25.04.2023 | Nobelpreisträger-Vorlesung

Donna Strickland: “Wir können Laserpulse wie einen Hammer für Elektronen einsetzen”

Donna Strickland, Nobelpreisträgerin für Physik, war am 25. April an der ÖAW zu Gast. Dort erzählte sie, welche neuen technologischen Möglichkeiten ultrakurze Lichtpulse eröffnen - von der Augenchirurgie bis zum CERN.

Eine Frau liegt unter einem medizinischen Gerät, das ihr Auge mit einem Laserstrahl abtastet
Licht spielt als Werkzeug unter anderem bei medizinischen Anwendungen eine entscheidende Rolle. Die dank neuer wissenschaftlicher Durchbrüche erzielte Präzision erlaubt dabei völlig neue Möglichkeiten. © Adobe Stock

"Generating High-Intensity, Ultrashort Optical Pulses" lautete der Titel der Lise Meitner Lecture von Donna Strickland der an Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Hinter diesem Titel versteckt sich bahnbrechende Forschung mit einem weiteren zukünftigen Anwendungssprektrum. Ultrakurze, intensive Lichtpulse können inzwischen bei Laser-Augen-OPs eingesetzt werden, und: „Auf lange Sicht ist es vielleicht sogar möglich, große Teilchenbeschleuniger wie den LHC am CERN durch effizientere Laserbeschleuniger zu ersetzen“, so Strickland.

Im Interview spricht die Physikerin über technische Fortschritte, theoretische Grenzen und die Namensgeberin der Lecture, Lise Meitner.

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Ultrakurzer Laserpulse

Sie haben 2018 den Physiknobelpreis für die Entwicklung der Chirped Pulse Amplification (CPA) zur Erzeugung ultrakurzer, intensiver Laserpulse bekommen. Welche Bedeutung hatte ihre Arbeit aus dem Jahr 1985 im Nachhinein?

Donna Strickland: Es gab schon vorher Methoden zur Erzeugung von kurzen Laserpulsen, zum Beispiel mit Farbstofflasern, die allerdings nicht sehr energiereich waren und auch keine großen Fortschritte erwarten ließen. In den 60er-Jahren konnten wir schon Pikosekundenpulse erzeugen. In den 70ern wurde dann versucht, größere Systeme als Verstärker zu nutzen, was aber zu Beschädigungen aufgrund von nichtlinearen Effekten führte. Durch CPA wurde es möglich, ultrakurze Pulse im Verstärker zu haben, ohne dass Schäden auftreten. 

Was hat sich seit nobelpreisgekrönten Arbeit im Forschungsgebiet getan?

Strickland: Die Entdeckung von Titandotierten Saphiren als Verstärker hat die Entwicklung vorangetrieben, mit der auch der Einsatz in anderen Medien als Glas und noch kürzere Pulse möglich wurden. Das ist im  Vergleich zu anderen Methoden auch effizienter: Man muss weniger Energie einsetzen, um Pulse gleicher Energie pro Zeiteinheit zu bekommen. Dadurch hat sich die Technik schnell als Standard für die Erzeugung ultrakurzer Lichtpulse in den Labors etabliert.

Unfall als Glücksfall

Was sind die wichtigsten Anwendungen?

Strickland: Ein Unfall in Gérard Mourous Labor (mit ihm hat sich Donna Strickland den Physiknobelpreis 2018 geteilt, Anm.) hat zur Entdeckung medizinischer Anwendungen beigetragen: Ein Student musste mit einem durch einen Laser verursachten Augenschaden zum Augenarzt, der dann erkannt hat, dass die Verletzung die Form eines perfekten Kreises hatte. Das war der Ausgangspunkt für die ersten Laser-Augenoperationen. Nach demselben Prinzip lässt sich auch Glas mit ultrakurzen Laserpulsen bearbeiten.

Es gibt in der Grundlagenforschung Versuche, leistungsstärkere Laser herzustellen und da ist in den vergangenen Jahrzehnten viel passiert."

Wie kann ich mir einen ultrakurzen Laserpuls vorstellen?

Strickland: Wenn ich mit meinem Laserpointer einen eine Sekunde langen Lichtpuls in Richtung Mond schicke, dann hat der vorderste Bereich des Pulses bereits dreiviertel der Strecke zurückgelegt, wenn der hintere Bereich den Pointer verlässt. Dieser langgezogene Puls ist auch der Grund, warum normale Laserpointer keine Verletzungen verursachen. Die Zahl der Photonen in einem Puls wäre hoch genug, um Glas zu schneiden, wenn sie alle gleichzeitig ankommen würden. Ein ultrakurzer Laserpuls vereint dieselbe Zahl von Photonen innerhalb von 1/30 Millimeter. 

Welche Energiedichten lassen sich mit heutiger Technik erreichen?

Strickland: Wir sind nicht wie die Mikrochipindustrie, die das Ziel verfolgt, immer noch kleinere Transistoren zu bauen. Die meisten Anwendungen für ultrakurze Laserpulse sind im unteren Bereich des möglichen Energiespektrums angesiedelt. Es gibt in der Grundlagenforschung aber Versuche, leistungsstärkere Laser herzustellen und da ist in den vergangenen Jahrzehnten viel passiert: In Südkorea gibt es einen Laser, der 10 hoch 23 Watt pro Quadratzentimeter schafft. Als ich meine Arbeit 1985 geschrieben habe, lag der Rekord bei 10 hoch 14. 

Mit der CPA haben wir einen Weg gefunden, Laserpulse wie einen Hammer einzusetzen."

Warum ist das niedrige Ende der Energieskala für ultrakurze Laserpulse interessant?

