Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
und biographische Dokumentation

Biographie des Monats

Zu Unrecht vergessen: Sigmund Lustgarten

Am 22. Jänner 2011 jährt sich der 100. Todestag von Sigmund Lustgarten. Der jüdische Dermatologe gehört unzweifelhaft zum Kreis der Wiener medizinischen Schule. Er zählte deren große Vertreter Moritz Kaposi, Sigmund Freud und den gleichaltrigen Ophthalmologen Carl Koller zu seinen Freunden und engsten Berufskollegen. Obwohl er nur 53 Jahre alt geworden war, konnte er auf ein durchaus bewegtes Leben zurückblicken.

 

Sigmund Lustgarten wurde am 19. Dezember 1857 in Wien geboren. Nach seiner Schulausbildung studierte er ab 1875 Medizin an der Universität Wien. Bereits während seines Studiums wirkte er als Assistent im Chemischen Institut unter Ernst Ludwig, wo er seine erste wissenschaftliche Arbeit über die Benzolgruppe veröffentlichte. Nachdem er 1881 zum Doktor der Medizin promoviert wurde, vervollkommnte er seine Ausbildung bei den Dermatologen Albert Neisser in Breslau und Ernest Henri Besnier in Paris, dem Pathologen Carl Weigert in Würzburg, dem Pharmakologen und Toxikologen Louis Lewin in Berlin und dem dänischen Arzt und Malakologen Ludvig Sophus Rudolph Bergh, der sich auf sexuell übertragbare Krankheiten spezialisiert hatte.

Intensive Forschungen zur Syphilis

In seine Heimatstadt zurückgekehrt, erhielt Lustgarten eine Anstellung als 1. Assistent an der Klinik für Dermatologie und Syphilidologie bei Moritz Kaposi und begann intensive Forschungen auf diesem Gebiet. 1884 zählte wohl zu den bewegtesten Jahren in Lustgartens Leben: Wissenschaftlich glaubte er Bazillen als Erreger der Syphilis entdeckt zu haben und stellte diesen Lustgartenschen Siphillisbacillus am 21. November in der Gesellschaft der Ärzte vor. Damit löste er in der Fachwelt weitreichende und heftige Diskussionen aus, die allerdings seinem künftigen Renommee nicht schaden sollten. Im selben Jahr veröffentlichte Carl Koller auch seine Forschungen zur Frage der Einführung des Kokains als Lokalanästhetikum in die Augenheilkunde und fand bei seinen Experimenten in Lustgarten einen ausgezeichneten wissenschaftlichen Mitarbeiter. Ebenfalls 1884 assistierte Lustgarten seinem Freund Koller in einem Duell: Obwohl dieser den Sieg davontrug, galt er fortan als unehrenhaft und wanderte nach Amerika aus. In den noch heute bedeutenden New Yorker Krankenhäusern Mount Sinai und Montefiore sollten sich Koller und Lustgarten später wieder finden.

Pionier der Syphilistherapie in den USA

1885 wurde Lustgarten als Privatdozent für Hautkrankheiten habilitiert und noch im selben Jahr begann er an der Universität Wien zu lehren. Berufungen an die dermatologischen Lehrkanzeln in Konstantinopel und Basel lehnte er ab. Nach einer Kontroverse mit dem Verwaltungsapparat des Allgemeinen Krankenhauses in Wien 1887 folgte er jedoch 1889 einem Ruf an das Mount Sinai Hospital, das Montefiore Home und das Hebrew Orphan Asylum in New York. Lustgarten fand rasch Aufnahme in den amerikanischen Medizinerkreisen und konnte sich in seiner neuen Heimat innerhalb kurzer Zeit einen Namen als hervorragender Kliniker und Diagnostiker erwerben. Im Jahre 1891 wurde in einem Außeninstitut des Mount Sinai Hospital eine Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten errichtet, wo Lustgarten ab 1893 hauptsächlich praktizierte. Sein Interesse galt auch hier vor allem Syphilispatienten. Er war einer der ersten in Amerika, der diese Krankheit mit Salvarsan therapierte.

Gemeinsame Arbeit mir Sigmund Freud

Bekanntheit erreichte Lustgarten ebenso mit zahlreichen Publikationen, die vor allem in der Wiener Medizinischen sowie der Wiener klinischen Wochenschrift als auch in der Vierteljahrsschrift für Dermatologie erschienen. Inhaltlich befasste er sich seinem Forschungsschwerpunkt entsprechend mit der Syphiliserkrankung, ihren Erregern und der Möglichkeit Erkrankte mit Kokain zu behandeln. Darüber hinaus galt sein Interesse den Mikroorganismen im Harn, theoretischen Überlegungen zur Auswirkung von Verbrennungen im menschlichen Körper und dem Quecksilber als Therapeutikum. Gemeinsam mit Sigmund Freud hatte er eine Färbemethode von Nervengewebe mit einer Goldchloridlösung entwickelt.

Förderung des medizinischen Nachwuchses

Universell gebildet, galt Lustgarten als ausgezeichneter und beliebter Lehrer. Seine Freunde bezeichneten ihn als zurückhaltend, taktvoll und diskret. Stets verbunden mit seiner Heimat, liebte er Musik und Kunst, war selbst ein guter Zeichner und sammelte Kupferstiche und Radierungen. Seine wissenschaftlichen Verdienste wurden mit Mitgliedschaften in der Amerikanischen Medizinischen Gesellschaft, der Amerikanischen, der New Yorker, der Österreichischen und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft und der Ärztegesellschaft in Wien gewürdigt. 1910 legte er in seinem Testament die finanzielle Förderung des medizinischen Nachwuchses der Universität Wien und des Mount Sinai Krankenhauses fest. Sein letzter Wille wurde allerdings erst 1941 nach dem Tod seiner Frau bekannt gegeben, auf Grund des Zweiten Weltkriegs kam Lustgartens Förderung erst Mitte der 1950er-Jahre zum Tragen.

 

Literatur (Auswahl): Neue Freie Presse, 24. 1. 1911 (Abendausgabe); Norbert Siegl, Personalbibliographien von Professoren und Dozenten der 1. Wiener Hautklinik im ungefähren Zeitraum von 1845-1969, med. Diss. Univ. Erlangen-Nürnberg, S. 28-30 (mit Werkverzeichnis); Marlene Jantsch, Lustgarten Sigmund, in Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, 5, 1972 (mit Werk- und Literaturverzeichnis); Erna Lesky, Die Wiener Medizinische Schule im 19. Jahrhundert, 1965, s. Reg.; Arthur H. Aufses, Barbara Niss, This house of noble deeds: The Mount Sinai Hospital, 1852-2002, 2002, S. 191-192; Karl Holubar, Sigmund Lustgarten (1857-1911). A forgotten dermatologist, researcher, philanthropist and gentleman, in: Dermatopathology: Practical and Conceptual 11, 2006, S. 1-11; Universitätsarchiv, Wien.

(Daniela Angetter)