Österreichisches Biographisches Lexikon

Biographie des Monats

Auf den Menschen zugehen – in Politik und Pädagogik: Stella Klein-Löw

Zum 110. Geburtstag der österreichischen Pädagogin, Psychologin und sozialdemokratischen Politikerin Stella Klein-Löw.

 

„Ich dachte an die Worte Otto Bauers: ‚Man muss viel öfter zu den Menschen gehen, um zu hören, was sie zu sagen haben, und nicht, damit sie hören, was wir sagen.’
So ging ich also zu den Menschen und sie lehrten mich vieles, was Schule und Studium verabsäumt, was Theorie und eigene Erfahrung mir nicht vermittelt hatten.“

 

Als Stella Herzig, Tochter „aufgeklärter Juden“ – wie sie selbst es in ihren „Erinnerungen“ bezeichnete – wurde Stella Klein-Löw am 28. Januar 1904 in Przemyśl, Galizien (heute Polen), geboren. Aufgewachsen in einem großbürgerlichen Umfeld – der Vater Samuel Herzig war Direktor einer Schifffahrtsgesellschaft, ihr Großvater Bankier – verarmte die Familie im Zuge des Ersten Weltkriegs und nach dem frühen Tod des Vaters. Stella Klein-Löw musste sich ab ihrem 13. Lebensjahr die Schulausbildung und das Studium mittels Nachhilfestunden selbst finanzieren.

Die kleine Stella, die schon in ihrer Kindheit in Kontakt mit vielen künstlerischen Größen wie Peter Altenberg (→Richard Engländer), Alfred Polgar und Adolf Loos stand, galt als ernsthaftes, über viele Dinge reflektierendes Mädchen. Eines ihrer Gedichte, das sie bereits im Alter von neun Jahren verfasste, legt dafür ein beredtes Zeugnis ab:

 

Wo wohnt Gott?

Das fragte ich gestern, das frage ich heute.
Bedauernd zucken die Achseln die Leute.
„Was geht’s dich an? Wir wissen es nicht.“

So sagen sie’s mir einfach und schlicht.
Ich weiß es jetzt: Er wohnt tief in meinem Herzen,
Um mich zu behüten vor der Erwachsenen Scherzen.

Stella Klein-Löw, Erinnerungen, 1980, S. 21f.

Nach dem Besuch der Volksschule und der Matura am Mädchengymnasium Rahlgasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk studierte sie ab 1923 an der Universität Wien Germanistik und Latein sowie Psychologie bei Karl und Charlotte Bühler, danach auch Psychoanalyse bei Annie und Wilhelm Reich, später außerdem Englisch, was ihr in weiterer Folge zugute kommen sollte. Sie promovierte 1928 mit einer Dissertation zur „Österreichischen Kriegslyrik 1914 – 1918“ und legte 1931 die Lehrberechtigungsprüfung für Mittelschulen ab. 1926 publizierte sie mit „Der Wandertrieb als Pubertätserscheinung“ und „Märchen ohne Hexen“ erste pädagogische Schriften.

 

„Kämpferin für eine bessere Welt“: Stella Klein-Löws Engagement in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei

Bereits während ihrer Schulzeit begann Stella Klein-Löw sich politisch in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zu engagieren und war zunächst Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend, in der sie nicht nur ihre politische Heimat fand. 1922 trat sie der Partei und dem Verband Sozialistischer Studenten bei, wo sie mit dem Medizinstudenten Hans Klein, ihrem späteren ersten Ehemann, und vielen bedeutenden Persönlichkeiten wie dem sie prägenden Parteitheoretiker Otto Bauer zusammentraf. Die Schulreform der 1920er-Jahre, initiiert durch den Pädagogen →Otto Glöckel, den sie persönlich kennen lernte, beeinflusste ihre spätere Lehrtätigkeit nachhaltig.

Stella Herzig erlebte die zunehmenden gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Spannungen, die sich nach den dramatischen Ereignissen um Schattendorf zuspitzten: Am 30. Januar 1927 hatten die Sozialdemokraten in der kleinen burgenländischen Ortschaft eine Versammlung abgehalten und waren dabei von Mitgliedern der Frontkämpfervereinigung Deutsch-Österreichs beschossen worden. Die Bilanz waren zwei Tote und einige Verletzte. Am 15. Juli, nach Bekanntgabe des Freispruchs der Täter, geriet die Studentin in den Tross der demonstrierenden Arbeiterschaft vor dem Justizpalast in Wien. Nach diesem einschneidenden Erlebnis, das ihr die unkontrollierbare Dynamik von Menschenmassen vor Augen führte – beim Brand des Justizpalastes starben mindestens 89 Menschen und mehr als 600 Personen wurden verletzt –, engagierte sich Stella Herzig weiterhin in der Partei, arbeitete u. a. als Vertrauensperson in ihrem Wohnbezirk sowie als Bildungsreferentin und zweimal wöchentlich in der Arbeiterbücherei des 9. Bezirks.

