22.04.2022

Auftakt zu neuer Reise in die Welt der Elementarteilchen

Eine neue, mehrjährige Messreihe am leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider des CERN, begann heute mit einer Synchronisierung von Beschleuniger und Experimenten. Nach intensiver Vorbereitung werden PhysikerInnen am Institut für Hochenergiephysik der ÖAW die neuen Daten für ein erweitertes Forschungsprogramm verwenden, das Suchen nach neuen Teilchen und präzisere Messungen bekannter Prozesse kombiniert.

Signale in den Kalorimetern des CMS Experiments, ausgelöst von Schauern von Myonen aus der Kollision von Protonen mit einem Hindernis vor dem Experiment [1].

Nach einer dreijährigen Pause zirkulierten heute wieder Protonstrahlen im Large Hadron Collider (LHC) des CERN [2]. Dabei wurden Protonen auch auf vor den Experimenten liegende Hindernisse gelenkt. Die entstehenden Schauer von Sekundärteilchen wurden aufgezeichnet und erlauben eine präzise Synchronisierung der Detektorelektronik mit dem Beschleuniger. Dies ist der erste Schritt in Vorbereitung des Normalbetriebs mit Proton-Proton-Kollisionen, die im Vergleich zur vorigen Messreihe (2015-2018) bei erhöhter Energie stattfinden wird und den verfügbaren Datensatz mehr als verdoppeln soll. Das CMS-Experiment [3], einer der zwei Großdetektoren am LHC, an dem das Institut für Hochenergiephysik (HEPHY) der ÖAW seit Beginn beteiligt ist, wurde in den vergangenen Jahren mit Verbesserungen von Detektorkomponenten und der Datenverarbeitungssysteme auf den sogenannten “Run 3” des LHC vorbereitet.

Ziel der CMS-Forschungsgruppe am HEPHY für Run 3 ist es, mit empfindlicheren Methoden  Abweichungen von den Vorhersagen des derzeit gültigen “Standardmodells” der Teilchenphysik zu finden. Trotz des beeindruckenden Erfolgs dieses Modells weist es mehrere Schwachstellen auf. So liefert es zum Beispiel keine Beschreibung für den Großteil der Materie im Universum, der sogenannten dunklen Materie. Es mehren sich auch Anzeichen für subtile Abweichungen von seinen Vorhersagen. 

HEPHY-PhysikerInnen werden ihre Suche nach neuen Phänomenen mit zwei Ansätzen verfolgen: dem Versuch, bisher unbekannte Teilchen in den Kollisionsprodukten der Protonpaare direkt nachzuweisen, beziehungsweise in der Messung kleiner indirekter Effekte in bekannten Prozessen.

Ein Beispiel für den ersten Ansatz ist die Suche nach Teilchen einer unerforschten, “dunklen” Seite unseres Universums. Der Zerfall solcher Teilchen könnte zur Entstehung von Paaren von Myonen innerhalb des Detektors, aber mit deutlichem Abstand von seinem Zentrum führen. Nachdem das Experiment ursprünglich nicht für solche Szenarien optimiert wurde, müssen innovative Lösungen gefunden werden, insbesondere für das Triggersystem, das interessante Kollisionen in Echtzeit filtert. Dies muss unter starken Randbedingungen auf die Verarbeitungszeit und die Komplexität der Algorithmen erfolgen. Die Vorbereitungsarbeit der vergangenen Jahre am HEPHY wird es erlauben, Kandidaten für Kollisionen mit versetzten Myonpaaren wesentlich zielgerichteter zu filtern und schon während der ersten Jahre des Run 3 deutlich bessere Resultate zu erzielen.

Der zweite Ansatz stützt sich auf bekannte, wenn auch seltene Produktionsarten bestimmter Teilchen (Prozesse), um kleine Abweichungen von den Vorhersagen des Standardmodells für Raten, Energie- und Winkelverteilungen zu detektieren. Die erfolgversprechendsten Kandidaten sind die Erzeugung von Paaren des schwersten bekannten Elementarteilchens, des Top-Quarks, oder des vor knapp 10 Jahren entdeckten Higgs-Bosons, jeweils zusammen mit anderen Teilchen. Wesentlich ist die gleichzeitige Auswertung vieler Messungen mit einer konsistenten Beschreibung möglicher Abweichungen. Diese Beschreibung soll möglichst generell sein ohne auf spezifische Modelle “neuer Physik” angewiesen zu sein. In Vorbereitung für Run 3 haben die Physikerinnen und Physiker am HEPHY die wesentlichen Prozesse identifiziert und bereiten eine globale Auswertung vor, die auch optimierte statistische Verfahren basierend auf maschinellem Lernen verwenden wird. Die Empfindlichkeit der Messung hängt stark von der Zahl der Kollisionen in den extremen Regionen der Energiespektren ab und wird daher stark von der größeren Datenmenge in Run 3 profitieren.

Für die CMS-Forschungsgruppe am HEPHY markiert der Beginn von Run 3 den Übergang von einer intensiven Vorbereitungsphase, gestützt auf frühere Daten und Computersimulationen, auf die Anwendung der neuen Analysemethoden. Alle Mitglieder der Gruppe sehen daher dem baldigen Beginn der regulären Datennahme mit Begeisterung entgegen und mit der Hoffnung auf Beobachtungen, die den Weg zu einer Erweiterung des Standardmodells der Teilchenphysik zeigen können.

 

Referenzen

[1] cds.cern.ch/record/2807179

[2] CERN, die Europäische Organisation für Kernphysik, home.web.cern.ch

[3] https://cms.cern