Österreichisches Biographisches Lexikon

Biographie des Monats

"Schicksal, hau zu, ich halt' es aus!": der Komponist Bruno Granichstaedten

„Werter Herr, ich habe Sie seit Samstag, den 14. Jänner vergebens erwartet. Sie sollten mir die Fortsetzung der Vorlagen für die Instrumentation Ihrer Operetten-Nummern bringen; und am 15. Jänner hätten Sie mir vereinbarungsgemäß 1000 Kronen geben sollen. Da beides bis heute nicht geschehen ist, obwohl ich Sie darum bereits gemahnt habe, sehe ich mich genötigt, Ihnen einen Termin zu stellen". Diesen Brief schrieb Arnold Schönberg am 16. Januar 1911 an Bruno Granichstaedten, dessen Operette „Majestät Mimi“ er gerade instrumentierte. Beide Komponisten standen am Beginn ihrer Karriere, deren weiterer Verlauf nur noch wenige Berührungspunkte aufweisen sollte. Während Schönberg in den 1920er-Jahren zum führenden Neutöner avancierte, wurde Granichstaedten vor allem durch ein Werk berühmt: „Der Orlow“, die erste Wiener Jazzband-Operette. Anlässlich seines 70. Todestages erinnert das ÖBL an diesen Komponisten.

 

Wie Arnold Schönberg entstammte auch der am 1. September 1879 geborene Bruno Granichstaedten dem assimilierten Wiener Judentum. Sein Vater, der Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Emil Granichstaedten, hatte seinen bürgerlichen Beruf aufgegeben und war Theaterkritiker geworden. Er schrieb Stücke und heiratete schließlich die Schauspielerin Friederike Susanne Olga Rosenthal. Beide förderten sowohl die musikalische Ausbildung als auch die spätere Bühnenkarriere ihres zweitgeborenen Sohns nach Kräften. Brunos erste Kompositionen, ein Streichquartett und zwei Liederzyklen, brachten ihm den Mendelssohn-Preis und ein Stipendium für ein Studium am Leipziger Konservatorium ein. Nach Engagements in Erfurt und Mannheim wurde er 1901 Korrepetitor und Kapellmeister an der Hofoper in München. Dort kam er mit Frank Wedekind und dem Kabarett „Die elf Scharfrichter“ in Kontakt und schrieb erste Chansons, in denen er seine Doppelbegabung als Komponist und Texter unter Beweis stellte.

 

„Bub oder Mädel?“ Granichstaedtens Operettendebüt

Bald wechselte Granichstaedten ganz zum Kabarett und als er 1906 nach Wien zurückkehrte, kam er rasch mit dem dortigen florierenden Operettenbetrieb in Kontakt. Schon sein erster Versuch in diesem Genre, „Bub oder Mädel?“, wurde 1908 mit dem damaligen Star Louis Treumann zum Überraschungserfolg des gerade neu eröffneten Johann Strauss-Theaters und machte in der Folge sogar am Broadway als „The Rose Maid“ Furore. Granichstaedten war mit einem Schlag zum gefragten Operettenkomponisten geworden.

Felix Dörmann und der Satiriker Roda-Roda lieferten ihm die Texte. Es war in dieser Zeit, als Schönberg Granichstaedtens Operetten instrumentierte, um auf diese Weise seine ersten atonalen Kompositionen zu finanzieren – ein durchaus dialektischer Zusammenhang von U- und E-Musik, der den kulturellen Kontext der Zeit besser beschreibt als manche Analyse. Zwar hat sich die Partitur der von ihm orchestrierten „Majestät Mimi“ nicht erhalten, dafür machte das Werk in der Bearbeitung des Mailänder Impresarios Carlo Lombardo eine kuriose Karriere. Als „La Duchessa del Bal Tabarin“ wurde es während des 1. Weltkriegs zu einem der größten Erfolge der italienischen Operettenbühne – ohne dass freilich der Name des Komponisten genannt worden wäre. Ebenfalls 1915 kam Granichstaedtens bis dahin größter Erfolg heraus: „Auf Befehl der Herzogin“ (eigentlich „Auf Befehl der Kaiserin“), eine Operette über die junge Maria Theresia, die allein im Theater an der Wien 189 Vorstellungen erlebte und seinen Ruf als Komponist spezifisch wienerischer Musik festigte.

