25.02.2021 | 1 Jahr Corona

Durchhalten bis zur Impfung

Ein Jahr ist vergangen, seitdem die ersten Infektionen mit dem Coronavirus in Österreich auftraten. Wie hat das Virus unsere Gesellschaft verändert? Sonja Puntscher Riekmann, ÖAW-Mitglied und Politikwissenschaftlerin, zieht im Interview Bilanz und ist überzeugt: Bis zur Impfung gilt es durchzuhalten.

Dass nach nur einem Jahr eine Impfung gegen SARS-CoV-2 entwickelt werden konnte, ist ein Erfolg der Grundlagenforschung.
Dass nach nur einem Jahr eine Impfung gegen SARS-CoV-2 entwickelt werden konnte, ist ein Erfolg der Grundlagenforschung. © Shutterstock

Am 25. Februar 2020 wurden die ersten beiden Coronavirus-Infektionen in Österreich bestätigt. Es handelte sich um zwei 24-jährige Italiener aus der Lombardei, die in Innsbruck lebten. Ein Jahr später steckt das Land noch immer mitten in der Pandemie. Lockdowns, Homeschooling und widersprüchliche Verordnungen haben bei vielen Menschen dazu geführt, dass sie coronamüde geworden sind. Dennoch ist es wichtig durchzuhalten. „Solange wir nicht alle geimpft sind, ist individuelle Disziplin unabdingbar“, sagt die Politikwissenschaftlerin Sonja Puntscher Riekmann. Das Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) spricht im Interview über ihr Resümee nach einem Jahr Coronakrise und Krisenmanagement, die Radikalisierung auf der Straße und die Rolle der Wissenschaft.

Vor einem Jahr wurden in Österreich die ersten Corona-Fälle bestätigt. Wie hat das Virus unsere Gesellschaft getroffen?

Sonja Puntscher Riekmann: Die Pandemie war in jüngerer Zeit etwas völlig Neues für die westliche Welt. Sowohl in Asien als auch in Afrika hat man viel mehr Erfahrung mit der Ausbreitung und Eindämmung von Viruserkrankungen und konnte daher zumindest in manchen Staaten wesentlich besser damit umgehen. Was aber überall auf der Welt deutlich geworden ist: Der Wert der Grundlagenforschung. Noch nie ist so schnell ein Impfstoff gefunden worden. Das ist eine große Leistung, die wesentlich auf jahrzehntelanger Grundlagenforschung beruht.

Noch nie ist so schnell ein Impfstoff gefunden worden. Das ist eine große Leistung, die wesentlich auf jahrzehntelanger Grundlagenforschung beruht.

Apropos Forschung. Welche Rolle kommt hier den Berater/innen – den Virolog/innen, Mathematiker/innen, aber auch den Sozialwissenschaftler/innen – zu?

Puntscher Riekmann: Wenn es um die Ausbreitung des Virus geht, die Prognose von Verläufen oder die Virusmutationen, dann muss die Wissenschaft aufgrund ihrer Expertise das Sagen haben. Allerdings werde ich skeptisch, wenn sich Wissenschaftler/innen politische Entscheidungen anmaßen. Denn: Die Legitimität politischer Entscheidung liegt bei jenen, die dafür gewählt wurden. Dazu kommt, dass Wissenschaftler/innen sich oft nicht einig in ihren Diagnosen und in der Einschätzung der Konsequenzen ihrer Empfehlungen sind. Uneinigkeit ist dabei normal, denn Wissenschaft beruht auf Annahmen, die erst getestet werden müssen. Dass sie in der Öffentlichkeit aber Verwirrung stiften kann, sollten Wissenschaftler/innen mitbedenken, wenn sie sich öffentlich äußern.

Wie bewerten Sie rückblickend das Krisenmanagement in Österreich?

Puntscher Riekmann: Insgesamt betrachtet sind die Dinge nicht viel anders gelaufen als woanders. Im europäischen Vergleich würde ich Österreich hier in der Mitte ansiedeln. Es ist einiges sehr rasch geschehen, wenngleich mit demokratiepolitisch manchmal fragwürdigen Methoden. Unter Druck passieren auch Fehler. Manche Gesetze und Verordnungen mussten im Nachhinein als verfassungswidrig korrigiert werden.

