Wien 18., Gentzgasse 57


Alexander Neugebauer (1863-1942) kam in Holič in der Slowakei zu Welt und ging als Jugendlicher nach Wien. Hier baute er einen florierenden Gemischtwarenhandel in 2., Große Mohrengasse 30 auf. Nach seiner Heirat im Jahr 1890 mit der in Trenčín in der Slowakei geborenen Franziska Deutsch (1867-1943) bezog er eine Wohnung in Währing, Staudgasse 24. 1891 kam hier ihre Tochter Emilie zur Welt.
Diese heiratete 1911 den aus Westungarn stammenden Eugen Günsberger (1879-1942). Obwohl Emilie die typische Erziehung einer höheren Tochter, Hausfrau und Mutter genossen hatte, wurde sie eine tüchtige Geschäftsfrau und Partnerin für Eugen. Dieser betrieb zunächst ein Geschäft für Haushalts- und Bürowaren, wo er auch Seifen und Chemikalien für den Haushalt verkaufte. Mit Emilies Mitgift und einem Bankkredit gründete er eine Seifen- und Waschmittelfabrik. 1912 kam Sohn Hans, 1916 Fritz zur Welt.



Gegen Ende des Ersten Weltkriegs verkauften die Neugebauers ihre Gemischtwarenhandlung und erwarben stattdessen ein Zinshaus mit 28 Wohnungen in 18., Gentzgasse 57, wo sie auch eine Wohnung bezogen. Eugen und Emilie Günsberger verkauften ebenfalls ihre Fabrik und eröffneten stattdessen einen Betrieb zum Import und Export von Schwerindustrie-Chemikalien. Sie zogen in eine Wohnung im 18., Haizingergasse 27. 1921 konnten sie ihre Villa Ecke Haizingerstraße/Gregor-Mendelstraße beziehen. Doch aufgrund von wirtschaftlichen Problemen mussten sie die Villa 1926 verkaufen. Um den Erlös erwarben sie einen Groß- und Detailhandel für Chemikalien in der Kettenbrückengasse 21 im 5. Bezirk. Sie übersiedelten in die Wohnung neben der von Alexander und Franziska Neugebauer in der Gentzgasse 57. Die neue Firma wurde als Familienbetrieb geführt: Alexander Neugebauer hatte die Finanzen über, Emilie das Detailgeschäft und Eugen Günsberger den Großhandel. Nach Abschluss ihrer Ausbildung begannen auch die Söhne Hans und Fritz in der Firma zu arbeiten.

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Am 14. März 1938 erschien der Geschäftsführer der Firma in der Uniform eines SS-Offiziers bei Eugen Günsberger und presste ihm seinen PKW ab. Als jedoch Eugen Günsberger und Alexander Neugebauer im Zuge des Novemberpogroms verhaftet wurden, half dieser Mann, sie aus dem Notarrest zu befreien und ersparte ihnen damit eine drohende KZ-Haft.
Kurze Zeit später musste Eugen Günsberger seinen Betrieb an ein Konsortium mit besten Kontakten zur NSDAP weit unter seinem Wert verkaufen. Danach wurde er wegen angeblichem Steuer- und Zollbetrug von der Gestapo verhaftet und kam erst nach fünf Monaten frei. Nach einiger Zeit wurde er Mitarbeiter bei der Auswanderungsabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.
Nachdem das Haus von Alexander und Franziska Neugebauer in der Gentzgasse 57 im Jahr 1940 „arisiert“ worden war, mussten die beiden Familien in eine Wohnung in 9., Servitengasse 20 übersiedeln, die sie sich mit anderen Jüdinnen und Juden teilten. Inzwischen war Hans Günsberger (1912-2006) die Flucht nach Australien gelungen, wo er heiratete und eine Landwirtschaft betrieb.

Später konnte auch Fritz Günsberger (1916-2010) nach Shanghai flüchten und ging nach dem Krieg mit seiner dort gegründeten Familie ebenfalls nach Australien. Im Mai 1942 mussten Alexander und Franziska Neugebauer in das jüdische Altersheim in 9., Seegasse 9 übersiedeln. Dort starb Alexander Neugebauer am 5. Juli 1942. Eugen und Emilie Günsberger wurden am 2. Juni 1942 nach Maly Trostinec deportiert und ermordet. Franziska Neugebauer wurde am 20. August 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 30. Mai 1943 ums Leben kam.

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