Österreichisches Biographisches Lexikon

Biographie des Monats

„Zacherlin wirkt staunenswert!“ – Johann Zacherl und sein Pulver.

Anlässlich des 125. Todestages von Johann Zacherl am 30. Juni 2013 erinnert das ÖBL an jenen Unternehmer, der das sogenannte persische Insektenpulver in Österreich-Ungarn bekannt machte und unter dem Namen „Zacherlin“ europaweit vermarktete. Den Wirkstoff seiner geschickt beworbenen „Specialität gegen Wanzen, Flöhe, Küchen-Ungeziefer, Motten, Parasiten auf Hausthieren etc., etc.“ bildete das aus getrockneten Chrysanthemen gewonnene Pyrethrum, ein natürliches Insektizid. In den Handel kam das Zacherlin in charakteristischen Glasfläschchen mit Zerstäuber. Sein Markenzeichen, ein Mann in „persischer“ Tracht, war dank intensiver Werbung weithin bekannt.

 

Johann Zacherl kam 1814 als Sohn des Zinngießers Johann Gregor Zacherl und seiner Frau Katharina, geb. Lauterer, in der damaligen Münchner Vorstadt Au zur Welt. Er erlernte wie sein Vater das Zinngießerhandwerk und ging 1832 auf die Walz. Über Freising, Ingolstadt, Landshut, Regensburg und Passau gelangte Zacherl 1836 auch nach Wien, wo er in einer Zinngießerei Beschäftigung fand. Von dort wanderte er über St. Petersburg, Moskau und Kiew bis nach Odessa und schiffte sich schließlich nach Konstantinopel ein. Anfang der 1840er-Jahre plante er eine Reise nach Jerusalem, begab sich jedoch bald darauf in den Kaukasus und eröffnete in Tiflis eine Werkstatt für Zinn- und Gelbgießerei, Holz- und Eisendreherei. Für Zacherls späteren Erfolg wurde jedoch nicht dieses Metier, sondern der Handel, insbesondere jener mit „persischem Pulver“ entscheidend, das er wahrscheinlich durch armenische Kaufleute in Tiflis kennenlernte. Wie die Familienchronik berichtet, nahm Zacherl das gegen Insekten wirksame Pulver unter seine übrigen Handelsartikel (wie Tee, Rum, Bernstein, Teppiche oder Ölbilder) auf und spezialisierte sich zunehmend darauf. So soll er Ortschaften bis tief ins kaukasische Gebirge bereist haben, um das Pflücken der dort wild wachsenden Chrysanthemen zu organisieren. Nach Tiflis gebracht, wurden die getrockneten Blüten zu Pulver vermahlen und für den Transport nach Europa in Schafsleder eingenäht.

1855 übersiedelte Zacherl, der bereits ein Verkaufslokal in der Strauchgasse gemietet hatte, mit seiner zweiten Frau Anna, geb. Haas, nach Wien (seine erste Frau Karoline Magdalene Christine Blum war nach kurzer Ehe im Kindbett gestorben). Im Jahr darauf gab er per Inserat die Verlegung seines Depots in die Goldschmiedgasse Nr. 624 bekannt, von wo aus er das Unternehmen kontinuierlich erweiterte. Als „Johann Zacherl, Handelsmann aus Tiflis in Asien“ inserierte er ab 1860 im „Lehmann“, dem Wiener Adressbuch, wo er auf sein „erstes ausschließliches Hauptdepôt des allein echten persischen alle Insekten tödtenden Pulvers“ aufmerksam machte, das er direkt aus seinen Besitzungen in Asien beziehe. Filialen in „Tiflis Erivanischer Platz“ und „Paris rue St. Joseph Nr. 3, G. Dürrich“ werden genannt. 1865 bewarb er zusätzlich seine „k. k. östr. ausschl. pr. und franz., engl. und belgisch patent. alle Insecten tödtende Tinctur“ und nennt als Hauptdepots nun auch Adressen in London und Konstantinopel.

Später stieg Zacherls ältester Sohn Johann Evangelist (1857–1936) in das florierende Unternehmen ein, das er im Jahre 1880 übernahm und weiter ausbaute. Johann Zacherl senior starb am 30. Juni 1888 in Unterdöbling. Eine Bronzestatue im Treppenhaus der einstigen Fabrik zeigt den Firmengründer in tscherkessischer Tracht – die Chrysantheme in seiner Hand und die lateinische Inschrift im Sockel des Standbilds verweisen auf jene Pflanze, deren „verborgene Segenskräfte“ er erschloss.

