09.05.2022 | Frauen und Krieg

„Putins Autoritarismus stellt sich gegen moderne Geschlechterordnung“

Krieg hat auch mit Geschlechterrollen zu tun. Die Militärforscherin Saskia Stachowitsch über stereotype Bilder, die antifeministische Seite von Militarismus und Wladimir Putins toxische Männlichkeit.

Auch Frauen kämpfen als Soldatinnen in der Ukraine gegen Russland.
Auch Frauen kämpfen als Soldatinnen in der Ukraine gegen Russland. © Shutterstock

„Der Krieg, den Putin in der Ukraine führt, wird auf der ideologischen Ebene gegen eine bestimmte Form von Westlichkeit geführt. Dieser Autoritarismus stellt sich gegen eine modernisierte Geschlechterordnung“, sagt Saskia Stachowitsch und meint damit Frauenrechte und Rechte der LGBTQI-Community. Die Sicherheits- und Militärforscherin sieht in Putins Krieg daher auch „einen starken antifeministischen Drive“.

Stachowitsch, die Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW ist, beleuchtet im Interview die historischen Zusammenhänge zwischen Krieg und Geschlecht, legt dar, was Wladimir Putins Krieg mit toxischer Männlichkeit zu tun hat und welche Perspektiven feministische Außenpolitik eröffnet.

DER NATIONALSTAAT MACHT MÄNNER ZU SOLDATEN

Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine dürfen Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht verlassen. Wie lässt sich die Verschränkung von Krieg und Mann-sein historisch begründen?

Saskia Stachowitsch: Im 18. und 19. Jahrhundert beginnt man, nicht mehr nur eine bestimmte Klasse von Personen als Soldaten heranzuziehen, sondern alle Bürger zu Verteidigern der Nation zu machen. In der Zeit, in der sich der moderne Nationalstaat herausbildet, bildet sich auch die Vorstellung heraus, dass alle Männer mit der Waffe dieses Land zu verteidigen haben. Männer werden gezielt über Wehrpflichtsysteme rekrutiert. Diese Systeme hängen auch sehr stark mit politischer Partizipationsfähigkeit und politischen Rechten zusammen. Das Wahlrecht ist oft mit Verpflichtungen gegenüber der Landesverteidigung begründet worden. Es sind drei parallele Prozesse: die Entstehung des modernen Nationalstaats, die Entstehung moderner Militärapparate und die Herausbildung einer sehr stark dichotomisierten Geschlechterordnung.

Als sich der moderne Nationalstaat herausbildet, bildet sich auch die Vorstellung heraus, dass alle Männer mit der Waffe dieses Land zu verteidigen haben.

Krieg scheint für Frauen und Männer völlig unterschiedliche Rollen festzulegen.

Stachowitsch: Es ist ein modernes Phänomen, das Frauen und Krieg komplett antithetisch denkt. In den frühen neuzeitlichen Militärapparaten etwa haben Frauen mitgekämpft. Dieser rigorose Frauenausschluss ist erst ein Effekt einer späteren Disziplinierung und Kasernierung. Aber auch im Zweiten Weltkrieg haben zehntausende Frauen auf Seiten der Alliierten gekämpft, obwohl sie nicht offiziell eingegliedert waren. Die Beteiligung von Frauen wurde auch aus der Kriegsgeschichte hinaus geschrieben. Natürlich gibt es eine geschlechtsspezifische Betroffenheit von Krieg und Gewalt, aber, wenn wir das zu dichotom denken, dann fallen wir in diese Stereotype zurück, die es aus einer emanzipatorischen Sichtweise zu kritisieren gilt.

Ist die Wehrpflicht, die in Friedenszeiten leicht übersehen wird, hier entscheidend?

Stachowitsch: Die Wehrpflicht konstituiert diese Verbindung zwischen Männlichkeit und Waffenfähigkeit als Verpflichtung. Aus einer genderanalytischen Perspektive wird deutlich, wie die Gewaltformen auch Männer negativ betreffen – und welche unglaubliche Gewalt in der Trennung der Familien liegt. Frauen und Kinder, die nicht mehr im Familienverband unterwegs sein können, werden als Migrantinnen extrem vulnerabel gemacht.

Im Zweiten Weltkrieg haben zehntausende Frauen auf Seiten der Alliierten gekämpft, obwohl sie nicht offiziell eingegliedert waren. Die Beteiligung von Frauen wurde auch aus der Kriegsgeschichte hinaus geschrieben.

