 besuchte er geographische, historische und naturwissenschaftliche Vorlesungen an der Universität sowie an der Technischen Hochschule in Wien, absolvierte eine Ausbildung in Terrainlehre am dortigen Militärgeographischen Institut bei Robert Daublebsky von Sterneck und vertiefte seine Kenntnisse über Zoologie in Triest.

 

Expedition in den Kongo

Im Alter von 19 Jahren bereiste er noch unerforschte Gebiete Montenegros und Albaniens, allen voran die Durmitor-Gruppe. Aufgrund seiner dortigen kartographischen Leistungen durfte Baumann an der österreichisch-ungarischen Kongoexpedition, die 1885 bis 1887 unter der Leitung von Oskar Lenz, dem damaligen Generalsekretär der Geographischen Gesellschaft in Wien, durchgeführt wurde und bei der die 9. Durchquerung des tropischen Afrikas von der Kongomündung bis zum Indischen Ozean gelang, teilnehmen. Zu Baumanns Aufgaben zählten kartographische Arbeiten sowie die Anwerbung von Expeditionsträgern. Während der Vorbereitung auf das Unternehmen absolvierte er ein Praktikum in der anthropologischen-ethnographischen Abteilung des k. k. Hofmuseums in Wien. Während der Expedition erkrankte Baumann in der Nähe von Stanley Falls (Boyoma Falls) am Oberlauf des Kongos jedoch schwer und musste im Lager eines sansibarischen Großhändlers zurückgelassen werden. Er hielt sich längere Zeit in diesem Lager auf und erlernte dort die Swahili-Sprache, die ihm für seine weiteren Afrika-Forschungen hilfreich werden sollte. Obwohl Baumann die Expedition abbrechen musste, gelang ihm auf dem Heimweg die Erstellung der ersten genauen Binnengewässerkarte des Kongos, die bis zur Jahrhundertwende als Grundlage für alle weiteren Karten von diesem Gebiet diente. Auf dem Heimweg bereiste Baumann auch die Insel Fernando Póo im Golf von Guinea (heute: Insel Bioko), wo er vor allem ethnologische und geographische Untersuchungen durchführte. 1888 wurde er nach Abfassung seiner Dissertation über die Einwohner dieser Insel an der Universität Leipzig zum Dr. phil. promoviert. Nachdem auch Lenz nach Österreich zurückgekehrt war, wurden die Leistungen der Kongo-Expeditionsteilnehmer mit einem Festakt, an dem neben 700 Gästen Kronprinz Rudolf teilnahm, in der k. Akademie der Wissenschaften in Wien gewürdigt.

 

Abenteuer Ostafrika

1887 arbeite Baumann einige Monate als Volontär in der anthropologisch-ethnographischen Abteilung des Hofmuseums in Wien, wo er sich mit Grundkenntnissen der Völkerkunde vertraut machte. 1888 erfolgte gemeinsam mit dem deutschen Geographen und Forschungsreisenden Hans Meyer, den er in Leipzig kennengelernt hatte, seine erste Forschungsreise nach Ostafrika, wo Baumann weite Teile des heutigen Tansanias bereiste und sich bei der Kolonialisierung Deutsch-Ostafrikas verdient machte. Das Angebot kam gerade zur rechten Zeit, da Baumann in der Heimat keine berufliche Anstellung finden konnte und sich ein von ihm geplantes Projekt in Westafrika nicht finanzieren ließ. Abgesehen davon, gelang es ihm, von Meyer als gleichwertiger Partner anerkannt zu werden. Die ursprünglich geplante Reiseroute sollte von Mombasa aus zum Kilimandscharo führen. Meyers erster Versuch den Kilimandscharo zu besteigen scheiterte 1887, nun sollte ein neuerlicher Versuch gewagt werden, mit Schwerpunkt auf die geologische Erforschung des Bergmassivs. Kurzfristig wurde aber die Reiseroute ohne genauere Angabe von Gründen geändert. Das Expeditionsteam bestand aus 200 Trägern, darunter 30 Soldaten, persönliche Diener und Köche. Eine Reihe von Tauschwaren wie Stoffe und Perlen, ergänzt durch die aus Europa mitgebrachten Gerätschaften sowie Hunde, wurden ebenfalls mitgeführt. Im August segelten Meyer und Baumann mit einer arabischen Dhau zunächst von Sansibar nach Pangani und dann weiter ins Hinterland Richtung Mazinde und Gonja. Ende August beschlossen die beiden sich vom Expeditionstrupp zu trennen und mit einer kleinen Gruppe eine Tour durch die noch weitgehend unerforschten Usambara-Berge zu unternehmen. In Gonja sollten sich dann alle Expeditionsteilnehmer wieder vereinen. Baumann und Meyer begaben sich in den nordöstlichen Teil der Usambara-Berge, besuchten die Kilindi-Residenz in Vuga und fertigten vor allem kartographische und photographische Aufnahmen an. Die geplante Wiedervereinigung mit den übrigen Expeditionsteilnehmern in Gonja scheiterte jedoch am Ausbruch des Araberaufstands gegen die deutsche Besetzung, der das Desertieren der Expeditionsmannschaften sowie den Verlust der Ausrüstung zur Folge hatte. Dennoch hielt Baumann strikt an seinem Ziel, eine Karte von der Landschaft Usambara zu erstellen, fest. Allerdings wurde er gemeinsam mit Meyer vom Araberfürst Buschiri bin Salim gefangen genommen, misshandelt und erst nach einer Lösegeldzahlung durch die deutsche Firma Hansing und Co. wieder freigelassen. Die Expeditionsausrüstung war verloren, Kartenaufnahmen und Tagebuchaufzeichnungen konnten durch Bemühungen des englischen Konsuls in Sansibar zumindest teilweise gerettet werden. Aus diesen entstand 1890 Baumanns Publikation „In Deutsch-Ostafrika während des Aufstandes“.

