Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
und biographische Dokumentation

Biographie des Monats

Josef Sommer – Organisator der ersten Nationalratswahl 1945

Der 22. November 2011 ist der 65. Todestag des oberösterreichischen Politikers und Spitzenbeamten Josef Sommer, der zu jenen Persönlichkeiten gehörte, die 1945 an der Wiege der Zweiten Republik standen.

 

Eingerüstetes Bundeskanzleramt um 1946, © Bildarchiv AustriaJosef Heinrich Sommer wurde am 26. Juli 1888 im böhmischen Dux als Sohn eines Bergmanns geboren. Er besuchte das Jesuitengymnasium in Mariaschein in Nordböhmen und studierte danach an der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der deutschen Universität Prag. 1913 promovierte Sommer dort zum Dr. jur. und absolvierte seine Gerichtspraxis am Landesgericht in Linz. Eine Übernahme in den richterlichen Dienst wurde durch seinen Kriegseinsatz verhindert, den er ab 1915, zuletzt im Rang eines Leutnants, überwiegend an der Ostfront leistete.

 

Aufstieg im oberösterreichischen Landesdienst

1918 wurde Sommer in die oberösterreichischen Statthalterei beziehungsweise in die Landesverwaltung übernommen. Im Jahre 1922 erhielt er den Auftrag, die landwirtschaftliche Krankenkasse von Oberösterreich zu errichten, die er bis 1927 leitete. In der Folge kehrte er in den Landesdienst zurück und war in den kommenden Jahren vorwiegend im Finanzreferat des Amts der oberösterreichischen Landesregierung tätig. Noch im Jänner 1938 wurde Sommer, der mittlerweile zum Regierungsdirektor bzw. Präsidialvorstand und damit zum höchstrangigen Beamten des Landes vorgerückt war, zum wirklichen Hofrat ernannt. Er bekleidete auch einige Aufsichtsratsposten in der Wirtschaft. So gehörte er ab 1931 der Oberösterreichischen Elektro-Bau-Aktiengesellschaft (E.B.G. Linz) und ab 1934 dem Verwaltungsrat der Bank für Oberösterreich und Salzburg an. Neben seinen Aufgaben als Beamter betätigte sich Josef Sommer auch auf dem politischen Parkett. Er war nicht nur Obmann der Christlichsozialen Partei von Urfahr, sondern von 1923 bis 1934 auch Mitglied des Linzer Gemeinderats. Politisch kann auch seine Funktion in der Turnerbewegung gesehen werden, in der er von 1924 bis 1930 als Gauobmann der christlichdeutschen Turnvereine wirkte.

 

Auszug aus dem von der Gestapo gesuchten "Hitlerakt"Karriereknick 1938

Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 wurde Josef Sommer aus politischen Gründen erstmals im April sowie erneut Ende Mai verhaftet und danach ohne Pensionsansprüche aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Besondere Schwierigkeiten hatte er wegen der Suche der Gestapo nach den in der Landesverwaltung unauffindbaren „Hitler-Akten“, die Angaben über die seinerzeitige Stellungsflucht und die Ausbürgerung Adolf Hitlers beinhalteten. Mit „Gauverbot“ belegt, überdauerte Sommer die Zeit der NS-Herrschaft ab Juli 1938 mit einer Anstellung bei einer Speditionsfirma in Wien, bei der er zuletzt als Prokurist tätig war.

 

Teilnahme am Wiederaufbau Österreichs

Nach Kriegsende meldete sich Sommer zuerst in der Staatskanzlei in Wien und wurde kurzzeitig im Finanzministerium beschäftigt, ehe er ein neues Wirkungsfeld in seiner Heimat Oberösterreich fand. Ende Juli hatten sowjetische Truppen begonnen, das Mühlviertel zu besetzen, worauf dort Anfang August eine eigene Zivilverwaltung unter dem Landwirt und ehemaligen christlichsozialen Politiker Johann Blöchl eingerichtet wurde. Dieser fungierte bis 1955 als Staatsbeauftragter für das Mühlviertel, und hatte neben verwaltungstechnischen Agenden vor allem die Aufgabe, eine Abspaltung des Mühlviertels von Oberösterreich zu verhindern. Josef Sommer wurde am 8. August 1945 zum Leiter des Amts des Staatsbeauftragten ernannt.

 

Die Novemberwahl 1945

Nachdem ganz Österreich ab September 1945 unter gemeinsamer alliierter Kontrolle stand, forderten auch die Vertreter der westlichen Bundesländer eine Einbeziehung in die Provisorische Staatsregierung unter Karl Renner. Daraufhin wurde die erste Länderkonferenz für 24. September 1945 einberufen, auf der zwar Konsens über bald stattzufindende Wahlen bestand, die westösterreichischen Politiker jedoch die Ablöse des für die Hauptwahlbehörde verantwortlichen kommunistischen Innenstaatssekretärs Franz Honner forderten. Nach längeren Verhandlungen einigte man sich schließlich darauf, den von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) nominierten Josef Sommer als Unterstaatssekretär im Staatsamt für Inneres zu installieren, der für die Organisierung der ersten Nationalratswahlen im November 1945 verantwortlich sein sollte.

 

Als die ÖVP als Sieger aus dieser Wahl hervorging und mit Leopold Figl den ersten Bundeskanzler der Zweiten Republik stellte, wurde Sommer im Jänner 1946 zum Leiter der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt im Rang eines Sektionschefs bestellt. Er konnte diese verantwortungsvolle Position jedoch nur wenige Monate ausfüllen, denn bereits am 22. November dieses Jahres erlag er an seinem Schreibtisch im Wiener Bundeskanzleramt einem Herzinfarkt.

 

Literatur: Kleines Volksblatt, 23. 11. 1946; Neues Österreich, 23. 11. 1946; Wiener Zeitung, 23. 11. 1946; E. Puffer, Die Gemeindevertretung der Stadt Linz ... 1848 bis zur Gegenwart, 1968, S. 247f.; Manfried Rauchensteiner, Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945-1966, 1987, S. 58; H. Slapnicka, Oberösterreich – Die politische Führungsschicht ab 1945, 1989; Die Länderkonferenzen 1945, red. W. Rosner, 1995, S. 157; G. Enderle-Burcel – M. Follner, Diener vieler Herren, 1997; H. Slapnicka, Hitler und Oberösterreich, 1998, S. 106; Protokolle des Kabinettrates der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945, 3: Protokolle des Kabinettrates 12. September 1945 bis 17. Dezember 1945, ed. G. Enderle-Burcel – R. Jeřábek, 2003, s. Reg; E. Bruckmüller, Von der Unabhängigkeitserklärung zum zweiten Kontrollabkommen, in: Wiederaufbau in Österreich 1945-1955. Rekonstruktion oder Neubeginn?, ed. ders., 2006, S. 15; Oberösterreichisches Landesarchiv, Linz, Oberösterreich; Tagblattarchiv, Wien.

(Ch. Mentschl - W. Schuster)


Dem Oberösterreichischen Landesarchiv, besonders Frau Dr. Cornelia Sulzbacher, sei für die freundliche Unterstützung gedankt.