 

 

„Der Orlow“ – Operette meets Jazz

Umso überraschender war der Coup, der Granichstaedten mit „Der Orlow“ zehn Jahre später gelang. Erstmals wurde eine Jazzband (Alt- und Tenorsaxophon, 2 Posaunen, Banjo, Klavier, Schlagzeug) integraler Bestandteil einer Wiener Operette. Schon der Beginn des Werks war für damalige Verhältnisse unkonventionell: ein Shimmy samt Maschinengeräuschen, der den ungewöhnlichen Spielort, eine Autofabrik in den USA, im neusachlichen Stil der Zeit beschreibt. Dort arbeitet ein verarmter exilierter russischer Großfürst als Maschinist, ein Schicksal, das Granichstaedtens eigenes vorwegzunehmen scheint. Ein Happy End wie seinem Operettenhelden war dem Komponisten freilich nicht vergönnt. Seine letzte Operette „Reklame“ brachte es 1930 zwar noch auf immerhin 136 Vorstellungen im Theater an der Wien, und auch als Filmkomponist war Granichstaedten zunächst gut im Geschäft, doch gelang es ihm nach Hitlers „Machtergreifung“ nicht mehr, Fuß zu fassen. Obwohl er zahlreiche Entwürfe für Libretti und Drehbücher schrieb, konnte er keine seiner Arbeiten mehr unterbringen.

 

In der Emigration

1938 wurde Granichstaedten in einem Auffanglager nahe der tschechischen Grenze interniert. Dank der Hilfe seiner ehemaligen Primadonna Betty Fischer, die nach Luxemburg geheiratet hatte, erhielten er und seine Lebenspartnerin, die Sängerin Rosalie Kaufmann (1910–1979), schließlich luxemburgische Einreisevisa. Dort fanden sie Unterschlupf und traten gelegentlich auf. Für das Lëtzebuerger Vollekstheater stellte Granichstaedten 1939 seine letzte Operette „Sonili“ zusammen.

 

 

Am 21. Januar 1940 schiffte er sich in Antwerpen ein und erreichte am 3. Februar New York, wo er kurz nach der Ankunft den Namen Grant annahm und Rosalie heiratete. Seinen Lebensunterhalt verdiente er dort als Barpianist. Im New Yorker Exillokal Grinzing begleitete er seine Frau, die sich bald in den ganzen USA einen Namen als Wienerliedsängerin machte. Als Granichstaedten am 30. Mai 1944 in New York starb, war er so gut wie vergessen – im Gegensatz zu Schönberg, dessen Klavierkonzert dort erst kurz zuvor uraufgeführt worden war. Von Granichstaedtens alten Kollegen nahm nur Emmerich Kálmán an der Trauerfeier teil. Granichstaedtens Urne wurde drei Jahre später nach Wien überführt und in einem ehrenhalber gewidmeten Grab auf dem Hietzinger Friedhof beigesetzt.

 

 

Literatur: Czeike; Grove, 2001 (mit Werkverzeichnis); MGG I, II (mit Werkverzeichnis); A. Holde, Die Tonkünstler im ,gelobten Land’, in: Aufbau 10, 1944, Nr. 51, S. 49ff.; B. Grun, Kulturgeschichte der Operette, 1961, s. Reg.; R. Dachs, Sag beim Abschied ..., 1994, S. 187ff. (mit Bild); K. Gänzl, The Encyclopedia of the Musical Theatre, 1994; R. Ulrich, Österreicher in Hollywood, 2004 (mit Bild); E. Kaufmann, Wiener Herz am Sternenbanner. B. G. Stationen eines Lebens, 2014 (mit Bildern).

(Stefan Frey)


Für die Überlassung des Bildmaterials danken wir herzlich Herrn Dipl. art Ernst Kaufmann (Autogrammkarte, Sonili) sowie Herrn Heinrich Grätzner, http://www.antiquepool.at/de/ (Programmheft).