Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
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Biographie des Monats

Karl Chiari – der erste Ordinarius für Orthopädie in Wien.

Am 9. Juni 1912 jährt sich der 100. Geburtstag von Karl Chiari. Der Spross einer Ärztedynastie wurde zum Begründer der modernen Orthopädie in Wien. Durch seine Arbeiten über Hüftluxation und Hüftpfannenrekonstruktion wurde er weit über die Grenzen Österreichs bekannt. Auf das Fachgebiet der Orthopädie ist er nach eigenen Aussagen rein zufällig gestoßen: „Ich machte meine Ausbildung in Chirurgie und als man für die orthopädische Station jemanden gesucht hat, bin ich gegangen und gerne hier geblieben“.

 

Karl Chiari wurde am 9. Juni 1912 als Sohn des Primararztes und späteren Direktors des Allgemeinen Krankenhauses in Linz Richard Chiari (1882-1929) in Wien geboren. Sein Großvater Ottokar Freiherr von Chiari war ebenfalls Mediziner und wirkte als Universitätsprofessor für Laryngologie in Wien, sein Urgroßvater Johann Baptist Chiari war ein bekannter Gynäkologe. Ursprünglich stammte die Familie aus Oberitalien, lebte aber nun bereits seit der fünften Generation in Österreich. Der junge Karl besuchte Gymnasien in Linz und Wien und maturierte 1930 am Schottengymnasium im ersten Wiener Gemeindebezirk. Im Anschluss daran studierte er Medizin an der Universität Wien und wurde 1936 zum Dr. med. promoviert. Kurzfristig vertiefte er seine Ausbildung als Assistent bei Eduard Pernkopf am Anatomischen Institut der Universität Wien und wechselte im November 1936 als Hilfsarzt zu Egon Ranzi an die I. Chirurgische Universitätsklinik. Ab 1938 wurden Julius Hass und später Gerhard (von) Haberler, der sich intensiv mit Früherkennung der Hüftverrenkung befasste und das Ein- und Ausschnapp-Phänomen der Hüfte bei Neugeborenen beschrieb, zu seinen Lehrmeistern an der Orthopädischen Station dieser Klinik. Darüber hinaus förderte Leopold Schönbauer, der Vorstand der I. Chirurgischen Universitätsklinik, Chiaris noch junge Karriere. 1939 wurde Karl Chiari zum Oberarzt der Orthopädischen Station ernannt. Im Zweiten Weltkrieg leistete er wichtige Beiträge in der operativen Behandlung und Rehabilitation von Behinderten sowie in der Betreuung körperbehinderter Kinder.

Im Jahre 1938 heiratete er Elfriede Wittasek, die nach der Geburt ihres zweiten Sohnes an einer Puerperalsepsis - in Österreich gab es 1941 noch kein Penicillin - starb. Während des Krieges heiratete er in zweiter Ehe die Fachärztin für Orthopädie Elisabeth Fraundorfer. Aus seinen beiden Ehen stammten fünf Kinder, von denen vier ebenfalls den Arztberuf ergriffen.

 

Chiari als Orthopäde

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte Chiari seine Tätigkeit zunächst unter Albert Lorenz, dem Sohn des Pioniers der Orthopädie Adolf Lorenz und Bruder des Verhaltungsforschers Konrad Lorenz, an der Orthopädischen Station fort und konnte 1951 als Nachfolger von Lorenz die Leitung dieser Station übernehmen. 1953 habilitierte er sich aufgrund seiner Arbeiten über die Acrylharzprothesen im Hüftgelenk und seiner ersten Publikationen über die Beckenosteotomie. 1961 wurde er zum ao. Professor ernannt. Ein Jahr später erfolgte die Umwandlung der Orthopädischen Station der I. Chirurgischen Universitätsklinik in eine selbstständige Orthopädische Klinik und Chiari wurde als Extraordinarius mit der Leitung betraut. Damit war ein längst fälliger Schritt in der Entwicklung der Orthopädie erfolgreich umgesetzt. Die Wiener Klinik diente weiteren derartigen Einrichtungen mit unterschiedlichsten Schwerpunktsetzungen in ganz Österreich zum Vorbild. 1967 wurde Chiari zum Ordinarius ernannt. In seiner fast 20jährigen Tätigkeit als Klinikchef beeinflusste er die Entwicklung der Orthopädie in Österreich maßgeblich. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern führte er moderne orthopädische Behandlungsmethoden und Operationstechniken ein. Mit Fritz Meznik galt sein Interesse der orthopädischen Therapie der Skoliose, mit Martin Salzer und Rainer Kotz wandte er sich der Behandlung von Knochentumoren zu, mit Wolfgang Schwägerl der Rheumaorthopädie und der Knieendoprothetik, mit Karl Zweymüller forcierte er die Entwicklung der Hüftendoprothetik. Seine Klinik, die er auch räumlich den modernen Anforderungen insbesondere in Hinblick auf die chirurgische Orthopädie anpasste und stetig auszubauen versuchte, leitete er bis zu seinem Tod.

