Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
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Biographie des Monats

Böheim (Boeheim) Wendelin Josef – ein österreichischer Pionier der historischen Waffenkunde.

Am 17. September 2012 jährt sich der 180. Geburtstag von Wendelin Josef Böheim. Der vielseitige Offizier, Schriftsteller und Museumsbedienstete mit mährischen und österreichischen Vorfahren hat sich als einer der Ersten wissenschaftlich mit der historischen Waffenkunde befasst und die methodische Waffenforschung in Österreich begründet.

Militärische Karriere

Wendelin Josef Böheim wurde am 17. September 1832 in Wiener Neustadt in Niederösterreich als Sohn des Magistratsbeamten und Altertumsforschers Ferdinand Karl Böheim (geb. Znaim, Tschechien, 1794; gest. Wiener Neustadt, 30. 5. 1835) und dessen Gattin Katharina, der Tochter des Wiener Neustädter Bürgerspitalsverwalters Leopold Penshönnig, geboren und im römisch-katholischen Glauben erzogen. Der junge Wendelin studierte zunächst Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien, trat jedoch im Revolutionsjahr 1848 in das österreichische Pionierkorps ein und startete eine militärische Karriere. 1854 zum Leutnant ausgemustert, war er zunächst im Straßen- und Befestigungsbau, darunter bei der Errichtung des Brückenkopfes von Borgoforte oder einer Notbrücke über den oberitalienischen Fluss Mincio bei den Kämpfen in Italien 1859, eingesetzt. In diesem Jahr avancierte er auch zum Oberleutnant. Bis 1865 unterrichtete er als Professor für Feldfortifikation an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. 1865 zum Hauptmann befördert, übernahm er als Kommandant die Pionier-Korps-Schule in Klosterneuburg. Im Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 kämpfte er im Niederösterreichischen Infanterie Regiment „Hoch- und Deutschmeister“ Nr. 4. Ab 1869 lehrte Böheim an der Kadettenschule in Graz. 1873 schied er aus dem aktiven militärischen Dienst aus und musste aus gesundheitlichen Gründen 1877 endgültig pensioniert werden. Damit begann jedoch ein neuer, überaus produktiver Lebensabschnitt.

Böheim und die kaiserliche Waffensammlung

Im Jahre 1878 wurde Böheim zum Kustos der Waffensammlung des Kaiserhauses ernannt, die ursprünglich eine reine Waffen- und Trophäensammlung darstellte und bereits ab 1869 als „k.k. Hofwaffenmuseum“ im Arsenal, dem heutigen Heeresgeschichtlichen Museum in Wien, für die Öffentlichkeit zum Besuch freigegeben war. 1888 gliederte Böheim nunmehr als Direktor dieser „Sammlungen von Waffen und kunstindustriellen Gegenständen des Allerhöchsten Kaiserhauses“ diese - nicht zuletzt aus Platzgründen – aus dem Arsenal aus und integrierte sie in das neuerrichtete Kunsthistorische Hofmuseum in Wien, wo sie ab 1889 besichtigt werden konnte (heute: Hofjagd- und Rüstkammer). Böheim war der Erste, der die historische Waffenkunde zu einer selbstständigen Wissenschaft erhob und damit auch die systematische Waffenforschung in Österreich initiierte. Insbesondere legte er bei der Organisation von Ausstellungen auf eine wissenschaftliche Ausrichtung Wert. Sein 1890 erschienenes und bis in die Mitte der 1980er-Jahre mehrfach nachgedrucktes „Handbuch der Waffenkunde. Das Waffenwesen in seiner historischen Entwickelung vom Beginn des Mittelalters bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“ wurde rasch zu einem wissenschaftlichen Standardwerk und trug wesentlich zur Popularisierung der Waffenkunde bei. Ebenso erwähnenswert sind seine „Meister der Waffenschmiedekunst vom XIV. bis ins XVIII. Jahrhundert“, 1897, sowie das zweibändige „Album hervorragender Gegenstände aus der Waffensammlung des Allerhöchsten Kaiserhauses“, 1894-1898. Er publizierte nicht nur über die Schmiedekunst und die Verwendung von militärischen Waffen, sondern auch über Jagdwaffen. 1897 begründete er die „Zeitschrift für historische Waffenkunde“, die heute noch als Fachzeitschrift „Waffen- und Kostümkunde“ existiert. Ab 1882 Korrespondent der Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale für Niederösterreich, fungierte Böheim 1886-1898 als Konservator (II. Sektion) und war ab 1897 Mitglied dieser Kommission (heute: Bundesdenkmalamt).