1889 übernahm Baumann die kartographische Aufnahme des zentralen Gebirgsstocks in Montenegro, noch im selben Jahr ging er bereits wieder nach Afrika, um im Auftrag der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft geographische, wirtschaftlich sowie ethnographische Untersuchungen durchzuführen und somit die Landnahme durch deutsche Siedler vorzubereiten. Nur ein Jahr später brachte er seine Forschungen im Usambara-Gebirge, die durchaus bedeutend für die wirtschaftliche Erschließung dieses Gebiets waren, zum Abschluss, bereiste anschließend das Pare-Gebirge bis zum Kilimandscharo und kam auch nach Nord-Useguha, wo er die Voruntersuchungen für eine geplante Eisenbahnverbindung Tanga-Korogwe unternahm. Der Bau wurde 1891 begonnen, 1902 fertiggestellt und existierte bis vor wenigen Jahre als „Northern Line“, ehe starke Regenfälle Teile des Gleiskörpers wegspülten. Ende des Jahres 1890 kehrte Baumann kurzzeitig nach Europa zurück, bereits 1891 ging er im Auftrag zunächst der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, dann des Anti-Sklaverei-Komitees wieder nach Ostafrika, um eine Verlängerung der Eisenbahnlinien zu planen.

Seine wohl bekannteste Unternehmung war die sogenannte Massai-Expedition (1892-93), in deren Rahmen er mit rund 200 Begleitern von der Küste zum Victoria- und zum Tanganjikasee reiste und anschließend als erster Europäer in die noch weitgehend unerforschten Königreiche Burundis und Ruanda gelangte. Auch hier kam es auf dem Weg in Richtung Burundi zu einem Zwischenfall mit einer bewaffneten Gruppe von Tutsi. Nach einem kurzen Kampf konnten die Angreifer besiegt und die Expedition weiter fortgesetzt werden. Neben der wichtigen kartographischen Aufnahme der Massai-Steppe und des Zwischenseengebietes entdeckte Baumann die Seen Eyasi und Manyara sowie den Ngorongoro-Krater und die später nach ihm benannte Baumann-Bucht im Victoriasee. Seine Beobachtungen und Kartierungen trugen auch zur Festlegung der Ostgrenze des deutschen Schutzgebiets bei. 1893 erreichte Baumann als erster Österreicher die Quellen des Flusses Ruvuvu, der in den Kagera-Nil mündet, und glaubte damit den Quellfluss des Nils entdeckt zu haben. Seine Eindrücke und Forschungsergebnisse, darunter linguistisches, historisches und photographisches Material sowie rund 2.000 ethnographische Objekte, fasste er in seiner in der Fachwelt allgemein anerkannten Monographie „Durch Massailand zur Nilquelle“ (1894) zusammen. Darin beschreibt er auch das teils brutale Vorgehen der Expeditionsteilnehmer gegenüber den Eingeborenen, „Mein Vorgehen den Eingeborenen gegenüber war stets von dem Grundsatz geleitet, dass die festeste Hand die mildeste sei. Der Eindruck, welchen der erste Europäer in neuen Gebieten hervorruft, bleibt oft entscheidend für lange Jahre. Allzu friedfertige Haltung wird leicht als Ängstlichkeit aufgefasst und gibt Veranlassung zu eingeborenem Uebermuth, … Energisches Auftreten dagegen, welches auch einen Kampfe nicht scheut, … bringt den Eingeborenen von vorneherein eine heilsame Achtung vor Europäern bei, welche die sicherste Gewähr späterer friedlicher Entwicklung ist.“ Gewaltsame Maßnahmen seitens der Expeditionsteilnehmer wie Geißelnahmen von Eingeborenen, Aneignung von Nahrungsreserven oder Niederbrennen ganzer Dörfer kamen daher immer wieder vor.

