Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
und biographische Dokumentation

Biographie des Monats

Vom „Czernowitzbold“ zum Hollywoodschauspieler: Paul Morgan

Am 1. Oktober 2011 jährt sich der 125. Geburtstag des aus Wien stammenden Kabarettisten, Schauspielers und Autors Paul Morgan, der im Berlin der 1920er- und 30er-Jahre als Mitbegründer des Kabaretts der Komiker, als Conférencier sowie als Darsteller in über hundert Stumm- und Tonfilmen große Bekanntheit erlangte.

 

„Am Freitag, den ersten Oktober 1886, erblickte die Welt mein Licht“, erklärt Paul Morgan selbstironisch zu Beginn seines humoristischen Tagebuchs „Stiefkind der Grazien“ (1928): „Mein erster Schrei ertönte in Wien, I. Bezirk, im dritten Stock des Hauses Rotenturmstraße 22 …“

Georg Paul Morgenstern, wie Paul Morgan bis 1911 eigentlich hieß, war Sohn des bekannten Wiener Anwalts Gustav Morgenstern und seiner Frau Minna (Clementine), geb. Frank. Nach dem Willen des Vaters sollte er ebenfalls Jurist werden, doch erhielt Paul nach einer wechselvollen Schullaufbahn schließlich dessen Einwilligung zum Schauspielstudium. Dieses absolvierte er als Schüler Ferdinand Gregoris 1906-08 am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und trat 1908 unter Josef Jarno sein erstes Engagement am Theater in der Josefstadt an. Wanderjahre führten ihn 1911/12 nach Reval und 1912 nach Czernowitz, wo er sich nach eigenen Angaben zum „Czernowitzbold“ entwickelte. Nach Wien zurückgekehrt, trat Morgan Ende 1914 als Nachfolger des eingerückten Fritz Grünbaum im Theaterkabarett Simpl auf, spielte am Apollo-Theater und an der Neuen Wiener Bühne und übernahm auch erste Rollen in Stummfilmkomödien.

 

Paul Morgans Berliner Jahre – Kabarett der Komiker

Morgans Berliner Tätigkeit begann mit einem Engagement am Lessingtheater 1918–19, wo er jedoch nur in kleinen Rollen beschäftigt wurde und sich nicht profilieren konnte. Er wandte sich daher verstärkt dem Kabarett und dem Film zu. Als Kabarettist begann er sich um 1920 einen Namen zu machen, als er vom Nelson-Theater am Kurfürstendamm, wo er unter dem Pseudonym Paul Stephan auftreten musste, zum neugegründeten Kabarett Die Rakete wechselte und dort unter anderem auf Käthe Dorsch, Max Adalbert und Rosa Valetti traf.

1924 gründete er zusammen mit Kurt Robitschek und Max Hansen das bald sehr erfolgreiche Kabarett der Komiker (KadeKo), das mit einer Persiflage auf den heraufziehenden Nationalsozialismus, „Quo vadis?“, eröffnet wurde, in der Paul Morgan als Nero zu sehen war. Gemeinsam mit Robitschek gab er „Die Frechheit. Ein Magazin des Humors. Zugleich Programm des Kabaretts der Komiker“ wie auch die Witzesammlung „Die einsame Träne. Das Buch der guten Witze“ (1924) heraus. Es gelang ihm zudem, die Schauspielerin Adele Sandrock zu ihrem ersten Kabarettauftritt zu bewegen, den sie 1926 in der von Morgan und Robitschek verfassten Kurzoperette „Die Blume von Hawaii“ am KadeKo hatte.

Bis 1930 war Morgan auch als Conférencier in den Revuen Erik Charells beschäftigt und nahm zwischen 1926 und 1932 teils allein, teils mit Schauspielerkollegen wie Wilhelm Bendow zahlreiche Schallplatten auf.

 

         

„Wir schalten um auf Hollywood“ – Paul Morgan und der Film

Morgan wirkte seit seinem Filmdebüt bei der Wiener Sascha-Film in zahlreichen Stumm- und Tonfilmen mit, die anspruchslose Unterhaltungsstreifen ebenso umfassten wie Arbeiten von Fritz Lang, Richard Oswald oder Ernst Lubitsch, darunter „Halbblut“ (1919), „Die Spinnen“ (1920), die Verfilmung von Carl Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg“ (1927) oder „Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht“ (1929). Gelegentlich schrieb er auch Zwischentitel für Stummfilme. 1930 gründete er mit Max Hansen und Carl Jöken eine eigene Firma, die Trio-Film GmbH, die jedoch schon nach dem ersten Film, „Das Kabinett des Dr. Larifari“, Bankrott machte. Noch im selben Jahr reiste Morgan zu Metro-Goldwyn-Mayer in die USA, um in deutschen Fassungen von Hollywoodfilmen mitzuwirken, etwa in „Menschen hinter Gittern“ (1931). In der deutschen Tonfilmreportage „Wir schalten um auf Hollywood“ schlüpfte er in die Rolle eines Radioerfinders und Filmenthusiasten, der bei seiner Erkundungsfahrt durch Hollywood auf Buster Keaton, Greta Garbo, Joan Crawford und andere Filmgrößen trifft. Das Manuskript schrieb Morgan selbst, die Filmmusik komponierte Oscar Straus. 1931 kehrte er nach Berlin zurück. Seine „Abenteuer und Erlebnisse mit Stars, Sternchen und allerlei Gelichter“ schilderte Paul Morgan später in seinem reich bebilderten Buch „Promin-Enten-Teich“, und zwar „Arm in Arm mit Leo Slezak, Fritz Grünbaum, Szöke Szakall, Otto Wallburg, Adele Sandrock“. Der Band erschien 1934 im Wiener Amonesta-Verlag und ist heute sehr rar, da die Auflage während des Nationalsozialismus größtenteils Bücherverbrennungen zum Opfer fiel.