 

IOANNES ZACHERL
A. D. 1814–1888
CONSOCIATIONIS AVCTOR ZACHERLIANAE
HOMINVM PROVIDENS COMMODO
ABDITAS VIRES PROSPERAS
CAVCASIANI PYRETHRI ROSEI
RETEXIT ADHIBVIT SAGAX

 

Das Produkt und seine Vermarktung

Kennzeichen von Zacherls „Specialität gegen Wanzen, Flöhe, Küchen-Ungeziefer, Motten, Parasiten auf Hausthieren etc., etc.“, waren, wie es in der Reklame hieß, „1. die versiegelte Flasche, 2. der Name „Zacherl“. Um sich von Konkurrenten abzugrenzen (Zeitungsinserate zeugen vom Wettbewerb um das beste persische Insektenpulver) und die besondere Güte seines Produkts zu unterstreichen, warb er häufig mit dem Hinweis, dass echtes Zacherlin niemals in der Tüte, sondern nur in Flaschen verkauft werde.

 

Zur rationellen Anwendung des Pulvers wurde später der sogenannte „Zacherlin-Sparer“ entwickelt. Dieser Zerstäuber aus Kautschuk konnte auf die Flaschen gesteckt werden und erzeugte gleichmäßige „Staubwolken, mit denen man alle Aufenthaltsorte der Insekten gründlichst ausbläst“, wie die Gebrauchsanweisung erläuterte.

Im Lauf der Zeit erweiterte die Firma ihre Produktpalette um die schon erwähnte Tinktur, um Pyrethrumseife, „Viehwasch-Zacherlin“ und einen Teppichreinigungsapparat. „Anerkannt besten Schutz für Möbel, Winterkleider, Teppiche, Pelzwerk gegen Mottenfrass“ bot außerdem „Zacherl’s Motten-Pulver“. In der „Orientalischen Schwamm-Niederlage von J. Zacherl“ waren zudem „Gesundheits-Schwämme“, „feinst gereinigte Toilette- und Bade-Schwämme“ erhältlich, „ebenso ganz große Douche- und Sitzbad-Schwämme, deren Reinigung nach neuester Erfindung geschieht“.

 

Während Zacherlin wegen seiner neurotoxischen Wirkung für Insekten tödlich war, stellte es für Mensch und Haustier keine Bedrohung dar. Heute würde das Erzeugnis unter die Gruppe der biologischen Schädlingsbekämpfungsmittel fallen. Dennoch konnte die versehentliche Einnahme unangenehme Folgen haben. Wie der „Tagesbote aus Mähren und Schlesien“ in seiner Ausgabe vom 1. März 1883 berichtete, hatte ein Brünner Cafetiér nachts irrtümlich statt des Hustenmittels „Huste nicht“ Zacherlin zu sich genommen. Sein Versehen bemerkte er erst, als „ihm das Pulver in der Schlundhöhle Kratzen verursachte“. Aus Angst vor Vergiftung trank er daraufhin mehrere Tassen warmer Milch, worauf sich Erbrechen und Diarrhoe einstellten. Seinen Missgriff büßte er durch „mehrstündiges Unwohlsein“.

 

Ein im Eigenverlag erschienenes Lied mit dem Titel „Zacherl und sein Pulver!“ entstand offenkundig zu Werbezwecken. Es veranschaulicht die segensreiche Wirkung von Zacherls Pulver und wurde von Moritz Kässmayer vertont. Vier vom Humoristen Josef Weyl verfasste Strophen schildern den Verdruss durch nächtliche Wanzenbisse, ein Töpfe und Pfannen heimsuchendes Insektenheer, Pelzwerk und Möbel zernagende Motten sowie das Ungeziefer in Garten und Feld. Doch Hausfrau, Köchin und Landmann konnten dank Zacherls Pulver aufatmen, und der Refrain des Liedes verweist auf „den rechten Mann, der helfen will und helfen kann“.

 

 

 

 

Zacherl und sein Pulver

Man hat auf diesem Erdenrund schier nimmer eine ruh’ge Stund,
den ganzen, lieben langen Tag giebt es nur Sorgen, Angst und Plag,
und drückt man Nachts die Augen zu, dann hat man wieder keine Ruh!
Just wie beim Tag wird man gehetzt, in Unruh und in Angst versetzt,
man nimmt dann aus dem Bett die Flucht, gönnt sich nicht Rast noch Ruh und sucht,
was da so kitzelt, beisst und sticht, man schreit mit Göthe: Licht mehr Licht!
Dann freilich seh’n wir deutlich ein die Ursach uns’rer Plag und Pein
und sind getröstet auch sodann: Wir wissen, wer uns retten kann,
denn gegen solche Höllenbrut sind Zacherl und sein Pulver gut!
Es gibt auf Erden manche Pein und viele Qualen gross und klein
die schutz und hülflos voll Verdruss die arme Menschheit dulden muss;
drum wär’ es wirklich lächerlich, wenn man noch liesse ärgern sich
von lästiger Insekten Heer! Gott lob, das ist nicht nöthig mehr
wir wissen schon den rechten Mann, der helfen will und helfen kann,
denn gegen solche Höllenbrut sind Zacherl und sein Pulver gut.
[…]

