30.11.2020 | Pandemiebekämpfung

Demokratien sind erfolgreicher gegen Corona

Autokratien können die Einhaltung von Maßnahmen gegen Corona von ihrer Bevölkerung erzwingen. Aber sind sie deswegen erfolgreicher bei der Bekämpfung der Pandemie? Nein, sagt die rumänische Soziologin Mălina Voicu. Der Vergleich von 100 Ländern zeigt: Demokratien sind besser. Ihre Studienergebnisse stellt Voicu nun bei einer Online-Konferenz von Demograph/innen der ÖAW vor.

Demokratien fördern das Vertrauen der Bürger/innen in die Institutionen, eine wichtige Voraussetzung im Kampf gegen die Pandemie.
Demokratien fördern das Vertrauen der Bürger/innen in die Institutionen, eine wichtige Voraussetzung im Kampf gegen die Pandemie. © Shutterstock

Das Coronavirus brach 2019 erstmals in China aus und das Land war aber auch das erste, das keine Neuinfektionen mehr meldete. Sind autokratische Regime besser geeignet, wenn es darum geht, den Kampf gegen eine Pandemie zu gewinnen? Diese Frage stellte sich auch Mălina Voicu. Die Soziologin von der Rumänischen Akademie in Bukarest wollte das genau wissen und verglich in der Folge Daten von rund 100 Ländern. 

„Den Erfolg eines Landes bei der Eindämmung des Virus haben wir an der Anzahl der Verstorbenen festgemacht“, erzählt die Wissenschaftlerin, die am 30. November und 1. Dezember 2020 bei einer virtuellen Konferenz des Instituts für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zu Gast ist. Bei dieser Kenngröße schneiden Demokratien besser ab. Auch die Kluft zwischen Arm und Reich spielt eine Rolle: „Die Zahl der Todesfälle durch COVID-19 ist in Ländern mit größerer sozialer Ungleichheit höher“, sagt Voicu im Interview. 

Sie haben sich in Ihrer Studie mit Demokratien und Sterblichkeit in Zeiten von Corona beschäftigt. Was wollten Sie herausfinden?

Mălina Voicu: In der öffentlichen Debatte wurde immer wieder der Gedanke geäußert, dass eine Autokratie wie China möglicherweise besser darauf vorbereitet ist, das Virus einzudämmen, weil es die Bevölkerung dazu zwingen kann, sich an die Eindämmungsmaßnahmen zu halten. Mit empirischen Daten haben wir nachgewiesen, dass dies global gesehen nicht der Fall ist.

Demokratien besser in der Lage, ihren Einwohnern gute Lebensbedingungen zu bieten. Die Menschen haben daher eine längere Lebenserwartung.

Für Ihre Studie haben Sie Daten von rund 100 Ländern analysiert. Wie sind Sie vorgegangen?

Voicu: Wir haben die Daten über die tägliche Sterblichkeit pro Land mit Daten über den Grad der Demokratisierung und das Niveau des Sozialkapitals verglichen. Unsere wichtigste Forschungsfrage war: Wenn die politischen Maßnahmen einen Einfluss darauf haben, wie sich die Pandemie entwickelt, sind dann Demokratien oder autokratische Regime erfolgreicher bei der Bekämpfung der Pandemie? Den Erfolg eines Landes bei der Eindämmung des Virus haben wir an der Anzahl der Verstorbenen festgemacht.

Sie haben festgestellt, dass Demokratien besser mit der Pandemie umgehen. Welche Gründe gibt es dafür?

Voicu: Zum einen sind Demokratien besser in der Lage, ihren Einwohnern gute Lebensbedingungen zu bieten. Die Menschen haben daher eine längere Lebenserwartung. Allerdings: In der gegenwärtigen Pandemie kann die Tatsache, dass die Menschen älter werden, zu höheren Todesraten führen. Deshalb haben wir in unseren Analysen die unterschiedlichen Lebenserwartungen berücksichtigt. Und zum anderen ist es wichtig, dass Menschen sich an die politischen Eindämmungsmaßnahmen halten - auch dann, wenn sie im Privaten, also außerhalb der Reichweite staatlicher Kontrolle, sind.

Neben dem eigenen Interesse sich an die Maßnahmen zu halten, braucht es auch die Fürsorge für die anderen. Wir wissen, dass Demokratien im Vergleich zu Autokratien sehr gut darin sind, gesellschaftliche Solidarität und Vertrauen in Institutionen zu fördern.

Sie argumentieren, dass in Demokratien die Motivation, sich an Maßnahmen zu halten, größer ist. Warum?

Voicu: Dabei spielt der soziologische Begriff des sozialen Kapitals eine Rolle, also die Basis des Vertrauens, auch in staatliche Institutionen, auf der sich Kooperation und gegenseitige Unterstützung entwickeln können. Denn neben dem eigenen Interesse, sich an die Maßnahmen zu halten, braucht es auch die Fürsorge für die anderen. Aus der Theorie wissen wir, dass Demokratien im Vergleich zu Autokratien sehr gut darin sind, gesellschaftliche Solidarität und Vertrauen in Institutionen zu fördern.

Und in Autokratien?

Voicu: Ein Regime, das potentiell mit Gewalt aufrecht erhalten wird, schadet dem Gefüge der Gesellschaft und den zwischenmenschlichen Beziehungen. Das bringt die Menschen dazu, kein Vertrauen und keine weit gespannten sozialen Netzwerke zu haben.

In Zeiten von Corona wird die Kluft zwischen Arm und Reich noch größer. Vulnerable Menschen werden damit noch vulnerabler.

Sie haben sich auch mit dem Aspekt der sozialen Ungleichheit beschäftigt. Wie wirkt sich diese auf den Kampf gegen die Pandemie aus?

Voicu: Wir wissen bereits, dass in Ländern mit größerer sozialer Ungleichheit die Menschen eine niedrigere Lebenserwartung haben. Eine große Kluft zwischen Arm und Reich wird auch beim Zugang zu Gesundheitsdiensten schlagend und das betrifft wiederum die präventive medizinische Versorgung.

Ein Beispiel bitte.

Voicu: Denken wir an Brasilien, ein Land mit einer der höchsten sozialen Ungleichheitsraten der Welt. Ein sehr großer Anteil der Bevölkerung hat keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Aus Studien zur sozialen Ungleichheit wissen wir, dass in Zeiten von Corona die Kluft zwischen Arm und Reich noch größer wird. Vulnerable Menschen werden damit noch vulnerabler – nicht nur aus gesundheitlichen Gründen. Wer in prekären Arbeitsverhältnissen arbeitet, kann es sich oft nicht leisten, in Quarantäne zu gehen. Wenn die Wirtschaft einbricht, sind sie in hohem Maße gefährdet, entlassen zu werden. Oft fehlt das soziale Sicherheitsnetz. Und: Auch die Zahl der Todesfälle durch COVID-19 ist in Ländern mit größerer sozialer Ungleichheit höher. 

 

AUF EINEN BLICK

Mălina Voicu studierte Soziologie und Psychologie an der Universität Bukarest. Sie ist Senior Researcher am Research Institute for the Quality of Life an der Rumänischen Akademie.

Die Konferenz „Demographic Aspects of the COVID-19 Pandemic and its Consequences“ findet am 30. November und 1. Dezember 2020 online statt. Sie wird gemeinsam organisiert vom Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), dem Institut für Demographie der Universität Wien und dem IIASA.

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