Aufruf anlässlich der Ukraine-Krise 2022

Aufruf österreichischer Migrationsforscherinnen und -forscher

Der Angriffskrieg des Putin-Regimes auf die Ukraine wird die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem 2. Weltkrieg auslösen. Wenn die Pläne Putins am anhaltenden Widerstand in der Ukraine scheitern, dann ist es wahrscheinlich, dass die meisten der jetzt Geflüchteten in die Ukraine zurückkehren und sich am Wiederaufbau des Landes beteiligen. Wenn Putin jedoch in der Ukraine einen Vasallenstaat errichtet, der von einem Terrorregime aufrechterhalten wird, dann wird es nach der ersten Welle der Flucht von Frauen und Kindern zu weiteren massiven Fluchtbewegungen von Menschen kommen, die ihr Leben anderswo neu aufbauen müssen.

Die Staaten der Europäischen Union haben beschlossen, ihre Grenzen für Geflüchtete aus der Ukraine zu öffnen und eine EU Richtlinie über temporären Schutz im Fall von Massenzuwanderung aus dem Jahr 2001 zu aktivieren, die für diese Menschen Aufenthaltsrechte, Zugang zum Arbeitsmarkt und soziale Grundrechte ohne individuelle Asylverfahren vorsieht. Als WissenschaftlerInnen, die sich seit vielen Jahren mit den Bedingungen für effektiven Schutz und soziale Integration von Geflüchteten beschäftigen, begrüßen wir den Wandel in der Haltung der europäischen Regierungen. Dazu möchten wir feststellen, dass die europäischen Regierungen nur dann den gewaltigen Herausforderungen der heutigen Krise gewachsen sein werden, wenn sie sich sowohl auf Szenarien der temporären als auch der permanenten Flucht einstellen und bereit sind, aus Fehlern in den vergangenen Jahren zu lernen. Niederlassungsfreiheit für die aus der Ukraine Geflüchteten in der gesamten EU ermöglicht ihnen dorthin zu gehen, wo es bereits größere ukrainische Communities gibt oder wo sie ihre Qualifikationen am besten einsetzen können. Das sind wichtige Voraussetzungen für Integration, aber sie werden nicht genügen. Es braucht darüber hinaus staatliche Maßnahmen zur Beschaffung von Wohnraum und zur aktiven Integration in den Arbeitsmarkt. Weil die spontane Verteilung von Geflüchteten auf die EU Staaten sehr ungleich sein wird, braucht es auch einen europäischen Solidaritätsfonds um Lasten zwischen den europäischen Staaten auszugleichen.

Die große Welle an Hilfsbereitschaft von staatlicher und zivilgesellschaftlicher Seite gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine ist außerordentlich begrüßenswert. Bei der Aufnahme von Geflüchteten darf es aber keine Diskriminierung zwischen ukrainischen StaatsbürgerInnen und Drittstaatsangehörigen geben, die in der Ukraine gelebt, gearbeitet oder studiert haben und keine Möglichkeit haben, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Menschen, die aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und anderen von Bürgerkriegen und repressiven Regimen betroffenen Staaten geflohen sind, wurden nach der Ausnahmesituation im Sommer 2015 sichere Fluchtrouten nach Europa versperrt. Tausende leben bis heute in Aufnahmelagern auf griechischen Inseln unter menschenunwürdigen Bedingungen. Die Integration jener, die in andere europäische Staaten gelangten, wurde und wird durch lange Asylverfahren und beschränkte Möglichkeiten zur beruflichen Qualifikation oder Arbeit behindert. Vorschläge für einen europäischen Ausgleich bei der Verteilung von Geflüchteten oder den Kosten für ihre Integration scheiterten an mangelnder Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten.

 

Wir hoffen, dass die jetzige Krise nicht dazu führen wird, Geflüchtete nach ihrer Herkunft in willkommene und unwillkommene zu unterscheiden statt ihre Fluchtgründe zu berücksichtigen. Das Recht auf Asyl als individuelles Menschenrecht muss auch in einer Ausnahmesituation erhalten bleiben, in der es um den unmittelbaren Schutz von Millionen von Menschen geht, denen ihre Heimat geraubt wurde.

