21.02.2022 | Teilchendetektoren

Was der LHC mit Zwiebelscheiben gemeinsam hat

Mit ihnen sucht die Wissenschaft nach den kleinsten Bausteinen unseres Universums: Teilchendetektoren. Doch auch in der Medizin kommen sie inzwischen zum Einsatz. Eine Konferenz von Teilchenphysiker/innen der ÖAW blickt nun in die Zukunft der Detektorentwicklung.

Der RADES Detektor des CAST Experiments sucht nach Partikeln der Dunklen Materie. © 2021-2022 CERN

Hundert Meter unter der Erde und 27 Kilometer lang. Der Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Kernforschungszentrum CERN zählt zur Superlative der Teilchenbeschleuniger. Hier werden Materieteilchen – Protonen oder Ionen – auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleuinigt und zur Kollision gebracht. Mit Detektoren untersuchen Wissenschaftler/innen weltweit dann die dabei entstandenen gigantischen Datenmengen und suchen darin nach neuen, bislang unentdeckten Bausteinen unseres Universums.

Aufgebaut ist so ein Detektor nach dem Zwieblschalenprinzip, erklärt Marko Dragicevic vom Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW): „Die innerste Schicht zeigt uns die Spur, die ein Teilchen hinterlässt, und erlaubt uns damit Aussagen darüber, wo das Teilchen exakt entstanden ist. In der nächsten Schicht messen wir die Energie des Teilchens.“

Eines der Ziele für zukünftige Detektoren ist es, diese „Zwiebelschalen“ immer dünner zu machen. „Am CERN wurde kürzlich ein Sensor aus Silizium vorgestellt, der so dünn ist, dass man ihn biegen kann“, erzählt der ÖAW-Physiker.

Wohin die Reise bei der Detektorentwicklung geht und welche vielfältigen Einsatzmöglichkeiten es für Teilchendetektoren, etwa in der Medizin, gibt, damit befasst sich seit 1978 die Vienna Conference on Instrumentation (VCI), die von Teilchenphsyiker/innen der ÖAW veranstaltet wird und heuer online stattfindet.

Welche Rolle spielt die Vienna Conference on Instrumentation für Wissenschaftler/innen?

Marko Dragicevic: Die VCI wurde bereits 1978 als “Wire Chamber Conference” vom Institut für Hochenergiephysik (HEPHY) der ÖAW ins Leben gerufen und findet heuer bereits zum sechzehnten Mal, natürlich in Wien, statt.  Wir sind mit rund 400 Einreichungen für Vorträge eine der größten Konferenzen für Detektoren in der Teilchenphysik. Coronabedingt sind wir diesmal leider auf ein Online-Format angewiesen. 

„Ein Schwerpunkt ist die zeitlich exakte Erfassung der Teilchen, die bei einer Kollision oder einem Folgeprozess entstehen.“

Was sind aktuell die wichtigsten Themen in der Entwicklung von Teilchendetektoren?

Dragicevic: Ein wichtiger Trend ist die Integration von Sensorelementen und der Elektronik für das Auslesen der Signale. Diese vormals getrennten Teile des Detektors werden jetzt als kompakte Einheit hergestellt, wodurch sie bei geringerer Größe mehr Funktionen bieten können. Das erlaubt auch eine einfachere Massenproduktion, was zu niedrigeren Preisen führt. Ein zweiter Schwerpunkt heuer ist das Timing. Eine zeitlich exakte Erfassung der Teilchen, die bei einer Kollision oder einem Folgeprozess entstehen, erlaubt eine genaue Lokalisierung ihres Ursprungs. Wir bewegen uns hier mittlerweile in Bereichen von wenigen Dutzend Pikosekunden, also Billionstelsekunden.

Viele Einsatzgebiete für Teilchenbeschleuniger

Große Teilchenbeschleuniger gibt es nicht viele. Wie viele Detektoren gibt es?

Dragicevic: Das stimmt, große Beschleuniger wie den LHC am CERN gibt es nicht viele. Aber man darf nicht vergessen, dass jeder große Beschleuniger aus mehreren Stufen besteht, die wiederum ihre eigenen Experimente und Detektoren haben. Zudem gibt es eine ganze Reihe von kleineren Teilchenbeschleunigern, die es nicht in die Schlagzeilen schaffen. Es gibt also eine Menge Teilchendetektoren.

„Jeder Computertomograph braucht einen Teilchendetektor.“

Wo braucht man solche Instrumente außerhalb von Beschleunigern?

Dragicevic: Dort, wo wir natürliche Teilcheninteraktionen analysieren, etwa von hochenergetische Protonen aus dem Weltall, die unsere Atmosphäre treffen oder wo Forscher/innen nach Spuren von Dunkler Materie suchen. Jeder Computertomograph braucht einen Teilchendetektor und der medizinische Beschleuniger MedAustron in Wiener Neustadt, mit dem bestimmte Krebsarten durch den Beschuss mit Protonen therapiert werden, kommt auch nicht ohne aus.

Was können solche Detektoren?