Eher dem Bereich der Werbung als jenem der Kunst zuzurechnen ist auch die „Burleske mit Gesang, Tanz und Gruppirungen“, die am 3. September 1859 am Thalia-Theater in der Wiener Vorstadt Neulerchenfeld erstmals über die Bühne ging. Das Stück trug den Titel „Zacherl“, war von Theodor Flamm und Joseph Wimmer verfasst worden und bestand aus den drei Akten „Die Zauberflasche“, „Der Reisende aus Tiflis“ und „Die Lösung im Geisterreiche“. „Die Presse“ nannte das Stück eine „Reclame in Possenform“ und fand es keiner näheren Besprechung würdig. Noch vernichtender fiel das Urteil der „Blätter für Musik, Theater und Kunst“ drei Tage später aus, worin zu lesen war, es gehöre „ein seltener Grad ästhetischer Verworfenheit, ein schnödes, ja barbarisches Verkennen der Bühne und ihrer Mission dazu, das Insecten tötende Pulver des Herrn Zacherl als Substrat eines Bühnenproductes zu wählen. […] Auf welch’ schlotterige Abwege muß die Menschenphantasie gerathen sein, die sich vom ‚Jucken zur Nachtzeit‛ begeistern läßt, um daraus eine dreiactige Burleske zu formuliren“. Bedauerlicherweise sind dies die einzigen Hinweise auf das Bühnenstück, in dem „Zacherl“ auch als handelnde Person auftritt; ein Textbuch scheint nicht erhalten geblieben zu sein.

 

Zacherlfabrik und Zacherlhaus

Der Name Zacherl ist mit zwei bemerkenswerten Gebäuden verknüpft, die architektonisch auf den geschäftlichen Hintergrund der Familie verweisen. Als Industriedenkmal noch heute zu besichtigen ist die einstige Zacherlfabrik in der Döblinger Nusswaldgasse (Wien 19), die durch ihr orientalisches, an eine Moschee erinnerndes Aussehen auffällt. Eine farbenprächtige, mit glasierten Fliesen geschmückte Fassade, die Kuppel und zwei Minarette machen sie zu einem in Wien einzigartigen Objekt.

Als das Unternehmen Anfang der 1890er-Jahre baulich erweitert wurde, entstand auch ein neues Bürogebäude, bei dem auf Zacherls Wunsch maurische Stilelemente zur Anwendung kamen. Die Architekten, die Brüder Mayreder, benützten teils Skizzen von Hugo von Wiedenfeld, einem Spezialisten für maurisch-orientalisierenden Stil. Während die Fassade im persisch-maurischen Stil ausgeführt wurde, herrscht im Inneren ein ägytisch-maurischer Baustil vor. Heute wird die Zacherlfabrik für kulturelle Zwecke genutzt.

 

 

 

Rund ein Jahrzehnt später ließ Johann Evangelist Zacherl einen weiteren, architekturgeschichtlich bedeutenderen Bau errichten, das im Volksmund „Wanzenburg“ genannte Wohn- und Geschäftshaus in der Wiener Innenstadt. Es zählt zu den wichtigsten zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg entstandenen Gebäuden der Stadt und steht unter Denkmalschutz. Architekt des zwischen Brandstätte, Wildpret- und Bauernmarkt gelegenen Zacherlhauses war der Otto-Wagner-Schüler Jože Plečnik. Erbaut wurde es in den Jahren 1903–1906. Die später an der markanten Granitfassade angebrachte Bronzeskulptur des Erzengels Michael soll Johann Evangelist Zacherl symbolisieren, der die Menschheit von der Mottenplage befreite. Auch im Treppenhaus des Gebäudes findet sich eine Anspielung auf das Produkt, das der Familie zu Wohlstand verholfen hatte: Ein von Plečnik entworfener Beleuchtungskörper erinnert in seiner Form an einen Insektenrüssel.

 

 

 

Literatur: Die Presse, 11. 5. 1856; Tagesbote aus Mähren und Schlesien, 1. 3. 1883; Neue Freie Presse, 1. 7. 1888 (Parte); Czeike; Bureau-Gebäude des Etablissements „Zacherl“ […], in: Allgemeine Bauzeitung 60, 1895, S. 24; A. S. Mpandashalo, Pyrethrum Analysis, Diplomarbeit TU Wien, 1996, S. 3–7 (m. B.); K. Sotriffer, Die Blüte der Chrysantheme. Die Zacherl – Stationen einer Wiener Bürgerfamilie, 1996 (m. B.); H. Slaby, Bindenschild und Sonnenlöwe. Die Geschichte der österreichisch-iranischen Beziehungen bis zur Gegenwart, Neuaufl., ed. B. G. Fragner, 2010, S. 218–220; Die Mottenfraß-Verhütungs-Unternehmung Zacherl in 20 Bildern, o. J.

(E. Offenthaler)


Anlässlich einer Führung im Pharma- und Drogistenmuseum Wien wurde es uns dankenswerterweise ermöglicht, aus den Schätzen der umfangreichen Sammlung zwei Originalfläschchen „Zacherlin“ zu fotografieren.