Wien 18., Türkenschanzstraße 48


Paula Schmidl, geb. Speyer, war die Witwe von Hugo Schmidl (1869-1923), der drei Webereien in der Tschechoslowakei besessen hatte. Etwa 1903 ließ Hugo Schmidl die Villa in 18., Sternwartestraße 71 erbauen. Dort bezog er zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter Hansi (Johanna 1898-1993) eine Neun-Zimmer-Wohnung im obersten Stockwerk. Nanny Speyer (1845-1925), Paulas Mutter, bewohnte die gleiche Wohnung im ersten Stock. Im Erdgeschoß gab es zwei Wohnungen, eine für den Hausmeister und eine zur Vermietung. Nach dem Tod von Nanny Speyer bezog Hansi zusammen mit ihrem Mann Karl Kirsch (1896-1959) und den Kindern Gerhard (1920-1990) und Susi (geb. 1926) die Wohnung im ersten Stock. Nach ihrer Heirat im Jahr 1919 war Karl Kirsch in die Firma seiner Schwiegereltern eingestiegen und leitete diese nach dem Tod Hugo Schmidls.


Julie Speyer, eine Schwester Paulas, heiratete Jakob Wassermann. Die Ehe scheiterte, doch die Schmidls blieben lebenslange Freunde Wassermanns. Durch ihn freundeten sie sich auch mit Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann und Felix Salten an, die in ihrer Nähe im Cottage lebten und sie gerne besuchten, wie das Gästebuch der Schmidls zeigt. Beispielsweise wohnte die Familie Schnitzler nur einige Häuser weiter auf Türkenschanzstraße 71.

Im August 1938 verließ Tochter Hansi mit Familie Wien, um nach Hlinsko (Tschechien), wo sie noch eine Weberei besaßen, zu gehen. Damit begann eine dreijährige Flucht durch die Tschechoslowakei, durch Jugoslawien, Ungarn, Italien und schließlich die Türkei, bis Karl, Hansi und Susi Kirsch endlich in Palästina landeten, wo sie die britischen Mandatsbehörden sogleich festnahmen. Lediglich Gerhard Kirsch war es gelungen, mit einem Einreisezertifikat als Jeschiwa-Student schon vor ihnen nach Palästina zu gelangen, wo er in einem Kibbuz lebte. An ihn richtete Paula Schmidl ab Januar 1941 fiktive Briefe, die sie in ihr Gästebuch schrieb, da es keine Postverbindung von Wien nach Palästina gab.

Diese Briefe reflektieren die letzten Monate in Wien, bis Paula Schmidl im Juni 1941 endlich ihr Visum für die USA bekam und ausreisen konnte. Dort lebte sie bei ihrer Schwester und ihrem Schwager Agnes und Emil Ullmann in New York. 1945 übersiedelte sie zu ihrer Tochter in Tel Aviv. Sie starb 1966 in Jerusalem. Dass Paula Schmidl ihren Charme und ihre Anziehungskraft auf Schriftsteller bis zu ihrem Lebensende bewahrte, bezeugen die autobiographischen Schriften von Max Zweig. Die Villa in der Türkenschanzstraße hatte Paula Schmidl dem Rechtsanwalt Hermann Weyss verkauft, der ihr nicht nur bei den komplizierten Vorbereitungen zu ihrer Flucht half, sondern sie auch bis zuletzt in ihrer Villa leben ließ. 1950 erhielt Paula Schmidl die Villa zurück und verkaufte sie neuerlich.