 

Chiari als Wissenschaftler

Chiari hat im Laufe seines Lebens mehr als 80 wissenschaftliche Arbeiten verfasst, die das gesamte Betätigungsfeld der Orthopädie, nämlich die konservative wie die operative Orthopädie, aber auch die Präventivmedizin, die Rehabilitation und die orthopädische Behandlung geriatrischer Patienten umfassen. Sein Interesse war jedoch immer auf Fragestellungen ausgerichtet, bei denen eine kurative Wirkung zu erwarten war. Insbesondere befasste er sich mit der Beckenosteotomie als Therapiemöglichkeit der angeborenen Hüftgelenksluxation. Dabei wird der Beckenknochen direkt über dem Hüftgelenk durchtrennt, die Hüftgelenkspfanne nach medial (innen) verschoben, wodurch der Hüftkopf eine breite knöcherne Überdachung erhält. Die neue Stellung wird mit Schrauben oder Bohrdrähten fixiert. Dieser als Chiari-Operation bekannte Eingriff ist ab dem 4. Lebensjahr möglich. Damit konnte Chiari nicht nur Tausenden Patienten Erleichterung im täglichen Leben verschaffen, sondern verhalf dem medizinischen Wien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu internationalem Ansehen. Diesbezüglich erwähnenswert ist u. a. seine Publikation „Beckenverengung durch Osteotomie“ (1957), aber auch seine Mitarbeit an dem zweibändigen Atlas „Operationen im Kindesalter“ (1973, 1975). Bahnbrechende Erfolge verzeichnete er zudem in der Entwicklung der künstlichen Arthroplastik, einem chirurgischen Eingriff, der Gelenkfunktionen sicher- oder wiederherstellen sollte. Ebenso befasste er sich mit Fragen der Skelettuberkulose und mit der orthopädischen Kinderkrankheit Morbus Perthes. Durchaus vorausschauend war auch seine Beschäftigung mit Skelettschäden durch Übergewicht.

 

Chiari als Mentor von Menschen mit besonderen Bedürfnissen

Als Arzt hatte Chiari stets ein offenes Ohr für die Probleme und Bedürfnisse seiner Patienten und ganz besonders für jene, die vom Schicksal besonders gezeichnet waren. Wie bereits erwähnt hatte er sich während des Zweiten Weltkriegs um die Behandlung von körperbehinderten Patienten verdient gemacht. Auch nach 1945 kümmerte er sich intensiv um die Bedürfnisse körperbehinderter Menschen, vor allem Kinder und Jugendlicher. Viele Jahre lang betreute er die Waldschule im Föhrenwald nahe Wiener Neustadt, eine Ausbildungsstätte für körperlich behinderte Kinder und Jugendliche, die dem Vorbild der heilpädagogischen Schulen von Hans Radl folgte. In der Heilanstalt Grimmenstein richtete er eine Abteilung zur Behandlung von Knochentuberkulose und chronischer orthopädischer Erkrankungen ein.

Für seine Verdienste vielfach ausgezeichnet war Chiari Ehrenmitglied zahlreicher nationaler und internationaler Fachgesellschaften wie jener von Frankreich, Ungarn, Jugoslawien, der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, Mitglied der International Hip Society, der Société Internationale de Chirurgie Orthopédique et de Traumatologie sowie der Gesellschaft der Ärzte in Wien und korrespondierendes Mitglied der Orthopädischen Gesellschaften von Großbritannien, der Schweiz und den USA. Darüber hinaus fungierte er 1964-73 als Präsident der Vereinigung der Orthopäden Österreichs und wurde 1969 zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie gewählt. 1978 erhielt er den Preis für rekonstruktive Orthopädie und Chirurgie (vormals Lexer-Preis). Die heutige Österreichische Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie vergab als Nachfolgeorganisation der Vereinigung der Orthopäden Österreichs mehrmals den Prof. Dr. Karl Chiari-Preis. Chiari starb am 18. Jänner 1982 in Wien.

 

Literatur (Auswahl): Kurier, 3. 5. 1977; Die Presse, 26., 30. 1. 1982; F(ranz) Endler, Universitätsprofessor Dr. Karl Chiari zum 60. Geburtstag, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 122, 1972, S. 407f. (m. B.); Max Lange, Laudatio dem lieben verehrten Kollegen Chiari zum 60. Geburtstag, in: Zeitschrift für Orthopädie und ihre Grenzgebiete 110, 1972, S. 277-280 (mit Bild und Werksverzeichnis); Universität Wien, Studienjahr 1981/82, 1982, S. 99f.; F(ritz) Meznik, Nachruf für Herrn Prof. Dr. K. Chiari, in: Wiener klinische Wochenschrift 94, 1982, S. 247f.; Fritz Meznik, Karl Chiari, in: International Orthopaedics 6, 1982, S. 139 (mit Bild); Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien 1, 1992; Karl Heinz Tragl, Chronik der Wiener Krankenanstalten, 2007, s. Reg.; Universitätsarchiv, Wien.

(Daniela Angetter)


Für die Unterstützung bei der Erstellung der Biographie sei Herrn DI Gerd Chiari, dem Sohn des Biographierten, und Frau Prof. Dr. Catharina Chiari, Enkelin von Karl Chiari, herzlichst gedankt.