Dragicevic: Sie können uns sagen, welche Eigenschaften ein Elementarteilchen hat. Wir können zum Beispiel den Ort bestimmen, die Energie, die ein Teilchen hat, oder die Ladung. Durch die Kombination der richtigen Messungen können wir viel Information bekommen. Am Ende ist auch jedes Teleskop ein Detektor, genau wie das menschliche Auge. Detektoren erlauben uns also, unsere Umwelt wahrzunehmen – im Großen wie im Kleinen.

Der Detektor als Zwiebelschale

Wie ist ein Detektor an einem großen Beschleuniger wie dem LHC aufgebaut?

Dragicevic: Wir sprechen gerne von Zwiebelschalen. Die innerste Schicht zeigt uns die Spur, die ein Teilchen hinterlässt, und erlaubt uns damit Aussagen darüber, wo das Teilchen exakt entstanden ist. So können wir sehen, ob es direkt bei der Kollision oder als Teil eines Sekundärprozesses entstanden ist. In der nächsten Schicht messen wir die Energie des Teilchens, indem wir es stoppen und schauen, wie viel Energie dafür notwendig ist. Einige Teilchen können wir allerdings nicht stoppen, zum Beispiel Neutrinos. Die machen sich nur durch fehlende Energie bemerkbar. Und Myonen, die schweren Verwandten der Elektronen, schaffen es auch durch dicke Materieschichten. Sie können aber durch eine weitere Zwiebelschicht eindeutig identifiziert werden und geben uns wichtige Hinweise darauf, was in der Teilchenkollision im Inneren passiert ist.

Wie funktioniert das technisch?

Dragicevic: Da gibt es jeweils verschiedene Möglichkeiten. Die Energie kann ich zum Beispiel mit Kristallen messen, die Lichtblitze abgeben, wenn sie getroffen werden. Das geht aber auch mit Silizium, das dann ein elektrisches Signal abgibt. Ein neues Detektorsystem, welches für das CMS-Experiment am LHC von uns mitentwickelt wird, nutzt innen, wo die Strahlung hoch ist, Silizium und weiter außen einen klassischen Kristall. So passen wir die Technologie immer an die jeweiligen Anforderungen an. 

Dünnere, biegsame Sensoren

Gibt es noch grundlegende Durchbrüche?

Dragicevic: Das kommt eher selten vor, aber einige Kolleg/inneen entwickeln zum Beispiel schon Detektoren für die kommende Beschleunigergeneration. Am CERN wurde kürzlich ein Sensor aus Silizium vorgestellt, der so dünn ist, dass man ihn biegen kann – und zwar mit allen Anschlüssen und Schaltungen. Wir haben gewusst, dass das möglich ist, aber es war sehr cool, das mit eigenen Augen zu sehen. Damit können wir leichtere Detektoren für hochempfindliche Messungen realisieren.

„Ein optimaler Detektor bestünde aus nichts außer einer hauchdünnen Sensorschicht im Vakuum.“

Dünner ist also besser?

Dragicevic: Ein optimaler Detektor bestünde aus nichts außer einer hauchdünnen Sensorschicht im Vakuum. Diesem Ziel nähern wir uns nur langsam, aber der ultradünne Siliziumdetektor ist ein Schritt in diese Richtung. Durch die Biegsamkeit können wir zudem bessere Geometrien für das Vermessen der Teilchen realisieren. Optimal wäre eine Kugelform mit der Teilchenkollision im Zentrum. Derzeit arbeiten wir mit flachen Sensoren.

Wo stecken Detektoren mit ÖAW-Technologie drinnen?

Dragicevic: Wir sind am CMS-Experiment am CERN beteiligt und am BELLE-Experiment in Japan. Unser ÖAW-Institut ist auch federführend in mehreren Experimenten zur Suche nach dunkler Materie. Und dann gibt es noch einige kleinere Projekte, die sich zum Beispiel mit zunehmender Integration oder dem Einsatz neuer Materialien wie Siliziumkarbid beschäftigen. Das Stefan Meyer Institut der ÖAW, ein enger Partner von uns, beschäftigt sich ebenfalls mit der Detektorentwicklung.

Die Konferenz muss heuer online stattfinden. Was bedeutet das für die Teilnehmer/innen?

Dragicevic: Wir freuen uns natürlich immer am meisten, wenn wir Kolleg/innen persönlich treffen können. In unserem Forschungsgebiet ist die Community global verstreut und wir sind deshalb an Videokontakte gewohnt, aber es ist trotzdem sehr schade, dass wir uns nicht persönlich in Wien treffen können. Die Pandemie ist auch für uns Wissenschaftler/innen nicht einfach. Vor allem für junge Kolleg/innen ist es bedauerlich, dass sie nicht zu Konferenzen fahren können, weil dort üblicherweise viele Kontakte geknüpft werden, die wichtig für eine wissenschaftliche Laufbahn sind. Ich hoffe, wir finden als Community Mittel und Wege, dieses Handicap für unsere jungen Kolleg/innen abzumildern.

 

Auf einen Blick:

Marco Dragicevic ist Gruppenleiter am Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Die Vienna Conference on Instrumentation (VCI) findet von 21. bis 25. Februar 2022 online via Zoom statt. Die Teilnahme ist kostenlos und ohne Registrierung möglich.

Konferenz-Programm