 

Als „Emigrant“ in Wien

Nach der „Machtergreifung“ Hitlers verließ Morgan Deutschland und kehrte über die Schweiz nach Wien zurück, wo er jedoch nur schwer Fuß fassen konnte. Nach einer Tournee durch die böhmischen Bäder spielte er 1933 an den inzwischen von Robitschek gepachteten Kammerspielen, hatte dann aber nur noch gelegentlich Auftritte, so 1935 als Conférencier in Trude Kolmans Kabarett im Grand Hotel und im „Fiaker“, am Neuen Deutschen Theater in Prag oder bei verschiedenen Benefizveranstaltungen. Einen letzten großen Erfolg brachte die Mitarbeit am Libretto zu Ralph Benatzkys Operette „Axel an der Himmelstür“, die 1936 am Theater an der Wien uraufgeführt wurde und Zarah Leander zum Star machte. Morgan spielte in der Rolle des Chefproducers Cecil McScott auch selbst mit.

 

Tod im Konzentrationslager Buchenwald

Am 22. März 1938 wurde Paul Morgan, vorgeblich wegen Besitzes eines Briefs von Gustav Stresemann, mit dem er befreundet war, in seiner Wohnung verhaftet, Ende Mai in das KZ Dachau und im September des Jahres in das KZ Buchenwald deportiert, wo ganz besonders harte Bedingungen herrschten. In beiden Lagern unterhielt er, zusammen mit Fritz Grünbaum und Hermann Leopoldi, seine Mithäftlinge durch Sketches und Teile aus früheren Kabarettprogrammen. Eine durch den holländischen Konsul im Oktober 1938 erteilte Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung für die Niederlande konnte er nicht mehr nutzen, da die Ansuchen um Haftentlassung abgelehnt wurden.

In Buchenwald kam Morgan am 10. Dezember 1938 ums Leben, nachdem er beim Strafexerzieren seines Blocks zusammengebrochen und auf einer Bahre zurückgebracht worden war. Hermann Leopoldi war bei ihm, als er starb. Die Lagerkommandantur gestattete ihm und Fritz Grünbaum, den Toten bis zum Tor zu tragen. Paul Morgan war der erste „Schutzhäftling“, dem Freunde das letzte Geleit geben durften.

Morgans Frau, der Schauspielerin und Schriftstellerin Josa (Josephine), geb. Lederer, die sich sehr für die Rettung ihres Mannes eingesetzt hatte, gelang die Flucht nach England, sein Bruder Ernst Morgan, ebenfalls Schauspieler, konnte nach Ägypten entkommen und ging später in die USA. Die Schwester Marie, verheiratete Sugar, kam 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinec um.

 

Weitere Werke (siehe auch Tagblattarchiv): Mein Magen und andere Beschwerden, 1917; Mein Onkel Sigmund und andere Familienschwächen, 1917; Heulen und Zähneklappern. Das Buch der faulen Witze (gem. mit Max Ehrlich), 1927; Aus meinem Tagebuch, in: Mein Film Nr. 90, 1927, S. 6 (mit Bild); Première in Hollywood, ebd. Nr. 276 [1931], S. 6 (mit Bild); Beiträge in: Neue Freie Presse; etc. – Filmographie: s. Liebe; Weniger.

Literatur: Neue Deutsche Biographie; Mein Film, Nr. 120 [1928], S. 5 (Steckbrief); Erster internationaler Tonfilm-Almanach (ITA) 1930, S. 65 (mit Bild); Mein Film, Nr. 291 [1931], Titelblatt und S. 15 (mit Bildern); Mein Film-Buch, ed. F. Porges, Ausg. 1932, S. 112 (mit Bild); Kleines Lexikon des österreichischen Films, ed. und red. L. Gesek, 1959; H. Veigl, Lachen im Keller. Von den Budapestern zum Wiener Werkel, 1986, s. Reg. (mit Karikaturen); U. Liebe, verehrt verfolgt vergessen. Schauspieler als Naziopfer, 1992, s. Reg. (mit Bildern und Filmographie); F. Trapp u. a., Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933–1945, 2, 1999; S. Staar, Österreicher im Konzentrationslager Buchenwald, in: J. Soyfer (1912–1939) zum Gedenken, ed. H. Arlt – K. Manger, 1999, S. 59–77; H. Stein, Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945, 1999, S. 79f. (mit Bild); R. Ulrich, Österreicher in Hollywood, 2004, S. 334–336 (mit Bildern); M.-Th. Arnbom, War’n Sie schon mal in mich verliebt? Filmstars, Operettenlieblinge und Kabarettgrößen in Wien und Berlin, 2006, passim (mit Bildern); Tagblattarchiv (mit Bildern).

(Eva Offenthaler)


Folgenden Archiven und Firmen danken wir für ihr Entgegenkommen:

Thüringisches Hauptstaatsarchiv (Weimar),

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Wien),

Imagno (Wien),

Akademische Buchhandlung & Antiquariat HIERANA (Erfurt).