Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
und biographische Dokumentation

Biographie des Monats

Flüchtling und Widerstandskämpfer: Anton Walter Freud

Am 3. April 2011 jährt sich zum 90. Mal der Geburtstag Anton Walter Freuds, eines Enkelsohns von Sigmund Freud, der gemeinsam mit seiner Familie von den Nationalsozialisten verfolgt und zur Flucht gezwungen wurde. Wie er vom Flüchtling zum Widerstandskämpfer wurde, der bereit war, sein Leben für die Befreiung Österreichs einzusetzen, und zuletzt sogar zum Verfolger von Kriegsverbrechern, ist in einem kürzlich erschienen Buch nachzulesen: „Are you prepared to do a dangerous job?“

 

Anton Walter Freud kam am 3. April 1921 in Wien als Sohn des Rechtsanwalts Jean Martin Freud und der Logopädin Ernestine, geborene Drucker, zur Welt. Sein Großvater war niemand geringerer als der weltbekannte Psychiater Sigmund Freud. Anton Walter wuchs wohl behütet im Verband der Großfamilie auf und besuchte zunächst das Realgymnasium auf der Stubenbastei in Wien 1, später die Tagesschule eines Landeserziehungsheims. Mit dem anwachsenden Antisemitismus wurde er, wie er selbst sagte, weder in der Mittelschule noch in seinem sonstigen sozialen Umfeld konfrontiert, so dass ihn - ähnlich wie viele andere österreichische Juden – der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 unvorbereitet traf.

 

Auf der Flucht

Freud hatte allerdings Glück: Er konnte sich mit Hilfe eines jener Visa, die sein Großvater erhalten hatte, gemeinsam mit dem Großteil der Familie Freud nach Großbritannien in Sicherheit bringen. Hier holte Anton Walter zunächst seinen Schulabschluss nach und begann Luftfahrttechnik zu studieren.

Eine dramatische Wende im Leben des Studenten brachte der deutsche Einmarsch in Frankreich mit sich. Da sich in der britischen Öffentlichkeit die Furcht vor der sogenannten Fünften Kolonne breitmachte, wurde ein Teil der „enemy aliens“ zu denen auch die vor dem Nationalsozialismus geflüchteten jüdischen Verfolgten zählten, in Lagern interniert; viele von ihnen wurden später auch in die ehemaligen Kronkolonien deportiert. Ein solches Schicksal traf auch Anton Walter Freud, der im Juni 1940 buchstäblich „von der Schulbank“ weg verhaftet und wie auch sein Vater auf die Isle of Man verbracht wurde.

 

Nach Australien deportiert

Nur kurze Zeit später fand er sich gemeinsam mit 2.000 anderen Internierten auf dem Truppentransportschiff „Dunera“ mit Destination Australien wieder. Von Sidney aus wurde Freud ins Lager Hay im australischen Outback gebracht, dort interniert und erst nach etwa einem Jahr aufgrund des mittlerweile in England stattgefundenen Stimmungswandels und einer Wende in der britischen Politik entlassen. Zurück in England, hatte er sich für das Pioneer Corps, also zum Dienst ohne Waffe, zu verpflichten.

 

Im Geheimdienst Seiner Majestät

Eine entscheidende Weichenstellung im Leben des jungen Freud bedeutete seine Anwerbung durch den britischen Geheimdienst Special Operations Executive (SOE), der unter dem Motto „sabotage and subversion“ den Widerstand in den von den Achsenmächten besetzten Ländern unterstützte.

Nach einem sehr aufwendigen und intensiven Training wurde Freud mit einer Reihe österreichischer und deutscher Kameraden, durchwegs Flüchtlinge aus dem Dritten Reich, nach Süditalien gebracht, wo die Männer lange Zeit – und wie es schien vergeblich – auf ihren Einsatz warteten. Buchstäblich in letzter Minute wurde Freud gemeinsam mit fünf anderen Agenten Ende April 1945 per Fallschirm in der Obersteiermark abgesetzt. Er landete jedoch abseits seiner Kameraden und musste sich in der Folge alleine durchschlagen. Es gelang ihm, einige Tage später nach Zeltweg vorzudringen, wo er den Flughafenkommandanten im Namen der Alliierten zur Übergabe aufforderte. Dieser nahm Freud zwar nicht gefangen, schickte ihn jedoch mit einer Eskorte ins Hauptquartier des Befehlshabers der Heeresgruppe Ostmark nach Waidhofen an der Ybbs. Auf dem Weg dorthin wurde Freud allerdings den mittlerweile in Steyr eingetroffenen Amerikanern übergeben und kehrte in der Folge nach London zurück, wo er am 8. Mai 1945 eintraf.

 

Auf der Jagd nach Kriegsverbrechern

Freud blieb auch weiterhin in britischen Diensten, wurde mit den Verbrechen des Dritten Reiches konfrontiert und konnte auch wesentliches zur deren Aufarbeitung beitragen. Er wurde im Herbst 1945 zur Verfolgung von Kriegsverbrechern im Rahmen der British Army of the Rhine in Deutschland eingesetzt und war in Bad Oeynhausen stationiert. Unter seinen erfolgreich durchgeführten Ermittlungen ragt vor allem der Fall Tesch & Stabenow heraus. Diese Firma war verantwortlich für die Lieferung von Zyklon B, das in den Vernichtungslagern des Dritten Reiches für die Ermordung von Millionen, zumeist jüdischer KZ-Insassen, zur Anwendung kam.

1947 wurde Anton Walter Freud als Major demobilisiert, heiratete eine dänische Aristokratin und studierte technische Chemie. Er arbeitete danach in verschiedenen britischen Firmen, ehe er sich 1977 ins Privatleben zurückzog. Bis zuletzt widmete er sich der Geschichte seiner Familie und brachte auch seine eigenen Kriegserlebnisse zu Papier. Nach langer Krankheit starb er am 8. Februar 2004 in seinem Haus in Oxted in der Nähe von London.

Mit seinem Schicksal steht Anton Walter Freud paradigmatisch für jene vom Nationalsozialismus zur Flucht Gezwungenen, die nach dem Kriegsende 1945 nicht zurückgerufen wurden, geschweige denn, dass ihr Einsatz und ihre Bemühungen im Kampf um die Wiedererrichtung Österreichs als unabhängiger Staat von offizieller Seite jemals gewürdigt worden wäre.

 

Weiterführende Literatur (Auswahl): E. Lebensaft - Ch. Mentschl, „Are you prepared to do a dangerous job?“ Auf den Spuren österreichischer und deutscher Exilanten im Dienst der SOE, 2010; Die Heimat wurde ihnen fremd, die Fremde nicht zur Heimat, ed. A. Wimmer, 1993; S. Freud, Im Schatten der Familie Freud. Meine Mutter erlebt das 20. Jahrhundert, 2006.

(Elisabeth Lebensaft – Christoph Mentschl)


Für die Unterstützung bei der Beschaffung des Bildmaterials sei Herrn Eric Sanders, London, und Univ. Prof. Dr. Christian Schöfer, sehr herzlich gedankt!