11.11.2021 | Höhlenforschung

Das Mysterium der Höhle

Dunkel, still, geheimnisvoll: Jahrtausendealte Höhlen-Systeme unter unseren Füßen gelten als die letzten „weißen Flecken“ der Erde. Einblicke in die faszinierenden unterirdischen Landschaften gibt der ÖAW-Geologe Christoph Spötl anlässlich eines von der Akademie mitveranstalteten Symposiums.

© Georg Zagler
© Georg Zagler

Ob eiszeitlicher Schutz vor Kälte und Raubtieren oder Stoff, aus dem Märchen und Sagen gemacht werden – Höhlen begleiten die Menschheit seit jeher. Für die Wissenschaft sind die in Jahrhunderttausenden entstandenen unterirdischen Räume, Höhlen und Schächte unter unseren Füßen nicht zuletzt als konservierende Stätte von einzigartiger Bedeutung. Anlässlich des Internationalen Jahres für Höhlen und Karst hat die Kommission für Geowissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Kooperation mit der Universität Innsbruck und dem Naturhistorischen Museum Wien ein Symposium organisiert, das sich nicht nur an Höhlenforscher/innen richtet, sondern auch die interessierte Öffentlichkeit einlädt. Im Interview spricht der Innsbrucker Geologe Christoph Spötl, Mitglied der ÖAW, über die Mysterien unter der Erde und darüber, was man von Höhlen lernen kann.

Herr Spötl, inwiefern können Höhlen als die letzten „weißen Flecken“ der Erde bezeichnet werden?

Christoph Spötl: Seit geraumer Zeit gibt es auf den Landkarten der Erde keine echten „weißen Flecken“ mehr. Während die Oberfläche detailliert kartiert ist und selbst schwer erreichbare Gebiete den immer besseren „Augen“ von Satelliten nicht entkommen, existiert unter unseren Füßen eine Welt, über die man wenig spricht und die dennoch da ist.  Die Welt unter Tage ist Teil der Erdoberfläche, wenn auch lichtlos. Sie reicht von kleinen Spalten, die nur wenige Meter in das Gestein hineinreichen, bis zu kilometerlangen zusammenhängenden Labyrinthen: Es gibt noch viel „terra incognita“.

Jahr für Jahr werden einige hundert Höhlen erstmals begangen, vermessen und dokumentiert."

Die Welt unter Tage ist also wenig erforscht?

Spötl: Manche Länder haben einen sehr guten Erforschungsstand ihrer „Unterwelt“, andere verfügen über kaum untersuchte Höhlen. Österreich und seine Nachbarstaaten haben eine lange Tradition in der speläologischen Erforschung. Dennoch werden allein in Österreich Jahr für Jahr einige hundert Höhlen erstmals begangen, vermessen und dokumentiert.

Vom Toten Gebirge bis zum Hochschwab

In welchen Erdgegenden befinden sich besonders viele Höhlen?

Spötl: Dort, wo es Gesteine gibt, die relativ gut wasserlöslich sind: Kalkstein und Gipsgestein führen die „Hitliste“ an. Das bedeutet: Ein Blick auf eine geologische Karte der Welt lässt sogenannte Karst-Gebiete lokalisieren. Dazu kommt, dass der Höhlenbildungsprozess deutlich schneller abläuft, wenn viel Wasser vorhanden ist und viel Bewuchs über der Höhle existiert. Denn: Der Boden, in dem die Vegetation wurzelt, ist die Hauptquelle von Kohlendioxid, das in Wasser gelöst eine schwache Säure erzeugt, die Kalkgestein auflöst. Höhlenreiche Gebiete in Österreich sind beispielsweise das Tote Gebirge, der Dachstein, das Tennengebirge oder der Hochschwab. Im nahen Ausland sind der Schweizer und Französische Jura oder der klassische Karst Sloweniens sehr höhlenreich.

Tropfsteine repräsentieren ein einzigartiges natürliches „Archiv“ der Umwelt und wurden durch Wasser des Niederschlags 'ernährt'. "

Was kann man im Inneren einer Höhle erfahren?

Spötl: Zum einen absolute Dunkelheit. In Höhlen dringt nur eingangsnah Sonnenlicht ein. Zum anderen herrscht mancherorts auch absolute Stille. Ästhetische Tropfsteinformationen können nachweislich Jahrhunderttausende alt sein. Sie repräsentieren ein einzigartiges natürliches „Archiv“ der Umwelt und wurden durch Wasser des Niederschlags „ernährt“. Zu entdecken gibt es Gänge, Hallen, Wasserläufe und Schächte, die vielleicht noch kein Mensch je gesehen hat. Und man kann jahrtausendealte Überreste von finden, etwa von ausgestorbenen Tieren, wie dem Höhlenbären.

Speläologie ist vorwiegend Grundlagenforschung. Aber gibt es auch Beispiele für angewandte Höhlenforschung?

Spötl: Ein konkretes Beispiel: Wenn Sie in Wien den Wasserhahn aufdrehen, bekommen Sie Wasser aus der Steiermark oder aus Niederösterreich, welches aus Karstgebieten stammt. Das ist einer der ganz großen Werte für Wien. Die beiden Hochquellenleitungen beliefern seit 1873 bzw. 1910 die Bundeshauptstadt mit hochwertigem Trinkwasser. Diese Gebiete, die zur Wasserversorgung angezapft werden wie z.B. der Hochschwab sind stark verkarstet und höhlenreich und entsprechend vulnerabel. Wien ist der größte Grundbesitzer der Steiermark und eine eigenen Magistratsabteilung kümmert sich um die Quellwasserversorgung und finanziert speläologische Studien.

Klimawandel bedroht Eishöhlen

Sind Höhlen auch vom Klimawandel bedroht?  

Spötl: Höhlen, die Eis enthalten, sind bedroht. Und Österreich zählt zu den Ländern mit der höchsten Dichte an Eishöhlen. Manche von ihnen können auch von Tourist/innen besucht werden. Wir sehen schon jetzt eine Tendenz des Eisrückganges, die parallel zu den schwindenden Gletschern läuft, mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, aber es gibt noch großen Forschungsbedarf.

Schon das Auf- und Absteigen am Seil in Vertikalhöhlen bietet große Herausforderungen. Unter welchen Bedingungen werden Unterwasserhöhlen erforscht?

Spötl: Die Trübung des Wassers kann die Sicht auf Null sinken lassen. Zudem braucht es oft lange Anmärsche durch Höhlen um an jene Stellen zu kommen, wo getaucht werden muss, um die Höhle weiter zu erforschen. Zusätzlich sind viele Träger für den Transport der Ausrüstung nötig. In ausgedehnten Unterwasserhöhlen, etwa in Mexiko, werden lange Tauchstrecken mit eigenen „Scootern“ überwunden.

Und welche ist die tiefste bekannte Höhle der Welt?

Spötl: Die Veryovkina Cave in Abchasien, Georgien. Ihre maximale Tiefe ist 2.212 Meter. Eine Liste der tiefsten Höhlen gibt es hier. Mehr dazu kann man bei unserem Symposium hören: Im Vortrag von Robbie Shone wird von der Veryovkina Cave die Rede sein.