Strickland: Mit Lasern Glas zu bearbeiten, ist sehr schwierig. Undurchsichtige Materialien wie Stahl können dagegen einfach geschnitten werden, weil der Laser seine Energie direkt an die Oberfläche abgibt. Die Energie wird in Wärme umgewandelt und der Stahl örtlich einfach verdampft. Glas ist durchsichtig, weshalb das so nicht funktioniert. Mit der CPA haben wir einen Weg gefunden, Laserpulse wie einen Hammer einzusetzen. Damit können wir Elektronen aus den Molekülen im Glas schlagen und es entstehen lokal sehr starke Ladungsunterschiede, durch die das Material im betroffenen Bereich zerstört wird. Damit kann im Fokus des Laserstrahls sehr präzise Material entfernt werden, auch im Inneren eines transparenten Materials. So können wir die Hornhaut glatt schneiden oder Wellenleiterstrukturen in einem Objekt aus Glas erzeugen. Dafür ist eine Laserstärke von 10 hoch dreizehn ausreichend, wir wollen das bearbeitete Material ja nicht großflächig zerstören. 

Der Traum von Glasfaserverstärkern

Warum dann die Forschung im Hochenergiebereich?

Strickland: Es gibt natürlich auch hier einige interessante Möglichkeiten. Für die Krebsbehandlung mit Radiotherapie können wir Laserbeschleuniger bauen, die effizienter arbeiten und höhere Energien ermöglichen. Und auf lange Sicht ist es vielleicht sogar möglich, große Teilchenbeschleuniger wie den LHC am CERN durch effizientere Laserbeschleuniger zu ersetzen. Der Traum wären eine Million Glasfaserverstärker, die durch Rückkopplungsschleifen perfekt koordiniert werden können. Damit könnte man einen Laser mit sehr hoher Leistung bauen, der hocheffiziente Teilchenbeschleuniger möglich machen könnte.

Wo liegen Ihre Forschungsschwerpunkte heute?

Strickland: Ich bin im niedrigen Energiebereich geblieben. Auch wegen der Sicherheitsanforderungen (lacht). Ich habe ja immer wieder auch junge Studenten in meinem Labor. Wir haben in den vergangenen Jahren versucht, ultrakurze Laserpulse im mittleren Infrarotbereich zu erzeugen. Derzeit liegt die Grenze in einem Wellenlängenbereich von etwa 20 Mikrometer. Daneben haben wir nichtlineare optische Effekte an einzelnen Laserpulsen untersucht und unerwartete Spitzen im Lichtspektrum analysiert, die auf solche Effekte zurückzuführen sind. Ich beschäftige mich immer noch mit ultrakurzen Pulsen in Glasfasern, wo weitere medizinische Anwendungen wie Elektronebestrahlung direkt am Tumor über Glasfaseroptiken entwickelt werden. Mit der Energie von einem Kiloelektronenvolt können wir hier präzise Gewebeschichten von nur einem Mikrometer Stärke entfernen. Die Idee ist, dass der Chirurg einen Tumor grob herausschneidet, ohne gesundes Gewebe zu verletzen und wir die verbleibende Schicht sehr exakt mit Bestrahlung entfernen. 

Kosten und Ideen

Was ist mit CPA in Zukunft noch erreichbar?

Strickland: Derzeit scheinen wir wieder eine Plateauphase erreicht zu haben, ähnlich wie vor der Entwicklung von CPA. Wir wollten damals einfach einen effizienten Weg finden, um ultrakurze Laserpulse zu erzeugen. Jetzt brauchen wir wohl wieder eine neue Idee. Durch den Einsatz enormer Energiemengen und immer größere Verstärker könnten wir zwar noch kürzere, intensivere Pulse erzeugen, aber nur, wenn wir hohe Kosten in Kauf nehmen. Noch sind wir nicht im Bereich von Teleskopen, die nur mehr durch internationale Kooperationen finanziert werden können, aber die Laser werden immer teurer. 

Gibt es Ideen für neue Ansätze?

Strickland: Wenn wir kürzere Pulse wollen, werden wir kurzwelliges UV-Licht verwenden müssen, weil es eine weitaus höhere Energiedichte ermöglicht. Dafür haben wir bisher aber keinen guten Verstärker. Es gibt aber zumindest Ideen, wie sich das ändern ließe. 

Seit 2020 haben wir erstmals seit langer Zeit wieder zwei lebende Physiknobelpreisträgerinnen!"

Ihr Vortrag in Wien ist Teil der Lise Meitner Lectures. Im Gegensatz zu Ihnen ist Meitner der Nobelpreis verwehrt geblieben. 

Strickland: Lise Meitner war weder die erste noch die letzte Frau, die um einen Physiknobelpreis betrogen wurde. Ich hatte zum Beispiel die Ehre, Jocelyn Bell Burnell, die ein ähnliches Schicksal erfahren hat, persönlich kennenzulernen. Für Frauen war es nach ihr hundert Jahre lang unmöglich, einen Physiknobelpreis zu bekommen, weil dafür immer auch die Unterstützung der jeweiligen Machthaber notwendig gewesen wäre. Ich bin froh, dass ich in unserer Zeit lebe und seit 2020 haben wir erstmals seit langer Zeit wieder zwei lebende Physiknobelpreisträgerinnen! Das ist allerdings noch nicht genug. Als ich Andrea Ghez 2020 zu ihrem Nobelpreis gratuliert habe, habe ich sie gleich gefragt, ob wir den Club der Physiknobelpreisträgerinnen gründen sollten. Ich bin zuversichtlich, dass wir bald zusätzliche Mitglieder anheuern dürfen.

 

AUF EINEN BLICK

Donna Strickland forscht an der University of Waterloo und wurde 2018 mit den Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Sie ist Fellow der Royal Society of Canada und internationales Mitglied der US National Academy of Science.