Von Dezember 1894 bis März 1895 war Baumann im Auftrag der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft in Indien, danach bereiste er im Auftrag des Zuckersyndikats Ostafrika und kartographierte den Unterlauf des Pangani, zwischen 1895 und 1899 erforschte er im Auftrag des Vereins für Erdkunde zu Leipzig den Sanisbar-Archipel. Ein Jahr später wurde er zum österreichisch-ungarischen Honorarkonsul in Sansibar ernannt. Als solcher bemühte er sich um den Ausbau der Handelsbeziehungen zwischen Deutsch-Ostafrika und der Habsburgermonarchie, drängte das Außenministerium in Wien zum Erwerb einer eigenen afrikanischen Kolonie und schlug die Begründung der Ost- und Südafrikalinien des Österreichischen Lloyds vor. Eine Infektionskrankheit zwang ihn 1899 zur Rückkehr nach Österreich, an deren Folgen er am 12. Oktober 1899 in Wien verstarb. Begraben ist Baumann auf dem Salzburger Kommunalfriedhof . 1952 wurde sein Grab Opfer eines Vandalenakts.

Baumanns Forschungen, die teils unter schwierigsten und politisch gefährlichen Umständen, teils auf Nachtmärschen durch unwegsames Gelände erfolgten, hatten stets die Erweiterung und Förderung der geographischen Kenntnis zum Ziel. Seine Publikationen dokumentieren afrikanisches Leben, allen voran die von ihm kennengelernten Bevölkerungsgruppen, ihre Lebens-, Arbeits- und Alltagsgewohnheiten. Zahlreiche Beiträge verfasste er auch als Feuilletonist für die „Neue Freie Presse“. Als Kartograph entwickelte er die von Robert Daublebsky von Sternberg angewandte Methode der Kartographierung für afrikanische Bedürfnisse weiter. Seine reichen Sammlungen, die vor allem Kleidung, Schmuck, Jagd- und Kriegsgegenstände sowie Musikinstrumente umfassten, verkaufte er dem Hofmuseum und dem Museum für Völkerkunde in Wien. Darüber hinaus sammelte er Materialproben, unter anderem von Lebensmitteln, Pflanzen, Fasermaterial für Bogensehnen, Harz, aber auch Pfeilgift. 1881 wurde Baumann ordentliches Mitglied der Geographischen Gesellschaft in Wien, 1894 erhielt er das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens.

 

Weitere Werke (Auswahl): Fernando Póo und die Bube …, 1888; Die kartographischen Ergebnisse der Massai-Expedition …, in: Petermanns Geographische Mitteilungen 111, 1894; Der Sansibar-Archipel 1-3, 1896, 1897, 1899; Gottesurteile bei den Swahili, nach 1899; Afrikanische Skizzen, 1900 (Nachdruck 2011).

Literatur (Auswahl): Neue Freie Presse, 13., 14. 10. 1899; Otto Maull, Baumann, Oskar, in: Neue Deutsche Biographie 1, 1953; Dr. Oscar Baumann, in: Abenteuer Ostafrika, 1988, S. 247f.; Barbara Köfler – Walter Sauer, Scheitern in Usambara, in: Wiener Geschichtsblätter 53, 1998, S. 1-25 (m. L.); Barbara Plankensteiner, Der Mythos des heroischen Entdeckers in Afrika und die Ethnologie, in: Die Entdeckung der Welt. Die Welt der Entdeckungen, ed. Wilfried Seipel, Wien 2002, S. 275-291 (Kat.); Bararbar Köfler, Oscar Baumanns „Congo“- und „Massai-Expedition“, ebd., S. 285-300 (m. B.); Barbara Köfler-Trockner, „Denn die Tropenwelt ist eine Circe …“. Der Wiener Geograph Dr. Oscar Baumann (1864-1899), Diss. Univ. Wien, 2003; Das Jubiläum der Österreichischen Geographischen Gesellschaft 150 Jahre (1856-2006), ed. Ingrid Kretschmer, 2007, S. 32f. (m. B.); Reinhart Bindseil, Als erster Europäer 1892 in Ruanda. Dr. Oskar Baumann, ein Österreicher im deutschen Auftrag, in: Entwicklung als Beruf, Festschrift für Peter Molt, ed. Theodor Hanf u. a., 2009, S. 169-184; Miriam Helena Reichel, Das rezente Tansania-Konvolut der osteologischen Sammlung des NHM Wien, rer. nat. DA Wien, 2010, S. 46-54 (m. B.); Universitätsarchiv, Wien; Universitätsarchiv Leipzig, D.

(D. Angetter)


Wir danken dem Universitätsarchiv Wien für die Zurverfügungstellung von Bildmaterial.