Im europäischen Vergleich würde ich Österreich beim Krisenmanagement in der Mitte ansiedeln.

Eine grundsätzliche Problematik war und ist das abwechselnde Auf-und-Zu-Sperren. Wann immer der Lockdown aufgehoben oder eingeschränkt wird, ist augenblicklich eine Lockerheit der Menschen im Umgang miteinander zu beobachten, die sofort wieder steigende Ansteckungszahlen zur Folge hat. Solange wir nicht alle geimpft sind, ist individuelle Disziplin unabdingbar. Dazu kommen die Mutationen des Virus als neue Herausforderung. Politische Kontroversen – auch wie zuletzt jene zwischen dem Bund und Tirol – sind dabei nicht nur wenig hilfreich in der Problemlösung, sondern geradezu absurd.

Wie sehr hat die Demokratie während der Pandemie gelitten?

Puntscher Riekmann: Was gelitten hat, ist die repräsentative Demokratie durch stark beschleunigte Gesetzesinitiativen ohne angemessene Begutachtungsverfahren. Angesichts der Dringlichkeit der Maßnahmen halte ich das für tolerabel, solange diese Praxis zeitlich beschränkt bleibt. Das gilt vor allem für die Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte.

Etwas, was kaum thematisiert wird, ist die Frage der Solidarität mit vulnerablen Gruppen.

Etwas, was kaum thematisiert wird, ist hingegen die Frage der Solidarität mit vulnerablen Gruppen. Denken Sie an Flüchtlinge. Denken Sie an obdachlose Menschen. Der Umgang mit Minderheiten ist ein Grundwert der Demokratie und in den Grundrechten auch des europäischen Unionsvertrages festgeschrieben. Die Schutzlosigkeit von Flüchtlingen am Balkan oder in Griechenland, einem EU-Mitgliedstaat, ist unerträglich und nicht mit europäischen Grundwerten vereinbar.

Stichwort: Coronademos.Wie gefährlich schätzen Sie die Radikalisierung auf der Straße ein?

Puntscher Riekmann: Wie gefährlich diese Bewegungen für die Demokratie und die gesellschaftliche Solidarität wirklich werden können, bleibt abzuwarten. Zurzeit haben wir es mit Verschwörungstheoretiker/innen zu tun, die sich von der extremen Rechten instrumentalisieren lassen. Hinzu kommen Unzufriedene, die gerne hätten, dass die Kinder wieder in die Schule gehen und dass die alte „Normalität“ zurückkehrt. Letztere müssen sich allerdings schon die Frage stellen, in welcher Umgebung sie auf die Straße gehen.

Wie gefährlich Protestbewegungen der Coronaleugner für die Demokratie und die gesellschaftliche Solidarität wirklich werden können, bleibt abzuwarten.
 

Rechtfertigt die Pandemie die Einschränkung der Versammlungsfreiheit?

Puntscher Riekmann: Wenn Demonstrationen ohne Abstände und ohne Masken stattfinden, dann ist die Ansteckungsgefahr hoch. Insofern sehe ich im Verbot von Anti-Corona-Demonstrationen keine Einschränkung der Demokratie. Im Gegenteil: Demonstrationen ohne Schutzmaßnahmen und Rücksichtnahme auf andere sind eine Form von Gewalt und damit eine Gefahr für die Demokratie. 

Welche Lehren können wir aus der Pandemie ziehen?

Puntscher Riekmann: Wir haben gelernt mit einer solchen Pandemie umzugehen. Das ist, wenn man etwas Positives in einer solchen Krise sehen möchte, durchaus eine wertvolle Erfahrung. Ich würde daher mit Blick auf die junge Generation auch nicht leichtfertig von einer „verlorenen Generation“ sprechen. Zu lernen, wie man mit einer Krise umgeht, sollte nicht gering geschätzt werden.

 

AUF EINEN BLICK

Sonja Puntscher Riekmann ist Politikwissenschaftlerin und wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie war von 2003 bis 2011 Vizerektorin der Universität Salzburg und bis zu ihrer Emeritierung 2019 Universitätsprofessorin für Politische Theorie und Europäische Politik an der Universität Salzburg. Seit 2019 ist sie Vorsitzende im Aufsichtsrat des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF).