Wien 18., Kutschkergasse 31


Hermann und Charlotte Kandel, geb. Zimels, besaßen ein Leder- und Spielwarengeschäft in Währing in der Kutschkergasse 31 und wohnten zehn Gehminuten entfernt im 9. Bezirk in der Severingasse 8. Sie hatten zwei Söhne Ludwig (geb. 1924) und Erich (geb. 1929). Im Mai 1938 wurde Erich Kandel aus seiner Volksschule in 18., Schulgasse 57 ausgeschlossen und musste fortan in die „Judenschule“ in 19., Pantzergasse 25 gehen. Das Geschäft der Eltern wurde nach dem „Anschluss“ „arisiert“. Im Zuge des Novemberpogroms wurde Hermann Kandel verhaftet. Er wurde erst wieder anlässlich seiner Ausreise im August 1939 freigelassen. Da Charlotte Kandel einen Bruder in New York hatte, konnte die Familie sukzessive in die USA fliehen: Im Februar 1939 reisten ihre Eltern in die USA aus, die Kinder Ludwig und Erich Kandel folgten im April 1939. Der 14jährige Ludwig (1924-1979) und der neunjährige Erich Kandel fuhren mit der Bahn zunächst nach Brüssel, wo sie bei Verwandten wohnten, und dann weiter über Antwerpen mit dem Schiff Geroldstein in die USA, wo sie die Großeltern bei sich aufnahmen. Hermann und Charlotte Kandel gelang erst im August 1939 die Flucht in die USA. Die Tickets der Holland-Amerika-Linie bezahlte die Israelitische Kultusgemeinde Wien, weil die Familie nach der „Arisierung“ des Geschäfts völlig mittellos war.

Erich Kandel änderte in den USA seinen Vornamen auf Eric sein Bruder Ludwig auf Lewis. 1945 erhielt Erich Kandel die US-Staatsbürgerschaft. Er studierte zunächst mit einem Stipendium an der Harvard University. Anschließend begann er in New York ein Medizinstudium, mit dem Ziel, Psychoanalytiker zu werden. Später spezialisierte er sich auf biologische Vorgänge des Gehirns und wurde Neurowissenschaftler. 1956 heiratete er die 1933 geborene Denis Bystryn, eine Sozialmedizinerin und Epidemiologin, die die Shoah mit ihrer Familie versteckt in Frankreich überlebte hatte. 2000 erhielt Eric Kandel zusammen mit Arvid Carlsson und Paul Greengard den Nobelpreis für Medizin für „Entdeckungen betreffend der Signalübertragung im Nervensystem“, für seine Forschungen zu den Vorgängen im Gehirn und Nerven bei Lernen und Erinnern. Im Jahr 2009 wurde er Ehrenbürger der Stadt Wien.