Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
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Biographie des Monats

Pionier des ungarischen Feuerwehrwesens und osmanischer Pascha: Ödön Graf Széchényi von Sárvár und Felsővidek.

Vor 90 Jahren, am 24. März 1922, starb in Konstantinopel, dem heutigen İstanbul, Ödön Graf Széchényi von Sárvár und Felsővidek. Sowohl in seiner Heimat Ungarn als auch im Osmanischen Reich hatte er maßgeblichen Anteil am Aufbau und der Organisation von Berufsfeuerwehren.

 

Ödön Graf Széchényi von Sárvár und Felsővidek wurde am 14. Dezember 1839 in Preßburg (heute Bratislava, Slowakei) als zweitältester Sohn des ungarischen Reformers István Graf Széchényi von Sárvár und Felsővidek (geb. Wien, 21. 9. 1791; gest. Döbling, Niederösterreich / Wien, 8. 4. 1860; Selbstmord) und seiner Frau Crescence, einer geborenen Gräfin Seilern (geb. 13. 5. 1799; gest. 30. 7. 1875), die in erster Ehe mit Karl Graf Zichy verheiratet war, geboren. Sein älterer Bruder Béla (geb. Pest / Budapest, Ungarn, 3. 2. 1837; gest. ebd., 12. 12. 1918) machte sich als Forschungsreisender und Geograph einen Namen.

 

Einrichtung des Feuerwehrwesens in Ungarn

Ähnlich wie sein Vater István war Ödön Graf Széchényi an der Reform und Modernisierung Ungarns interessiert, was er durch sein Engagement auf verschiedenen Gebieten zu erreichen versuchte. Als ungarischer Kommissär bei der Weltausstellung in London 1862 lernte er das britische Feuerwehrwesen kennen, das er in weiterer Folge in der Praxis studierte, und auch ein Kommandantendiplom erwarb. In der Folge erweiterte er seine Kenntnisse durch Reisen nach Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland, während derer er die dortigen Feuerwehrorganisationen studierte. Auf dieser Basis begann er, die Einrichtung ähnlicher Organisationen in Ungarn zu forcieren. 1863 entwarf er die Statuten für den Verein der Freiwilligen Feuerwehr in Pest und sammelte Gelder für die Vereinstätigkeiten (einer der prominentesten Geldgeber war der französische Schriftsteller Alexandre Dumas, der sich zu dieser Zeit in Ungarn aufhielt). 1869 kam es durch Széchényis Bemühungen zur Gründung der Freiwilligen Feuerwehr in Pest. Diese wurde ein Jahr später in eine Berufsfeuerwehr umgewandelt, deren Kommandant Széchényi wurde; 1871-74 fungierte er als Präsident des Ungarischen Landesfeuerwehrverbandes. In dieser Funktion setzte er sich für die europaweite Zusammenarbeit der Feuerwehren ein und schlug beispielsweise 1871 die Einführung eines „Europäischen Feuerwehrtags“ vor.

 

International gefragter Fachmann für das Feuerwehrwesen

Széchényis Verdienste um das ungarische Feuerwehrwesen wurden bald über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Als Sultan Abdul Aziz in Konstantinopel eine Feuerwehr nach europäischem Vorbild einzurichten beabsichtigte, lud er 1874 Széchényi ein, den Aufbau und die Organisation derselben zu übernehmen, und ernannte ihn im selben Jahr zum Kommandanten. In der Folge widmete er sich dieser Aufgabe; eine Einladung nach Japan 1883, um die Organisation der dortigen Feuerwehr zu übernehmen, lehnte er dagegen ab.

Förderung der Flussschifffahrt und Errichtung der Budaer Drahtseilbahn

Während er sich in Konstantinopel vor allem dem Aufbau des dortigen Feuerwehrwesens widmete, hatte Széchényi in Ungarn zusätzlich weitere Projekte wie den Ausbau der europäischen Flussschifffahrt verfolgt. Für die Pariser Weltausstellung von 1867 konstruierte er das Dampfschiff „Hableány“ (Meerjungfrau), mit dem er von Pest nach Paris reiste. Während der Weltausstellung machten u. a. Kaiser Napoléon III. und seine Frau Eugénie eine Rundfahrt mit dem Dampfschiff. Der Schiffsentwurf wurde mit der Goldmedaille der Weltausstellung ausgezeichnet, während Széchényi für seine innovative Leistung für die europäische Flussschifffahrt in die französische Ehrenlegion aufgenommen wurde.

In Ungarn war er außerdem an der Gründung der Ungarisch-Schweizer Maschinenfabrik-Aktiengesellschaft (später MÁVAG) beteiligt. Weiters rief er die Budaer Bergbahn-Gesellschaft, die 1870 die Drahtseilbahn auf den Burgberg errichtete, ins Leben und ließ mehrere Hotels in Ofen und Pest erbauen.

Széchényi war auch als Komponist tätig, wobei er seine musikalischen Werke zur Propagierung seiner sonstigen Projekte nutzte, wie beispielsweise die 1867 entstandene „Hableány-Polka“.

1878 wurde er in Anerkennung seiner Leistungen zum türkischen Oberst und 1880 als erster Christ zum Pascha ernannt. Außerdem war Széchényi ab 1871 Ritter des Leopold-Ordens sowie ab 1918 Ritter des Ordens der Eisernen Krone I. Klasse.

Ödon Graf Széchényi von Sárvár und Felsővidek starb am 24. März 1922 in Konstantinopel, wo er auch begraben ist. Sein Nachlass befindet sich in der Ungarischen Nationalbibliothek (Országos Széchényi könyvtár) in Budapest.

 

L.: Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich … 41, 1880; Wer ist’s? 1908; Jószef Szinnyei, Magyar írók 13, 1909; Ernő Erdélyi, Gróf Széchényi Ödön pasa, 1911; Jenő Roncsik, Gróf Széchényi Ödön, 1938; Dezső Heckenast, A "Hableány emléktúra": Budapest-Párizs 1867-1977, in: Krónika 4, 1978, Nr. 5, S. 11-15; Magyar Életrajzi Lexikon 2, ed. Ágnes Kenyeres, 2. Aufl. 1982; Neue Zeitung. Ungarndeutsches Wochenblatt 45, 2001, Nr. 42, S. 2; Manfred Mischinger, Die österreichischen Feuerwehrhelme. Von der K. u. k. Monarchie bis heute, 2006, S. 227f. (m. B.); Országos Széchényi könyvtár, Budapest, Ungarn.

(Katalin Fülep – Ulrike Denk)