Böheim als Publizist

Böheim konnte sich nicht nur als militärischer Fachschriftsteller einen Namen machen, sondern publizierte auch über mittelalterliche Mode, verfasste Biografien, etwa über die Gattin des Tiroler Landesfürsten Ferdinand II., Erzherzog von Österreich, Philippine Welser. Sein Interesse galt insbesondere der Tiroler Geschichte, den Zeugbüchern Kaiser Maximilians I. sowie der Geschichte seines Geburtsortes. Obwohl er seinen Vater kaum kennenlernen konnte, war er von dessen Wirken und nachhaltigen Leistungen durchaus beeinflusst und publizierte selbst über die Urkunden und Regesten der Hofbibliothek sowie des Stadtarchivs von Wiener Neustadt. 1863 veröffentlichte Böheim eine Bearbeitung der von seinem Vater 1830 herausgegeben zweiteiligen „Chronik von Wiener-Neustadt“. Ebenso befasste er sich mit der Gründung und baulichen Entwicklung seiner Heimatstadt. Ab 1883 war Böheim Mitglied, 1886-1898 Ausschussmitglied und 1886-1892 Redakteur der „Berichte und Mitteilungen des Alterthumsvereins zu Wien“, zudem Mitglied der sogenannten Donnerstags Gesellschaft, deren Teilnehmer sich regelmäßig zu fachlichen Diskussionen und gesellschaftlicher Unterhaltung trafen. Seine künstlerischen Neigungen führten zu Forschungen über Goldschmiedehandwerk und Glasindustrie. Ein Auszug aus seinem Werk „Die Glasindustrie, ihre Geschichte, gegenwärtige Entwicklung und Statistik“ aus dem Jahre 1874, wurde als „Verzeichnis der in Deutschland befindlichen Glasfabriken mit Angabe ihrer Produktion“ 1997 gedruckt. Darüber hinaus war Böheim Mitarbeiter der Tageszeitung „Die Presse“, für die er zahlreiche Feuilletons schrieb, sowie der „Illustrirten Zeitung“.

In Annerkennung seiner Verdienste erhielt Böheim 1889 das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens sowie 1898 den Orden der Eisernen Krone III. Klasse. Ebenso war er Träger des königlich Preußischen Kronenordens III. Klasse, des königlich bayerischen Verdienstordens vom Heiligen Michael I. Klasse und des Ritterkreuzes des Sächsischen Albrecht-Ordens. Die Society of Antiquariats in London ernannte ihn zu ihrem Ehrenmitglied. Er starb am 1. November 1900 in Wien. 1961 wurde die Böheimgasse im 23. Wiener Gemeindebezirk nach ihm benannt.

 

Weitere Werke (Auswahl): Die Schatzkammer und die Kunstsammlung im lateranensischen Augustiner-Chorherrenstifte Klosterneuburg, 1889; Baumeister und Steinmetzen in Wiener-Neustadt im XV. Jahrhundert und ihre Werke, 1892; Philippine Welser. Eine Schilderung ihres Lebens und ihres Charakters, 1894; Das K. u. K. Schloss Ambras in Tirol. Führer durch das Gebäude und die Sammlungen, 1897 (3. Auflage 1903, gem. mit A. Ilg); Der Hofplattner des Erzherzogs Ferdinand von Tirol, Jakob Topf und seine Werke, 1897; Beiträge in Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses und im Kunstgewerbeblatt.

Literatur (Auswahl): Wiener Zeitung, 2. 11. 1900; Handbuch für Heer und Flotte 2, ed. Georg von Alten, 1909, S. 356f.; Felix Kemenović von Belovar, Geschichte der Pionierkadetten und deren Schulen, 1911, s. Reg.; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, 1, 1954, S. 95f. (m. L.); Oskar Regele, in: Neue Deutsche Biographie 2, 1955, S. 376 (m. L.); Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien 1, 1992 (m. L.); Theodor Brückler – Ulrike Nimeth, Personenlexikon zur Österreichischen Denkmalpflege (1850-1990), 2001; Kriegsarchiv Wien.

(Daniela Angetter)