24.05.2023 | Energiewende

“Gas ist keine Zukunftsoption”

Europas Wissenschaftsakademien, darunter die ÖAW, haben einen gemeinsamen Bericht verabschiedet, der deutlich macht: Wenn die Klimaziele bis 2050 erreicht werden sollen, dann muss der Gasverbrauch massiv gesenkt werden. Anne Neumann, Ökonomin und Co-Autorin des Reports, empfiehlt in Wind-, Solar- und Wasserkraft zu investieren – und Energie zu sparen.

Gas trägt – genauso wie andere fossile Energieträger – wesentlich zur Klimaerwärmung bei. Neben dem Verbrauch in Industrie und Privathaushalten spielen auch größtenteils undokumentierte Lecks entlang von Gaspipelines eine große Rolle. © Adobe Stock

Aktuell basiert rund ein Fünftel des Energieverbrauchs der EU auf Gas. Das kann nicht so bleiben, sagen Expert:innen aus ganz Europa in einem neuen Report des European Academies Science Advisory Council (EASAC). Europas Energiezukunft muss ohne Gas auskommen, sollen die Klimaziele bis zum Jahr 2050 erreicht werden, so der Verbund aller Wissenschaftsakademien Europas, zum dem auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gehört.

Die Ökonomin Anne Neumann von der Norwegian University of Science and Technology erklärt im Interview, was im „Future of Gas“-Report steht, wie der Bericht, dessen Co-Autorin sie ist, organisiert wurde, und warum der Ausstieg aus Gas alternativlos ist.

VERBOT VON GASHEIZUNGEN UNUMGÄNGLICH

Was ist der “Future of Gas”-Report?

Anne Neumann: Im Herbst 2021 hat EASAC beschlossen, einen Fachbericht über die Nutzung von Gasen in Europa zu erstellen. Damals war das Thema noch nicht so brisant wie heute. Die Frage war, ob Wasserstoff, fossiles Erdgas und Biogas eine Zukunft im europäischen Energiemix haben. EASAC vertritt auf europäischer Ebene alle Akademien der Wissenschaften und hat die nationalen Organisationen gebeten, Kandidat:innen für die Mitarbeit zu nominieren. Mitgearbeitet haben zum Beispiel Energieökonom:innen, Chemiker:innen oder Physiker:innen. Wir wollten ein möglichst breites Spektrum abdecken. Dann wurde eine Arbeitsfassung des Reports erstellt, die von unabhängigen Gutachter:innen in den nationalen Akademien geprüft wurde. Die Projektleitung haben Neven Duić, William Gillett und ich gemacht, insgesamt hat die Erstellung eineinhalb Jahre gedauert. Alle 28 nationalen Akademien haben das finale Dokument gebilligt. Wir haben alles relevante Expertenwissen zusammengetragen und dabei stets den Ausgleich zwischen den nationalen Perspektiven im Auge behalten, um eine gemeinsame Formulierung zu finden. Viele Aussagen des Berichts waren nicht unumstritten.

Wenn wir das Ziel Klimaneutralität 2050 erreichen wollen, ist Erdgas langfristig keine Zukunftsoption.

Was steht im Report?

Neumann: Wichtig ist zu betonen, dass der Report unter der Prämisse erstellt wurde, dass das Ziel Klimaneutralität 2050 erreicht werden soll. Wenn wir das wollen, ist Erdgas langfristig keine Zukunftsoption. Wir legen im Report auch dar, welche Instrumente der Politik zur Verfügung stehen, um den Gasverbrauch in den Griff zu bekommen. Wir haben zum Beispiel klar formuliert, dass ein Verbot von Gasheizungen für Privathaushalte unumgänglich ist, auch wenn zum Beispiel zuletzt noch heftig darüber debattiert wurde. Acht Länder haben schon solche Verbote, Deutschland, das jetzt wohl ebenfalls eingelenkt hat, ist da schon mitgezählt. Die anderen Länder müssen dringend nachziehen.

ELEKTRIFIZIERUNG MIT ERNEUERBAREN ENERGIEFORMEN

Muss man schwächere Länder unterstützen?

Neumann: Es muss auch berücksichtigt werden, welche Länder wie viel Gas zum Heizen nutzen, das ist nämlich sehr unterschiedlich. Und natürlich spielt es auch eine Rolle, welche Länder sich welche Maßnahmen leisten können. In Rumänien sind die Voraussetzungen ganz anders als in Österreich oder Norwegen. Die Politik muss hier sozial verträgliche Lösungen finden, um die Lasten des Umbaus der Energiesysteme gerecht zu verteilen. Wir wissen, dass es in Europa Energiearmut gibt, auch wenn der Begriff nicht immer klar definiert ist und wir keine guten Daten haben. Hier muss die Gemeinschaft solidarisch agieren und den Schwächeren helfen. Es gibt momentan schon den EU Social Climate Fund, der die Einnahmen aus dem Emissionszertifikatehandel an schwächere Haushalte verteilen soll. Das Problem dabei ist, dass niemand weiß, ob und wie gut der Zertifikatehandel überhaupt funktioniert und dass die Erlöse aus dem Emissionszertifikatehandel schon bald gegen 0 gehen werden, wenn Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden. Hier brauchen wir also bessere Lösungen: Wir sollten uns ansehen, wer tatsächlich wie viel braucht und nicht, wie viel der Zertifikatehandel einbringt. 

