16.02.2022 | Neue Mission

Raumsonden-Schwarm erkundet Sonnenwind

Die NASA hat zwei neue wissenschaftliche Missionen ausgewählt: MUlti-slit Solar Explorer und HelioSwarm. Beide sollen unter anderem dazu beitragen, die Dynamik der Sonne und die Wechselwirkung zwischen Sonnenwind und Erde besser zu verstehen. Die Grazer Weltraumforschung der ÖAW ist bei HelioSwarm mit an Bord. Der Start ist für 2028 vorgesehen.

Künstlerische Darstellung des Sonnenwinds, der das Weltraumwetter in der Nähe der Erde antreibt. © NASA

Die äußerste atmosphärische Schicht der Sonne, die Heliosphäre, reicht wie eine Blase weit in unser Sonnensystem hinein. In ihr breitet sich der Sonnenwind aus, ein konstanter Strom geladener Teilchen, der komplexe Phänomene in der Erdumgebung erzeugt. Diese werden unter dem Begriff „Weltraumwetter“ zusammengefasst und beeinflussen nicht nur die Funktionstüchtigkeit von Satelliten und Kommunikationssignalen im Weltraum, sondern gefährden auch Astronaut/innen.

Turbulenter Sonnenwind

„HelioSwarm wird die physikalischen Prozesse aufdecken, die für das Aufheizen der geladenen Teilchen im interplanetaren Raum verantwortlich sind“, erklärt Owen Roberts, Wissenschafter am Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er hat am Missionskonzept für HelioSwarm mitgearbeitet und ist Teil des Wissenschaftsteams. „Wenn wir die Temperatur des Sonnenwindes messen, zeigt dieser ein merkwürdiges Verhalten: Er ist viel heißer als wir es aufgrund bisher bekannter physikalischer Prozesse für ein expandierendes Gas erwarten würden,“ setzt Roberts fort.

Der Sonnenwind besteht aus turbulenten magnetischen Wellen, Wirbeln und anderen Strukturen, die das Plasma aufheizen. Es ist eine Herausforderung, diese komplexen Phänomene mit nur einer einzigen Raumsonde zu untersuchen. HelioSwarm ist darauf ausgelegt, Magnetfeldschwankungen und ihre Auswirkungen auf die Plasmaerwärmung und -beschleunigung zu erforschen. „Am Institut für Weltraumforschung der ÖAW entwickeln wir eine Wellenanalysemethode, die die Daten von allen neun Satelliten kombiniert. Mit dieser Methode lässt sich feststellen, welche Arten von Wellen es gibt, in welche Richtungen sie sich bewegen und vor allem, wie sie Teilchen aufheizen und beschleunigen. 

Schwarm-Raumsonde

Bei HelioSwarm handelt es sich um eine Konstellation oder einen „Schwarm“ von neun Raumsonden, die Mehrpunktmessungen im Weltraum durchführen werden. Geleitet wird die Mission von der University of New Hampshire in den USA. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der Fluktuationen im Magnetfeld der Erde und Bewegungen des Sonnenwindes, die als Sonnenwindturbulenz bekannt sind. Um diese Turbulenz zu untersuchen, sind gleichzeitige Messungen aus verschiedenen Punkten im Weltraum erforderlich.

HelioSwarm besteht aus einem Hauptsatelliten, der als Drehkreuz dient und den Funkkontakt zu weiteren acht Kleinsatelliten hält (siehe Abbildung). Die Umlaufbahn der neun Satelliten ist so konzipiert, dass diese ihre Ausrichtung und die Abstände zueinander ändern können. „Diese technische Innovation bietet die einzigartige Möglichkeit, die Turbulenz und ihre Entwicklung im Sonnenwind zu untersuchen“, sagt Roberts.

HelioSwarm wurde gemeinsam mit MUSE aus fünf Projektvorschlägen als nächste Medium-Class Explorer (MIDEX) Missionen der NASA ausgewählt. 

Neue Ära der Weltraumplasmaphysik eingeläutet

Die Sonnenwindturbulenz trägt dazu bei, dass die lokale Sonnenumgebung im erdnahen Raum heiß bleibt, man kennt jedoch nicht den Grund dafür. Mit HelioSwarm hofft man diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen und herauszufinden, warum der Sonnenwind nicht abkühlt. Viele Weltraumwissenschaftler/innen haben auf diese Mission schon lange gewartet, so auch Rumi Nakamura, Leiterin der Forschungsgruppe Weltraumplasmaphysik am Grazer ÖAW-Institut: „Es ist unglaublich, wie sich die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat.“

Die Anfänge von HelioSwarm reichen bis in die frühen 1980er-Jahre zurück. Allerdings ist eine solche Mission erst seit Kurzem technisch machbar. „Innerhalb weniger Jahrzehnte haben wir uns von einzelnen Satelliten zu Tetraeder-Konstellationen wie Cluster und MMS entwickelt und nun schicken wir ganze Raumsonden-Schwärme aus, mit denen wir revolutionäre Entdeckungen machen werden“, ist Nakamura überzeugt.

Für Christiane Helling, Direktorin des Instituts für Weltraumforschung der ÖAW, leisten Missionen wie HelioSwarm „fundamentale Beiträge zum Verständnis des Turbulenz-Phänomens, für das es noch immer keine allgemein gültige Beschreibung gibt“.

Mit HelioSwarm soll eine neue Ära der Weltraumplasmaphysik beginnen. Mehrere Vorschläge für zukünftige Schwarm-Missionen sind in Vorbereitung, um bei Weltraumagenturen in Europa, den USA und Asien eingereicht zu werden.