12.08.2021 | Corona-Medikamente

Mögliche Schwachstelle des Coronavirus entdeckt

Zwei spezielle Proteine aus der Gruppe der Lektine haben das Potenzial, SARS-CoV-2 am Eindringen in die menschlichen Zellen zu hindern. Indem sie an die Zuckerhülle des viralen Türöffners binden, stören sie den wichtigsten Eintrittsmechanismus des Virus in die Wirtszelle. ÖAW-Forscher/innen haben diese Entdeckung in Kooperation mit einem internationalen Team im renommierten EMBO Journal veröffentlicht.

© IMP/IMBA Graphics 2021. Protein- und Glykan-Strukturen von Chris Oostenbrink (BOKU).

Eine stachelige Kugel ist das Bild, das wir uns von SARS-CoV2 machen. Zurecht. Denn das Virus, das die Welt in Atem hält, besitzt sogenannte Spikes, Proteine an seiner Oberfläche, mit denen es sich Zutritt zu den Zellen seiner Wirte verschafft. Und diese Spikes „tarnen“ sich mit Zuckermolekülen. Ein Team unter der Leitung von Forschern des IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat nun spezielle Proteine identifiziert, die an diese schützenden Zuckerkomponenten  der Spikes binden und sie dadurch in ihrer Funktion behindern. Die Ergebnisse, die das Potenzial für variantenübergreifende Therapien haben, wurden jetzt im renommierten EMBO Journal veröffentlicht. 

Die Infektiosität von SARS-CoV-2 wird auf molekularmedizinischer Ebene von der Interaktion des SARS-CoV-2-Spike-Proteins mit dem Angiotensin Converting Enzyme 2 (ACE2) der Wirtszellen bestimmt. Um sich vor der Immunantwort des Wirts zu verbergen, nutzt das Virus einen so genannten Glykosylierungsmechanismus. Dadurch werden bestimmte Stellen des Spike-Proteins mit einer Zuckerhülle versehen. Ausgehend vom Wissen über Lektine - das sind Proteine, die speziell an Zuckermoleküle binden - machten sich die Forscher/innen um IMBA-Gruppenleiter Josef Penninger, der auch Direktor des Life Science Institute an der University of British Columbia (UBC) in Vancouver, Kanada, ist, auf die Suche nach einer entscheidenden Schwachstelle des Virus im Verlauf des Infektionsgeschehens.

Den Wolf im Schafspelz erkennen 

„Wir dachten intuitiv, dass die Lektine uns helfen könnten, neue Interaktionspartner des Spike-Proteins zu finden", sagt Co-Erstautor David Hoffmann, ein ehemaliger Doktorand im Penninger-Labor am IMBA. Den entscheidenden Glykosylierungsstellen des SARS-CoV-2-Spikes könnten möglicherweise zucker-affine Proteine als Teil einer Anti-Corona-Therapie angeboten werden, so die Idee. Besonders erfolgversprechend schien dieser Ansatz nicht zuletzt deshalb, weil die relevanten Glykosylierungsstellen bei allen zirkulierenden Varianten hoch konserviert sind. Durch die Identifizierung von Lektinen, die gerade hier anbinden, könnte man also auf dem besten Weg sein, robuste therapeutische Maßnahmen zu entwickeln. 

Das Team entwickelte und testete eine Bibliothek mit über 140 Säugetierlektinen. Unter diesen wurden zwei gefunden, die stark an das SARS-CoV-2 S-Protein binden: Clec4g und CD209c. „Wir haben nun Werkzeuge in der Hand, die an die Schutzschicht des Virus binden und damit das Virus am Eindringen in Zellen hindern können. Dieser Mechanismus könnte in der Tat die Achillesferse sein, auf die die Wissenschaft schon lange gewartet hat“, fasst Stefan Mereiter, weiterer Co-Erstautor und Postdoktorand aus dem Penninger-Labor, zusammen.

Die Enttarnung des „Schafspelzes“ von SARS-CoV-2 als dessen Achillesferse führte über mehrere moderne Forschungstechniken. In Zusammenarbeit mit Peter Hinterdorfer vom Institut für Biophysik der Universität Linz hat das Team mit biophysikalischen Hightech-Methoden untersucht, wie die Lektinbindung im Detail abläuft. So wurde auch klar, an welche Zuckerstrukturen die beiden Lektine Clec4g und CD209c konkret binden. 

Therapien in Sicht 

Als weiteren Meilenstein in Richtung einer möglichen Therapie bewerten die Forscher/innen, dass die beiden Lektine genau an jener Stelle des Spike-Proteins binden, die bei jeder infektiösen Coronavirus-Variante vorhanden sein muss: die N-Glykanstelle. Wenn sie fehlt, ist der Spike instabil. „Das bedeutet, dass unsere Lektine an eine Glykanstelle binden, die für die Funktion der Spikes essentiell ist. Wir halten es daher für sehr unwahrscheinlich, dass eine Mutante entstehen könnte, der dieses speizielle Glykan fehlt", erklärt Mereiter. Die ersten Tests beim Neutralisieren der SARS-CoV-2-Zuckerhülle haben die beiden Lektine bereits bei menschlichen Lungenzellen bestanden. Für Josef Penninger ist der grundsätzliche Ansatz dieser Arbeit, die Bindungskapazität des Spike-Proteins therapeutisch zu nützen, freilich nicht neu.  Auf seine Arbeiten baut bereits ein biotechnologisch hergestelltes menschliches ACE2 auf, das die Viren-Spikes „besetzt“ und dadurch die Interaktion mit dem ACE2 potenzieller Wirtszellen behindert.

 

An der aktuellen Publikation war ein internationales Forscherteam beteiligt, darunter Ali Mirazimi vom Karolinska Institutet in Stockholm, Schweden, Johannes Stadlmann, Chris Oostenbrink, Lukas Mach und Friedrich Altmann von der Universität für Bodenkultur Wien, Peter Hinterdorfer von der Johannes Kepler Universität Linz sowie Gerald Wirnsberger von Apeiron Biologics in Wien. 

Originalveröffentlichung:
Hoffmann D., Mereiter, S. et al., “Identification of lectin receptors for conserved SARS-CoV-2 glycosylation sites”, EMBO J, 2021. DOI: 10.15252/embj.2021108375 https://www.embopress.org/doi/10.15252/embj.2021108375