Wir haben klar formuliert, dass ein Verbot von Gasheizungen für Privathaushalte unumgänglich ist.

Wie viel Gas braucht Europa noch?

Neumann: Ungefähr ein Fünftel des gesamten EU-Energieverbrauchs basiert heute auf Erdgas. Dabei konsumieren sieben Länder 80 Prozent der Menge: Deutschland, Italien, die Niederlande, Frankreich, Spanien, Polen und Belgien. 

Wie kann man dieses Gas ersetzen?

Neumann: Die Elektrifizierung ist ein wichtiger Schritt. Wenn wir in der Industrie und in den Haushalten die Heizprozesse von Gas auf Strom aus erneuerbaren Quellen umstellen können, sinken die Emissionen deutlich. Dafür brauchen wir aber mehr Infrastruktur für den Transport und die Verteilung von Strom in Europa. Die Kapazitäten müssen ausgebaut werden, um die steigende Nachfrage zu decken. Für die Transportindustrie könnte sauber erzeugter Wasserstoff eine interessante Alternative sein. Daneben sind das Gasheizungsverbot und Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz wichtig. Bei auf Ammoniak basierten Düngemitteln müssen wir die Nachfrage ebenfalls reduzieren. Diese Dinge müssen wir hinbekommen, wenn wir bis 2050 klimaneutral agieren wollen. 

Die Politik muss sozial verträgliche Lösungen finden, um die Lasten des Umbaus der Energiesysteme gerecht zu verteilen.

Was sagt die europäische Gasindustrie dazu?

Neumann: Aus norwegischer Perspektive ist auch blauer Wasserstoff, der aus Erdgas hergestellt wird, ein Thema. Das dabei entstehende CO2 soll unterirdisch gespeichert werden. Damit könnte man weiter Erdgas fördern und daraus Wasserstoff machen, um ihn in die EU zu exportieren. Norwegen wird nicht aufhören, Gas zu produzieren. Das norwegische System basiert auf dem Reichtum, der mit der Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen kommt. Wir sind deshalb besonders stolz, dass wir das Ergebnis trotzdem unisono präsentieren können. Das war wichtig, deshalb ist die Option auf blauen Wasserstoff im Text geblieben. 

Sind technische Maßnahmen wie die CO2-Speicherung oder das Filtern von CO2 Teil der Lösung?

Neumann: Technische Lösungen werden uns in der kurzen Zeit, die uns noch zum Handeln bleibt, nicht helfen. Solche Vorschläge verschieben die Beschäftigung mit dem Problem nur in die Zukunft.

DIE ZEIT DRÄNGT

Warum spielen viele Entscheidungsträger:innen auf Zeit?

Neumann: Die Dringlichkeit ist wohl noch nicht angekommen. Ich weiß nicht genau, wieso das so ist. Vielleicht tut der Klimawandel den Menschen noch nicht weh genug. Auch Ökonom:innen verbreiten die Ansicht, dass wir einfach weiter Gas verbrennen können und am Ende mit genug Geld eine Lösung finden. Das ist aber nur ein perfider Trick. Wenn wir nicht handeln, werden die Effekte schlimmer sein, als wir es uns heute vorstellen können. Man denke nur an die zu erwartenden klimabedingten Bevölkerungswanderungen.

Wir müssen auch Wind-, Solar- und Wasserkraft weiter ausbauen. Bei den Konsument:innen muss ein Bewußtsein für Energiesparmaßnahmen geschaffen werden.

Welche Maßnahmen müssen sofort passieren?

Neumann: Die gemeinsamen Gaseinkäufe der EU-Länder sind ein guter erster Schritt. Wir müssen auch Wind-, Solar- und Wasserkraft weiter ausbauen. Bei den Konsument:innen muss ein Bewußtsein für die Notwendigkeit von Energiesparmaßnahmen geschaffen werden. Und wenn wir keine „Wutbürger“ wollen, dann müssen wir ärmere Teile der Bevölkerungen schützen. Aus Kohleenergie müssen wir so schnell wie möglich aussteigen. Die Förderung von Bildung und Ausbildung sind essenziell, wir brauchen die Menschen, die die nachhaltigen Energiesysteme der Zukunft bauen können. Das alles sollte bis zum Frühling 2025 passieren. Das ist schwierig, aber machbar. 

Welche Rolle spielt die Versorgungssicherheit?

Neumann: Versorgungssicherheit ist ein großes Thema. Die Importdiversifikation hat mit den gemeinsamen Gaskäufen der EU einen guten Schritt gemacht und es wurden 12 schwimmende LNG-Terminals angeschafft. Die USA sind der größte LNG-Importeur. Hier muss Europa aufpassen, nicht von einer Abhängigkeit in die nächste zu geraten. Die Interessen der ärmeren Länder müssen auch hier berücksichtigt werden. Auch Bulgarien, Moldavien oder die Ukraine müssen ihren Energiebedarf decken können.

 

AUF EINEN BLICK

Anne Neumann ist Ökonomin und hat u.a. in Dresden, Potsdam, Chemnitz und Bergen geforscht. Aktuell ist sie Professorin am Department of Industrial Economics and Technology Management der Norwegian University of Science and Technology.

Der Report “The Future of Gas” ist auf der Website des Akademieverbunds EASAC zum Download zu finden.

Zum Report