07.02.2020

Neues Licht auf dunkle Materie

Teilchenphysiker/innen der ÖAW arbeiten an neuen Modellen, an denen gezeigt werden soll, wie sich dunkle Materie verhält. Gelingt das, könnte es den Weg zu ersten experimentellen Nachweisen ebnen.

Bild: © ÖAW/Harald Ritsch

Die sogenannte dunkle Materie ist eine der großen Herausforderungen der Physik: Sie scheint als fehlende Masse überall im Kosmos auf, trotzdem ist über ihre Eigenschaften wenig bekannt. Fest steht bislang lediglich, dass sie nicht oder kaum mit Licht wechselwirkt und über lange Zeiträume stabil sein muss. Lange galten WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles) als aussichtsreiche Kandidaten für einen experimentellen Nachweis dunkler Materie – der ist bislang allerdings nicht gelungen.

Um der Lösung des Problems näher zu kommen, wurden zuletzt die Anstrengungen zur Erforschung dieses rätselhaften Phänomens wieder intensiviert – auch in Wien und Graz. Im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts gehen Forscher/innen um Josef Pradler vom Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) einen etwas anderen Weg. „Lange wurden in der Forschung schwach wechselwirkende Kandidaten favorisiert. Wir sehen uns jetzt solche Teilchenkandidaten an, die zumindest mit sich selbst stark wechselwirken, arbeiten die Konsequenzen aus und untersuchen, ob sich diese experimentell prüfen lassen”, so der Physiker. Neben Pradler arbeiten in der frisch geförderten Forschungsgruppe auch Suchita Kulkarni und Jochen Schieck vom HEPHY sowie Axel Maas von der Universität Graz mit.

Jagd auf das dunkle Neutron

Die Wechselwirkungen zwischen dunkler Materie könnten demnach ähnlich ablaufen, wie die zwischen Quarks und Gluonen in Atomkernen, die von der starken Kernkraft zusammengehalten werden. “Es könnte so etwas wie ein dunkles Neutron geben, das ein Bindungszustand aus Dunkle-Materie-Teilchen sein könnte”, erklärt Pradler. 

Diese Hypothese hat wichtige Konsequenzen für die kosmische Ursprungsgeschichte, die Erzeugung dieser Teilchen in Beschleunigerexperimenten, für das astrophysikalische Verständnis der Strukturbildung, sowie deren Nachweis in sog. Dunkle Materie Detektionsexperimenten. Jedem dieser Aspekte widmet sich eine Forscherin oder ein Forscher die oder der bereits breite Erfahrung in diesem Teilgebiet mitbringt. Durch die enge Zusammenarbeit wird das Thema in seiner Komplementarität voll beleuchtet.

Im Detail wollen die Forscher/innen exemplarisch verschiedene denkbare Modelle für stark wechselwirkende dunkle Materie herausgreifen und genau analysieren. “Dann können wir die zu erwartenden Signaturen für Experimente bestimmen und so das Potenzial für eine Entdeckung erhöhen”, zeigt sich Pradler zuversichtlich.

Leichte Teilchen

Die Klasse der Kandidatenteilchen, die die Forscher/innen ins Visier nehmen, ist besonders leicht. Die Masse liegt im Bereich eines Wasserstoffatoms, in der Gegend von einem Gigaelektronenvolt. Besonders in diesem Energiebereich ist stark wechselwirkende dunkle Materie nach heutigem Wissensstand theoretisch möglich. “Niemand weiß, wie die Natur aufgebaut ist. Wir können nur gewissenhaft prüfen, ob eine Idee passt oder nicht. Dabei gilt für die Forscher das Prinzip der Minimalität: Wir beginnen mit den einfachsten Modellen”, erläutert der Physiker.

Ein Ziel der aktuellen Forschungen ist, spezifische Signaturen auszuarbeiten, die an Teilchenbeschleunigern wie dem LHC in Genf überprüft werden könnten. “Zudem müssen unsere Modelle auch kompatibel mit Beobachtungen aus der Kosmologie sein”, weist Pradler auf eine weitere Herausforderung hin. Die Forschungsgruppe setzt nicht zuletzt deshalb auf Know-how aus unterschiedlichen Disziplinen. “Wir schlagen vielleicht kein neues Experiment vor, aber wir diversifizieren die Ansätze. Das ist wichtig, denn derzeit weiß keiner mit Sicherheit, wo man am besten nach der dunklen Materie suchen sollte”, so der Physiker. Ein Befund, der mit etwas Glück in den kommenden Jahren revidiert werden könnte.