1930 heiratete sie ihre erste große Liebe Dr. Hans Klein. Diese Beziehung endete jedoch tragisch: 1933 nahm er sich das Leben. Noch am Tag der Einäscherung ihres Mannes absolvierte Stella Klein ein Vorstellungsgespräch am Chajesrealgymnasium, einem jüdischen Privatgymnasium, an dem sie in der Folge ihre erste fixe Stelle als Lehrerin antrat. Stella Klein-Löw beschrieb in ihren Erinnerungen die Jahre der Lehrtätigkeit an dieser Schule als ihre wertvollsten, nicht zuletzt deshalb, weil die jüdischen Schüler sich der Tatsache sehr bewusst waren, dass sie es in ihrem späteren Leben schwerer haben würden als andere Gleichaltrige, und deshalb härter arbeiteten. Auch in der Zeit des „Ständestaats“ setzte Klein-Löw ihre politische Tätigkeit in der Illegalität fort – die Sozialdemokratische Arbeiterpartei war am 12. Februar 1934 verboten worden.

 

 

„Aus der brauen Flut in den grauen Nebel“: Flucht nach England

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland emigrierte sie wenige Monate später als rassisch und politisch Verfolgte nach England – nachdem die Ausreise ihrer Mutter und ihres Bruders ebenfalls gesichert war. Die Einreise nach Großbritannien gelang ihr dank eines „domestic permit“, einer britischen Arbeitsbewilligung als Haushaltsgehilfin, das für sie, wie für viele andere Frauen, oftmals die letzte Möglichkeit bot, der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft zu entkommen.
Klein-Löws erste Stelle war die eines „Mädchens für Alles“ bei einem Arztehepaar in London: Zu ihren Tätigkeiten zählten „Heizen und Kochen, Servieren und Geschirrwaschen, Gründlichmachen und Teppichkehren“. Dazu kamen im Frühling noch Rasenmähen und Unkrautjäten auf den Gartenpfaden hinzu. Sie kündigte bereits nach wenigen Monaten und fand eine neue Stelle als „mother’s help“, d. h. als Kindermädchen, in Kingsbury, einem Londoner Außenbezirk.

Bei Ausbruch des Krieges wurde die gesamte Familie ihrer Arbeitgeber evakuiert. Stella Klein-Löw entschloss sich jedoch, in London zu bleiben, und schlug sich in den folgenden Monaten mit Gelegenheitsjobs und als Bedienerin durch. In dieser Zeit begann sie auch wieder, sich politisch zu engagieren, zunächst im Austrian Labour Club, der Auslandsorganisation der österreichischen Sozialisten in London, und später in der Labour Party, deren Mitglied sie 1942 wurde. Sie arbeitete ehrenhalber im International Solidarity Fund, der deutsche Flüchtlinge unterstützte. Dabei lernte sie ihren zweiten Ehemann , den Wiener Physiker und Chemiker Dr. Moses Löw kennen, der kurz vor Kriegsausbruch aus dem KZ Dachau entlassen wurde und mit Hilfe der britischen Labour Party nach London emigrieren konnte. Sie heirateten am 27. Januar 1940.

Im März 1941 erlaubte die Aufhebung der Beschäftigungsbeschränkungen Klein-Löw schließlich, auf Vermittlung von Leah Manning, einer englischen Sozialistin und Parlamentarierin, eine ihrer Ausbildung entsprechenden Anstellung in der „Grange“, einem Heim für schwer erziehbare Buben in Stevenage, Hertfordshire, anzunehmen. Die Arbeit in der „Grange“ war für Klein-Löw „Stätte harter, aber besonderer Arbeit, die mich ganz in Anspruch nahm und meinem geistigen Interessenkreis eine neue Welt hinzufügte: sozial, kulturell, pädagogisch, psychologisch.“

 

 

Mit ganzer Kraft für Österreich: Rückkehr nach Wien

1946 kehrte das Ehepaar Klein-Löw nach Wien zurück, obwohl es in England bessere Existenzmöglichkeiten gehabt hätte. Als Gründe für diese Entscheidung führte Klein-Löw in einem unveröffentlichten Typoskript u. a. an:

 

„1. Wir wollten als österreichische Sozialisten in Österreich, dem besetzten Österreich, leben und arbeiten: persönlich, beruflich, politisch.

2. Wir wollten das durch die Emigration unterbrochene Leben den neuen Gegebenheiten anpassen als ‚gelernte Marxisten’, alte Freundschaften wieder aufleben lassen, bestehende Bindungen fester von neuem knüpfen.

3. Das Abenteuer ‚Neues Österreich – alte Heimat’ reizte und lockte uns. Außerdem hätten wir uns geschämt, gerade in der kritischen Situation, Österreich – Wien – den Sozialismus im Stich zu lassen und auf bessere Zeiten zu warten.