MILITARISMUS IST NICHT FEMINISTISCH

Es gibt aber auch gegenteilige Bilder: Frauen, die auf ukrainischer Seite kämpfen, oder russische Soldatenmütter, die Druck auf Wladimir Putin ausüben. Ein Zeichen für mehr Gleichberechtigung?

Stachowitsch: Da wäre ich vorsichtig. Denn: Der Militarismus hat eigene Dynamiken, die wenig progressiv und feministisch sind. Zudem müssen wir hier unterscheiden zwischen stereotypisierenden Bildern, wo Frauen als Mütter aufgerufen sind, und anderen, wo sie in aktiven und militärischen Rollen zu sehen sind. Zwar ist die offizielle Integration von Frauen in Militärapparaten – zumindest teilweise – ein emanzipatorisches Projekt, aber es hat nicht zwingend mit einer größeren Gleichstellung oder mit einer Abnahme von Stereotypisierung zu tun.

Derzeit ist eine Position der Gewaltfreiheit problematisch, weil dadurch Menschen wehrlos zurückgelassen werden. Mit dem Blick nach vorne, ist es aber wichtig, dass eine pazifistische und antimilitaristische Sichtweise im Spiel bleibt.

Viel ist jetzt auch von Wladimir Putins toxischer Männlichkeit die Rede. Lässt sich damit Russlands Angriffskrieg erklären?

Stachowitsch: Der Krieg, den Putin in der Ukraine führt, wird auf der ideologischen Ebene gegen eine bestimmte Form von Westlichkeit geführt. Dieser Autoritarismus stellt sich gegen eine modernisierte Geschlechterordnung, gegen Frauen- und LGBTQI-Rechte. Das hat einen starken antifeministischen Drive – und zwar nicht als Nebenaspekt, sondern ist zentral in dieser Konfrontation. Dennoch lässt sich nicht von der vermeintlichen männlichen Inszenierung einer Einzelperson direkt auf das Verhalten von Staaten zueinander schließen.

Feministische aussenpolitik für die zukunft

Stichwort (Anti-)Feminismus. Welche Chancen hat feministische Außenpolitik für ein zeitgemäßeres Rollenverständnis?

Stachowitsch: Feministische Außenpolitik ist eine Sichtweise, die nicht nur die speziellen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen im Kriegsgeschehen thematisiert, sondern auch einen alternativen Sicherheitsbegriff nahelegt, also einen anderen analytischen Blick wirft auf Krieg, Gewalt, Sicherheitspolitik, Außenpolitik, Diplomatie, internationale Organisationen. Dabei geht es nicht einfach nur darum, mehr Frauen zu inkludieren, sondern zu fragen: Was ist Sicherheit? Für wen? Wovor? Und wie neigen vielleicht die staatlichen und internationalen Sicherheitsinstrumente dazu, Unsicherheiten für manche Gruppen sogar zu verstärken?

Dieser spezifische feministische Blick wird wichtig sein, um eine neue europäische Friedensordnung zu etablieren, um nicht einfach nur diesem Impuls zur Militarisierung nachzugeben, der jetzt verständlicherweise groß ist.

Europa rüstet wieder auf. Wäre dieser feministische Blick auf Sicherheit eine antimilitaristische Perspektive für Europa?

Stachowitsch: Derzeit ist eine Position der Gewaltfreiheit problematisch, weil dadurch Menschen wehrlos zurückgelassen werden. Mit dem Blick nach vorne, ist es aber wichtig, dass eine pazifistische und antimilitaristische Sichtweise im Spiel bleibt. Auch damit wir unsere Gesellschaften jetzt nicht umbauen in einer Art und Weise, die im Endeffekt der Putinschen Logik mehr entspricht als einem Gegenmodell.

 

AUF EINEN BLICK

Saskia Stachowitsch ist FWF Senior Research Fellow an der Central European University (CEU). Davor war sie wissenschaftliche Leiterin des Österreichischen Instituts für Internationale Politik, Professorin für Internationale Politik an der Universität Wien, Affiliated Scholar am Department of Gender and Women’s Studies der University of California, Berkeley, sowie als Visiting Post-doctoral Fellow an der School of Sociology, Politics and International Studies der University of Bristol tätig. Seit 2018 ist sie Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).