 

  1.  Rainer Bauböck (Kommission für Migrations-und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Europäisches Hochschulinstitut Florenz)
  2.  Max Haller (Kommission für Migrations-und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Universität Graz)
  3.  Ayse Caglar (Kommission für Migrations-und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Universität Wien)
  4.  Sieglinde Rosenberger (Kommission für Migrations-und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Universität Wien)
  5.  Wiebke Sievers (Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften)
  6.  Dirk Rupnow (Dekan Philosophisch-Historische Fakultät, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck – Institut für Zeitgeschichte)
  7.  Viktorija Ratković (Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung am Institut für Erziehungs-wissenschaft und Bildungsforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt)
  8.  Nadja Danglmaier (Abteilung für allgemeine Erziehungswissenschaft und diversitätsbewusste Bildung, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt)
  9.  Caroline Schmitt (Arbeitsbereich Transnationale Migrations- und Solidaritätsforschung, Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt)
  10.  Ursula Reeger (Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften)
  11.  Richard Osei Bonsu (OMANIAE VZW Antwerpen, Belgien)
  12.  Melita H. Sunjic (Transcultural Campaigning, Agentur für Migrationskommunikation und -forschung)
  13.  Elisabeth Scheibelhofer (Institut für Soziologie der Universität Wien)
  14.  Wolfgang U. Dressler (wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften)
  15.  Ruth Wodak (University of Lancaster und Universität Wien)
  16.  Kyoko Shinozaki (Paris Lodron Universität Salzburg)
  17.  Sarah Knoll (Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien)
  18.  Alexia Fürnkranz-Prskawetz (Kommission für Migrations- und Integrationsforschung und Vienna Institute of Demography der ÖAW).
  19.  Vanessa Steinkogler (Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft der Universität Graz)
  20.  Gudrun Biffl (Donau Universität Krems/Universität für Weiterbildung)
  21.  Alexandra Schwell (Institut für Kulturanalyse der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Celovec)
  22.  Walter Ötsch (Institut für Ökonomie, Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung Koblenz)
  23.  Rudolf de Cillia (Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien)
  24.  Katharina Brizić (Österreichisches Netzwerk Sprachenrechte der Universität Wien und Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)
  25.  Wolfgang Benedek (Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Universität Graz)
  26.  Anne Unterwurzacher (Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung)
  27.  Christoph Novak (Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften)
  28.  Brigitte Kukovetz (Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz)
  29.  Renate Ortlieb (Institut für Personalpolitik der Universität Graz)
  30.  Christoph Reinprecht (Institut für Soziologie der Universität Wien)
  31.  Ivan Josipovic (Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien)
  32.  Judith Kohlenberger (Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien)
  33.  Susanne Binder (Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien)
  34.  Julia Jakob (PhD-Studentin, Faculty of Education, University of Cambridge)
  35.  Brigitte Halbmayr (Institut für Konfliktforschung)
  36.  Annette Sprung (Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz)
  37.  Hans Karl Peterlini (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung – IFEB der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt)
  38.  Sylvia Hahn (Paris Lodron Universität Salzburg)
  39.  Caroline Hornstein Tomic (Institute of Social Sciences Ivo Pilar, Zagreb)
  40.  Josef Ehmer (Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien)
  41.  Zina Weisner (Department für Migration und Globalisierung, Donau-Universität/Universität für Weiterbildung Krems)
  42.  Helga Moser (FH JOANNEUM, Institut Soziale Arbeit)
  43.  Helena Segarra (Doktorandin an der Universität Wien)
  44.  Victoria Reitter (Abteilung Soziologie der Universität Salzburg)
  45.  Christian Ungruhe (Institut für Anthropogeographie der Universität Passau)