4. Last but not least: Wir hatten den Faschismus in seinen beiden Formen erlebt und erlitten. Trotzdem war für uns Österreich kein Alptraum geblieben. Wir hatten keinen Haßkomplex gegen die Österreicher, die Wiener, die Arier. […] Was geschehen war an Verbrechen, würde man nie vergessen können und dürfen. Aber Haß ist eine schlechte Bahn in eine neue Zeit. Entweder hätte man alle gewesenen Faschisten umbringen müssen, oder man mußte mit ihnen leben. Das würde nicht leicht sein. Umso wichtiger schien uns unsere Rückkehr.“

 

Stella Klein-Löw nahm nach der Rückkehr nach Wien ihre Arbeit als Mittelschulprofessorin, zunächst am Gymnasium in der Rahlgasse, später als Direktorin am Floridsdorfer Mädchenrealgymnasium, und auch ihre politische Tätigkeit wieder auf. Sie wurde Vertrauensperson in Währing und machte sich durch ihre Vortragstätigkeit und ihre Mitarbeit bei den Sozialistischen Mittelschullehrern einen Namen. Sie gehörte dem Wiener Frauenkomitee und dem Bildungsausschuss der Sozialistischen Partei Österreichs an, übernahm die Rednerschulung in der Parteischule und wurde in den Parteivorstand gewählt.

 

„Die Sprachkosmetikerin“: Stella Klein-Löw im österreichischen Nationalrat

1959 fand sie schließlich in der Wiener Leopoldstadt über ein Nationalratsmandat ihre politische Heimat. Sie blieb bis 1970 Nationalratsabgeordnete, wobei sie als Bildungssprecherin der SPÖ, aber auch im Jugendstrafvollzug sowie als Mitglied des Landesverteidigungsausschusses Schwerpunkte setzte. Wegen ihrer häufigen Kritik an nicht klar formulierten Gesetzesvorlagen bekam sie den Titel „Sprachkosmetikerin“ und setzte sich mit großem Einsatz für eine für jedermann verständliche Sprache ein. Bruno Kreisky bezeichnete seine spätere Biographin Klein-Löw als „eine der liebenswertesten und unermüdlichsten Persönlichkeiten des österreichischen Arbeiterbildungswesens – neben allem, was sie sonst noch ist und war.“ Stella Klein-Löw engagierte sich auch in Rhetorikschulungen von Parteifunktionären und in der Ehe- und Sexualberatungsstelle.

Nach ihrem Ausscheiden aus dem Nationalrat führte sie ihre frühere Parteiarbeit fort.

1970 wurde ihr der Titel Hofrat, das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und die Victor-Adler-Plakette der SPÖ verliehen.

1978 erhielt sie schließlich für ihre Verdienste um die Erwachsenenbildung das Goldene Doktordiplom der Universität Wien, 1985 folgte die Verleihung der Otto-Glöckel-Medaille der Stadt Wien.

Stella Klein-Löw starb am 7. Juni 1986 im Alter von 82 Jahren in Wien. Sie wurde auf dem Friedhof der Feuerhalle Simmering neben ihren beiden Ehemännern Hans Klein und Moses Löw bestattet.

Der Stella Klein-Löw-Hof , Tabor-Straße 61, und der Stella-Klein-Löw-Weg im 2. Wiener Gemeindebezirk erinnern heute noch an sie.

 

Weitere Werke: Kinder unserer Zeit, 1979; Erinnerungen, 1980; Woran Ehen zerbrechen, 1980; Bruno Kreisky, 1983; Von der Vision zur Wirklichkeit – von der Wirklichkeit zur Vision, 1985; Typoskript der Erinnerungen von Stella Klein-Löw betreffend deren Beweggründe zur Rückkehr, o. J., Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien.

Literatur: Bruno Kreisky, Vorwort, in: St. Klein-Löw, Menschen um mich, 1982, S.3-7; Vertriebene Vernunft I, ed. F. Stadler, 1987, S. 460; Österreicher im Exil – Großbritannien 1938-1945, 1992, s. Reg. (m. B.); Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken, ed. Brigitta Keintzel – Ilse Korotin, 2002 (m. B. u. W.); T. Bollauf, Dienstmädchen-Emigration. Die Flucht jüdischer Frauen aus Österreich und Deutschland nach England 1938/39, 2010, s. Reg.; DÖW, UA, beide Wien; http://www.dasrotewien.at/klein-loew-stella.html, http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/Klein-Loew_Stella.htm (Zugriff 17. 12. 2013).

(Johanna Dollhäubl)


Wir danken dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Frau Dr. Elisabeth Boeckl-Klamper und Frau Lilli Bauer für Auskünfte und die Verfügungstellung der Fotos.