Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
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Biographie des Monats

Ein Großunternehmer im alten Österreich: Heinrich T. Stiepel

Auf den 20. März 2011 fällt der 125. Todestag des Druckers und Verlegers Heinrich T. Stiepel, der in Böhmen den Grundstock zu einem der bedeutendsten grafischen Betriebe der österreichisch-ungarischen Monarchie legte.

 

Porträt Heinrich T. StiepelAls Sohn eines Dorfschullehrers am 7. August 1822 im westfälischen Haßlinghausen geboren, erlernte Heinrich Tugendhold Stiepel in Bochum das Schriftsetzerhandwerk. Als Gehilfe arbeitete er anschließend in Aachen, im schlesischen Waldenburg und – mittlerweile nach Böhmen eingewandert – in der Prager Buchdruckerei „Gottlieb Haase Söhne“, bevor er 1851 Metteur en pages bei der amtlichen „Prager Zeitung“ wurde. 1853 erwarb er die Buchdruckerei von Moritz Adam im nordböhmischen Rumburg (Rumburk), in deren Verlag der „Rumburger Anzeiger“ (ab 1857 „Nordböhmischer Gebirgsbote“) erschien. Als Stiepel Mitte 1857 die Buchdruckerkonzession für Reichenberg, das heutige Liberec, erhielt, überließ er das Unternehmen seinem jüngeren Bruder Julius Robert Stiepel (geb. Haßlinghausen, 7. April 1826; gest. Freundorf/Freindorf, Oberösterreich, 1. Jänner 1887) und übersiedelte nach Reichenberg.

 

Begründer der „Reichenberger Zeitung“Reichenberger Zeitung, Erstausgabe (Link zur PDF-Anzeige)

Unterstützt von den Textilindustriellen Nordböhmens, insbesondere von Johann Freiherrn von Liebieg, gab Stiepel ab 1860 die liberal orientierte „Reichenberger Zeitung“ heraus, als deren erster Chefredakteur der Nationalökonom Alexander Ernst Freiherr von Peez fungierte. Das Blatt entwickelte sich in der Folge zur auflagenstärksten deutschsprachigen Tageszeitung Nord- und Westböhmens und wurde nach Stiepels Tod von seinem 1918 geadelten Sohn Wilhelm Friedrich Johann von Stiepel fortgeführt. Dieser schaffte als erster Privatunternehmer der Monarchie zum Druck der Zeitung zwei Exemplare der legendären Zeilensetzmaschine „Linotype“ an, die 1889 auf der Pariser Weltausstellung präsentiert worden war und als „achtes Weltwunder“ (Thomas Alva Edison) galt. Während der großen Deutschböhmischen Ausstellung 1906 ließ er die „Reichenberger Zeitung“ in einem eigenen Messepavillon auf einer 32-seitigen Rotationsmaschine drucken und konnte so Kaiser Franz Joseph I. vor Ort eine druckfrische Ausgabe überreichen. Zum Zeitpunkt ihrer Einstellung durch die Nationalsozialisten 1938 erschien die „Reichenberger Zeitung“ in einer Auflage von über 73.000 Exemplaren.

 

Der Weg zum Großbetrieb

Neben der Buchdruckerei errichtete Heinrich T. Stiepel in Reichenberg unter anderem eine Steindruckerei, eine Prägeanstalt, eine Schriftgießerei und eine Buntpapierfabrik. 1866 nahm er seinen Bruder Julius Robert als Gesellschafter in das Unternehmen auf, das fortan unter „Gebrüder Stiepel“ firmierte. Mit dessen Ausscheiden 1877 trat sein Sohn Wilhelm in den Betrieb ein und sollte schließlich nach dem Tod seines Vaters am 20. März 1886 dessen Alleininhaber werden.

Vater wie Sohn legten Wert auf den Einsatz der jeweils neuesten und leistungsfähigsten Technologie. Unter ihnen erfuhr das Unternehmen eine kontinuierliche, auch bauliche Erweiterung zu einem Großbetrieb, der um die Jahrhundertwende 400 Mitarbeiter zählte und sich in die Geschäftszweige Buch- und Steindruckerei, Lithografie, eine für ihren Fremdsprachensatz bekannte Schriftgießerei sowie die Chromo-, Glacé- und Buntpapiererzeugung unterteilte. Neben Werken großer Verlagsbuchhandlungen aus Wien, Prag und Leipzig wurden in der Offizin über 30 Zeitungen und Zeitschriften hergestellt.

Blick in den Setzersaal, 1898

Verlag Gebrüder Stiepel

Nach dem Zerfall der Monarchie gliederte Wilhelm Stiepel dem Druckereibetrieb 1919 eine Verlagsabteilung an, in der unter anderem die Reihen „Bücher der Deutschen“ und „Böhmerland-Drucke“, aber auch „Stiepels Gesetz-Sammlung des Tschecho-slowakischen Staates“ erschienen, die dem Verlag die Führungsposition bei juristischen Publikationen eintrug. Hinzu kamen ein Schulbuchverlag, eine Kinderbuchabteilung, die Produktion sudetendeutscher Zeitschriften, eine Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung sowie die Kofferfabrik „Globus“ zur Erzeugung von täglich bis zu 1.000 Reisekoffern. 1929 beschäftigte die Firma bereits über 700 Arbeitnehmer. 1945 wurde das nunmehr unter der Leitung von Stiepels Enkel Willi stehende Unternehmen enteignet.

Literatur: Reichenberger Zeitung, 21. 3. 1886 (Parte); Oesterreichisch-ungarische Buchdrucker-Zeitung 14, 1886, S. 120, 131; Die Groß-Industrie Oesterreichs, Bd. 6, 1898, S. 155f.; Franz Krawany, Geschichte der Papierindustrie der ehemaligen oesterreichisch-ungarischen Monarchie, 1923, besonders S. 4f. (mit Bild); 75 Jahre Reichenberger Zeitung, [1935] (mit Bild); Reichenberg, bearbeitet von Randolf Gränzer, 1974, S. 206–216; Wolfgang Menzel, Erinnerung an Wilhelm von Stiepel den Älteren, in: Jeschken-Iser-Jahrbuch 21, 1977, S. 91–93; Erhard Marschner, Wilhelm Friedrich Johann von Stiepel, Druckereiunternehmer, in: Mitteilungen des Sudetendeutschen Archivs, F. 104, 1991, S. 71f.; Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 8/2, 2006, s. Reg. (s. auch unter Reichenberger Zeitung); Friedrich C. Heller, Die bunte Welt, 2008, S. 421f.; Eva Offenthaler, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, 13, 2010.

(Eva Offenthaler)


Für die Unterstützung bei der Beschaffung des Bildmaterials sei der „Antiquarischen Fundgrube“, Wien IX., und dem Technischen Museum Wien gedankt!