  46.  Ludger Helms (Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck)
  47.  Johann Bacher (Institut für Soziologie / Abteilung für Empirische Sozialforschung der Johannes Kepler Universität Linz)
  48.  Maria Six-Hohenbalken (Institut für Sozialanthropologie an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften)
  49.  Barbara Herzog-Punzenberger (Institut für Erziehungwissenschaft & Institut für Psychosoziale Intervention und Kommunikationsforschung der Fakultät für Bildungswissenschaft der Universität Innsbruck)
  50.  Leonardo Schiocchet (Institut für Sozialanthropologie an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften)
  51.  Georg Traska (Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften)
  52.  Gabriele Rasuly-Paleczek (Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien)
  53.  Georg Gombos (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, Arbeitsbereich Allgemeine Erziehungswissenschaft und diversitätsbewusste Bildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt)
  54.  Nicole Kronberger (Institut für Pädagogik und Psychologie / Abteilung Sozialpsychologie, Personalentwicklung und Erwachsenenbildung der Johannes Kepler Universität Linz)
  55.  Dirk Hoerder (Prof. em., Arizona State University [History] / ehem. Universität Bremen, Sozialwissenschaften)
  56.  Erol Yildiz (Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck)
  57.  Ilker Atac (Politik in der Sozialen Arbeit, Fachbereich Sozialwesen, Hochschule Fulda)
  58.  Patrick Sakdrapolrak (Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien)
  59.  Gerd Valchars (Universität Wien)
  60.  Dženeta Karabegović (Soziologie und Humangeografie, Paris Lodron Universität Salzburg)
  61.  Jannis Panagiotidis (Forschungszentrum für die Geschichte von Transformationen, Universität Wien)
  62.  Dilek Cinar (Bogazici Universität Istanbul)
  63.  Reinhard Schweitzer (Barcelona Centre for International Affairs, University of Sussex und Universität Wien)
  64.  Helga Embacher (Universität Salzburg)
  65.  Şebnem Bahadır-Berzig (Translationswissenschaft, Universität Graz)
  66.  Clara Holzinger (Institut für Soziologie, Universität Wien)
  67.  Andrea Strutz (Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung und Universität Graz)
  68.  Daniele Karasz (Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien)
  69.  Petra Dannecker (Institut für Internationale Entwicklung, Universität Wien)
  70.  Janina Kehr (Medizinanthropologie und Global Health, Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien)
  71.  Hannah Myott (PhD-Kandidatin, Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien)
  72.  Florian Bieber (Zentrum für Südosteuropastudien, Universität Graz)
  73.  Harald Sterly (Institut für Geographie und Regionalforschung, Universität Wien)
  74.  Irene Messinger (Soziale Arbeit, FH Campus Wien)
  75.  Christiane Hintermann (Geographie und Regionalforschung, Universität Wien)
  76.  Clemens Binder (Österreichisches Institut für Internationale Politik, Bereich Grenzsicherheitspolitik)
  77.  Mathias Czaika (Department für Migration und Globalisierung, Donau-Universität Krems)
  78.  Julia Mourão Permoser (Institut für Politikwissenschaft, Universität Innsbruck)
  79.  Karin Maria Schmidlechner-Lienhart (Institut für Geschichte, Universität Graz)
  80.  Albert Kraler (Department für Migration und Globalisierung, Donau-Universität Krems)
  81.  Friedrich Altenburg (Department für Migration und Globalisierung, Donau-Universität Krems)
  82.  Hakan Kilic (Department für Migration und Globalisierung, Donau-Universität Krems)
  83.  Isabella Skrivanek (Department für Migration und Globalisierung, Donau-Universität Krems)
  84.  Tamara Kerschbaumer (Zentrum für Migrations- und Globalisierungsforschung, Donau-Universität Krems)
  85.  Ali Ahmad Safi (Department für Migration und Globalisierung, Donau-Universität Krems)
  86.  Lea Müller-Funk (Zentrum für Migrations- und Globalisierungsforschung, Donau-Universität Krems)
  87.  Anna Faustmann (Department für Migration und Globalisierung, Donau-Universität Krems/Universität für Weiterbildung Krems)
  88.  Faime Alpagu (Institut für Soziologie, Universität Wien)

Wenn Sie in der Migrationsforschung aktiv sind und diesen Aufruf unterstützen wollen, schicken Sie bitte eine Email mit Angabe Ihres Namens und institutionellen Anbindung an johanna.friedl@oeaw.ac.at